Steven Vanderputten (ed.): Understanding Monastic Practices of Oral Communication. (Western Europe, Tenth-Thirteenth Centuries) (= Utrecht Studies in Medieval Literacy), Turnhout: Brepols 2011, XI + 390 S., ISBN 978-2-503-53482-4, EUR 85,00
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Steven Vanderputten / Diane J. Reilly (eds.): Gerardi Cameracensis. Acta Synodi Atrebatensis, Vita Autberti, Vita Gaugerici. Varia scripta ex officina Gerardi exstantia, Turnhout: Brepols 2014
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Die Beiträge entspringen einer im Rahmen des Forschungsprojekts "Oral Communication and the Consolidation of the Unwritten Past in Medieval Monastic Communities" organisierten Tagung (23./24. Mai 2008) mit folgenden thematischen Sektionen: I: The Politics of Non-Written Communication (Gerd Althoff, Wojtek Jezierski, Steven Vanderputten); II: Traces of Orality in Liturgy, Customs and Material Culture (Susan Boynton, Diane J. Reilly, Tjamke Snijders); III: Traces of Orality in the Transmission of Memory (Marie-Anne Polo de Beaulieu, Geoffrey Koziol, Edina Bozóky); IV: Talking Shop: Educating the Monastic Mind (Mirko Breitenstein, Albrecht Classen, Peter Dinzelbacher); V: Talking Shop: Voicing the Monastic Mind (Elisabeth van Houts, Julie Barrau, Wim Verbaal, Mette B. Bruun).
Die kurze Einleitung verantwortet der Band-Herausgeber; eine weiterführende Bewertung hat Marko Mostert in den "Conclusions" vorgelegt.
Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass Klöster als lebendige Sozialgruppen nicht nur aufgrund ihrer Schriftlichkeit beurteilt werden sollten (5). Die monastische Reform des Hochmittelalters war begleitet von einem veränderten Verhältnis zur mündlichen Kommunikation. Gemäß der Bedeutung der Konvente für die Gesamtgesellschaft konzentriert sich der Band auf die benediktinischen Reformklöster und die Zisterzienser; Kartäuser und andere Gruppen erscheinen vereinzelt bei Vergleichen.
Der Leser stellt schnell fest, dass der Band "oral communication" gemäß einer eigenwilligen wissenschaftlichen Definition verstanden wissen will, die erst Marco Mostert am Ende des Buches in der Zusammenfassung transparent offenlegt: oral communication ist nicht nur - wie der Begriff suggeriert - an den Mund gebundene Mitteilung in Form von Sprache und Gesang, sondern eigentlich alles, was zur Kommunikation dient und nicht schriftlich ist (373-386). Geleitet ist diese Entscheidung wohl von den in den Klöstern benutzten Zeichensprachen, für die es gewissermaßen Wörterbücher gibt, die den Kode erklären.
Einbezogen werden gemäß der jüngeren Forschungslandschaft zudem die symbolische Kommunikation, Rituale und Liturgie sowie die Bildkommunikation. Selbstgespräche gehören in der Zeit der Gewissensprüfung zweifelsohne dazu, auch wenn der Mund dabei geschlossen blieb. Die Einführung des stillen Lesens von Schrift und Neumen, die mehrfach angesprochen wird, zielt aber wohl doch auf andere Problemfelder. Kommunikation über Gerüche und Geschmack hingegen sollte in Zukunft zwar erforscht werden, doch ist die Subsumierung unter den Begriff "oral communication" nicht überzeugend.
Die Mündlichkeit des Mittelalters muss aus den Schriftquellen heraus erforscht werden. Dieses Problem ist bei den meisten Artikeln des Bandes formuliert, doch können die Argumente für die Verschriftlichung von nicht-schriftlichen Kommunikationsprozessen nicht immer in gleicher Weise überzeugen. Fragmentierungen der tatsächlich geführten Diskurse sind nicht nur aufgrund von Schamvorgaben, sondern auch aus Effizienzgründen zu erwarten. Eine Systematisierung der Verschriftlichung des Mündlichen bleibt weiterer Forschung vorbehalten. Die in der Schriftlichkeitsforschung etablierte Sonderbehandlung von pragmatischen Formen wurde für die Mündlichkeit nicht vollzogen.
Am prägnantesten wird die liturgische Mündlichkeit untersucht (Teil II). Eine wichtige Rolle spielen zudem Schweigerituale bzw. die Topik des Verschweigens im Zuge der Verschriftlichung. Die Mündlichkeit des Lehrens wird immer wieder thematisiert. Auf die Mündlichkeit des Ermahnens und Strafens innerhalb der Klostergemeinschaften blicken wir nur, wenn die internen alltäglichen Mechanismen nicht funktionierten und übergeordnete Schlichter notwendig waren. Anders als im Pfarrklerus, wo zur allgemeinen Verbreitung der Beschlüsse die Schrift der Synodalstatuten notwendig war, reicht im Kloster die Versammlung des Konvents. Dies lässt erahnen, wie wenig wir über die in Klöstern geführten Diskurse als Historiker erfahren können.
Viele Beiträge des Bandes leiden darunter, dass über Sprechakte ohne Rezeption der einschlägigen Forschungen zur Sprechakttheorie gehandelt wird, so dass eigentlich nicht zwischen dem Reden als spontanem Sozialakt und dem vorbereiteten Reden auf zuvor übermittelte Fragen bzw. Vorträge unterschieden wird. Die Initialisierung der mündlichen Kommunikation durch die Mönche wird nicht systematisch von der durch Außenstehende unterschieden, die Mönche ins Gespräch ziehen. Im Inneren wären Sprechakte zwischen Abt / Propst und dem Konvent bzw. Mönchsgruppen oder einzelnen Mönchen und Gespräche zwischen den Mönchen zu differenzieren. Damit wäre auch der Begriff murmur besser einzuordnen. Bei der Beichte, die durchaus noch mehr Beachtung verdiente, wurde die situative Bedeutung des Sprechaktes im Band immerhin thematisiert. Ob das Gespräch mit Gott allein oder in Gemeinschaft geführt wurde, klingt an. Auch die Frage der verwendeten Sprache wird angeschnitten und betont, dass das Lateinische in der Klosterwelt des 10. bis 13. Jahrhunderts kein Hoheitsrecht hatte, aber das Gespräch mit Gott charakterisierte. Mündliche Kommunikation innerhalb der kirchlichen Organisation (etwa zum Bischof, zum Papst oder zu Äbten anderer Konvente) findet kaum Erwähnung, was wohl nicht nur durch die Quellenlage entschuldigt werden kann.
Die Lokalisierung des Mündlichen im Gesamtraum des Klosters wird gelegentlich problematisiert, doch ist hier in weiterer Forschung auf klarere Differenzierungen zu hoffen. Die sehr unterschiedliche Funktionalität von Klosterkirche, Kreuzgang, Refektorium etc. und die verschiedenen Stufen des Sakralen dieser Örtlichkeiten hatten offenbar Einfluss auf die Möglichkeiten und Schicklichkeit nicht-schriftlicher Kommunikation.
Mit dem Herausgeber (7) ist zu wünschen, dass dieser erste, vor allem durch die enge Textarbeit an den Quellen interessante Versuch das Thema in den Griff zu bekommen, nicht der letzte sein wird.
Das beigegebene Verzeichnis der benutzten Handschriften ist löblich, ein Personen-, Orts- und Sachregister fehlt.
Heike Johanna Mierau