Emily A. Winkler: Royal Responsibility in Anglo-Norman Historical Writing (= Oxford Historical Monographs), Oxford: Oxford University Press 2017, XX + 329 S., ISBN 978-0-19-881238-8, GBP 65,00
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Die in Oxford bei Chris Wickham und Laura Ashe entstandene Dissertation hat sich zum Ziel gesetzt, alt eingefahrene Narrative der englischen Geschichtsschreibung zu korrigieren. So wie die zeitgenössische Forschung zur Spätantike bzw. zum frühen Mittelalter die über Jahrhunderte wirksame Idee Gibbons vom Niedergang und Fall des Römischen Reiches in Frage stellt, will Winkler das Trauma der Eroberung Englands von 1066 durch eine Neuinterpretation der historiografischen Zeugnisse des 12. Jahrhunderts überwinden. Der von Keynes seit den 1980er-Jahren diagnostizierte Verfall des königlichen Ansehens resultiere aus einem Missverständnis, die Schrifttradition des 11. Jahrhunderts bilde dafür die Grundlage (281).
Der methodische Ansatz Winklers liegt darin, die Rezeption der Geschichtswerke des 11. Jahrhunderts und des in ihnen vermittelten Geschichtsbildes im 12. Jahrhundert zu analysieren. Konkret wendet sich Winkler William of Malmesbury, Henry of Huntingdon, John of Worcester und Geffrei Gaimar zu, die alle durch moderne Editionen und Übersetzungen ins Englische gut erschlossen sind. Nach kurzen Einführungen zu den Werken charakterisiert sie den Umgang mit den aus den verschiedenen Versionen der Anglo-Saxon-Chronicle entnommenen Darstellungen der Invasionen des 11. Jahrhunderts. Neben der Eroberung durch Wilhelm I. 1066, die sich zentral im kollektiven Gedächtnis Europas festgesetzt hat, erhält bei den Textanalysen auch die Okkupation durch Knut von Dänemark 1016 Gewicht.
Im ersten Kapitel "Structures of Historiography and Royal Responsibility" werden zunächst die Fragestellung und die Semantik der verwendeten Begrifflichkeit vorgestellt. Responsibility wird in der Bandbreite zwischen ursächlicher und moralischer Verantwortung ausgeleuchtet. Die Frage der Schuld ist dafür von erheblicher Bedeutung, die innerhalb christlicher Wertvorstellungen Rechenschaftspflicht gegenüber Gott impliziert. Geschichtsabläufe seien als von Gott gesteuert aufgefasst worden. Damit wird das Trauma der Eroberung, das aus der Scham über die militärische Niederlage resultieren müsste, für das englische Königtum relativiert. (12: "Defeat was shameful. But [...] English history could not be shameful"). Die Frage, was "englisch" ist, konnte nicht nur mit dem Rückblick auf nationale Zugehörigkeit, sondern zukunftsorientiert hinsichtlich englischer Werte definiert werden, wobei die Eroberer englischer sein konnten als die der Königsfamilie entstammenden Regenten, die Niederlagen verschuldeten.
Winkler beginnt mit der Frage, was Königtum in der Zeit nach der Eroberung ausmachte und verweist auf die Rückbezüge abendländischer Tradition in Form von Suetons Kaiserbiografien, Ciceros Amtsauffassungen in de officiis, des Davidkönigtums und karolingischer Vorbilder. Ihre Geltung wird aufgrund singulärer Benutzungen in Schriften des 11. und 12. Jahrhunderts assoziiert. Gesondert davon werden die Spuren der älteren englischen Königsgeschichte thematisiert, wobei Alfred der Große und die Könige kurz vor der Eroberung besondere Aufmerksamkeit erfahren. Gildas De excidio Britanniae wurde in die Erwägungen einbezogen, die Brut-Literatur des 12. Jahrhunderts spielt hingegen keine besondere Rolle.
Die Zusammenfassung für das Gesamtkapitel wird unter der Unterüberschrift Responsibilities Distributed (75-77) versteckt, bevor die Überlieferungssituation der Anglo-Saxon-Chronicle sowie die Schwerpunkte ihrer Darstellung der Königsgeschichte charakterisiert werden. Die kollektive Sünde, die hier als wichtiges Kriterium erscheint, wurde nicht religions- und sozialgeschichtlich ausdifferenziert zurückverfolgt und auf ihre Geltungsräume im 12. Jahrhundert hin problematisiert, sondern nur als Teil karolingischer Diskurse rezipiert. Nach welchen Kriterien die Relevanz der verschiedenen Traditionen bewertet wurde, hätte einer stärkeren Reflexion bedurft. Die Bezogenheit der Geschichtsdarstellung auf die zeitgenössischen politischen Entwicklungen, die neuen Loyalitäten der Historiografen und allgemein den Zeitgeist mit einer Renaissance der Tugendlehren verbleibt an der Oberfläche. Die im 12. Jahrhundert rezipierten und neu verfassten Fürstenspiegel mit klaren Anweisungen für richtiges und falsches Verhalten von Herrschenden hätten bei den Analysen stärker beachtet werden können. Johannes von Salisbury etwa wird nur beiläufig tangiert.
