Tim Barringer: Reading the Pre-Raphaelites, New Haven / London: Yale University Press 2012, 192 S., 118 Farbabb., ISBN 978-0-300-17733-6, USD 27,50
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Im Jahr der großen Londoner Präraffaeliten-Schau stellt Barringer mit diesem Buch die überarbeitete Version seiner knapp