Kapitel II, "Twelfth-Century England", ist zentral dem Thema der göttlichen Vorsehung gewidmet, wobei unterschiedliche Wahrnehmungen bei William of Malmesbury und Henry of Huntingdon einerseits sowie John of Worcester und Geffrei Gaimar andererseits diagnostiziert werden. William und Henry hätten die Verantwortung der Könige innerhalb des göttlichen Plans für die Heilsgeschichte Englands gesehen, während John und Geiffar die Könige als zentrale Richtungsgeber des Geschehens unter fast völligem Ausschluss göttlicher Lenkung ins historische Bewusstsein eingeschrieben hätten. Trotz dieser Unterschiede sei letztlich Vorsehung für alle vier "ultimately insufficient" (99). In die Argumentation fließen die Verarbeitungen der Gesta Normannorum Ducum in der Bearbeitung des William of Jumièges sowie der Viten Dunstans von Osbern und Eadmer, aber auch Vegetius ein. Bei William spiele mit Rückgriff auf Orosius die Sünde des Volkes eine Rolle für die Eroberungen, wichtiger sei ihm aber das Versagen der Könige - so die Autorin. Bei Henry würden die fünf Plagen aufgelistet, die Gott den Britten geschickt habe, von denen die vierte die Dänen, die letzte schließlich die Normannen bezeichnet habe (131).
Kapitel III, "Royal Responsibility and the English", befasst sich mit den Voraussetzungen für legale Nachfolgeregelungen und den Bedingungen legitimer Königsherrschaft in England. Als Quellengrundlage dient erneut die Historiografie. Die Umstände des Herrschaftsverlustes von einzelnen Königen bzw. den Familien, denen diese entstammten, werden folgerichtig zunächst für den Wechsel von 1016 und dann für 1066 betrachtet. Bei William of Malmesbury spielte gerade für William I. das eigene Verdienst eine zentrale Rolle, wohingegen Edgar seine Legitimierung durch eigene Unzulänglichkeit verlor. Bei Henry ist das Zusammenspiel von König und Volk entscheidend, wodurch auch Eide gegenüber dem König Gewicht erhielten. Machtausübung habe dem von Gott übertragenen Amt gerecht werden müssen. Gaimars Fokus konzentriere sich auf die Wahl zum König, bei William trete auch die Krönung als zentraler Faktor hinzu.
Was englisches Königtum in dieser Zeit ausmachte, stellt Winkler am Ende an Cnut und William I. erneut quellennah vor Augen. Im Gegensatz dazu sammelt sie die Negativbewertungen Williams of Malmesbury für Edward. Der Widerstand gegen William I. sei nicht zuletzt für Henry einem Widerstand gegen den Willen Gottes gleichgekommen.
Bei allen untersuchten Historiografen, also bei William of Malmesbury, Henry of Huntingdon, John of Worcester und Geffrei Gaimar, macht Winkler eine veränderte Wertschätzung der Verantwortung des Königs aus. Die Beurteilung des Königs erfolge in diesen Werken nicht mehr aufgrund der Herkunft und einer daraus legitimierten Nachfolge in der dynastischen Reihe, sondern aufgrund des eigenen Verdienstes und insbesondere der eigenen moralischen Größe.
Nicht hinterfragt wurde von Winkler die Bedeutung der Frauen im Umfeld der Herrschenden, obwohl dieser Punkt in der Abfassungszeit der Werke in Gestalt der Kaiserin Mathilde virulent war. Emma, Æthelreds II. zweite Frau und Witwe sowie Gattin Knuts von Dänemark, fand bei der Analyse kaum Beachtung, obwohl sich in ihr als einem Bindeglied zwischen der alten Königsdynastie und den neuen aus Dänemark und der Normandie stammenden Königen, die Problematik nationalen Denkens für die englische Geschichte konkretisiert. Die Rolle Ediths wurde nicht als Messlatte für die innerenglischen Konflikte und ihre Wirkung auf die Königsmacht beleuchtet. Außerdem stellt sich die Frage, wieso nach der diagnostizierten Phase der persönlichen Bewertung der Könige langfristig das dynastische Denken für die Legitimierung des englischen Königtums dominant blieb.
Die Verfasserin verblüfft immer wieder mit Aphorismen, etwa wenn sie die Einführung mit der Feststellung beginnt: "History is not a crime; nevertheless, it is something that is committed", um gleich danach den zweiten Absatz mit der Einsicht zu beginnen: "Individuals commit acts, which become history once the present moment passes". Da es im Folgenden nicht um beliebige Individuen geht, sondern sich der Blick ausschließlich auf die wechselnden Herrscher des Königtums in England und die sie zum Gegenstand machenden Geschichtsschreiber richtet, bedürfte es für die Allgemeingültigkeit der Aussagen weiterer Präzisierungen.
Das Buch krankt an einem Aufbau, der ständige Verweise notwendig macht, die nicht seitenscharf präzisiert werden. Insgesamt ist ein hoher Sprachanteil für Erläuterungen der Struktur des Buches festzustellen. Postmoderne Strukturverschiebungen, wie die Einleitung zum Gesamtbuch als Beginn des ersten der drei Hauptteile, bringen keinen substanziellen Vorteil bei der Leserrezeption. Irritierend sind auch die nicht im Inhaltsverzeichnis ausgewiesenen Zwischenüberschriften mit einer Layouthierarchie, die sich nicht unmittelbar erschließt. Nicht ohne Befremden kann der Umgang Winklers mit der Forschungstradition beschrieben werden. Von den im Literaturverzeichnis genannten Werken werden keine in den Fußnoten so oft zitiert wie die eigenen Beiträge der Jungwissenschaftlerin. Eine Übersicht der von Winkler für zentral erachteten Ereignisse (key-dates), die Genealogie der englischen Könige des 11. Jahrhunderts, des Hauses von Wessex und der anglo-normannischen und angevinischen Könige sind dem Buch vorangestellt. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein sorgsam von Kate Martes erstelltes Register beschließen den Band.
Heike Johanna Mierau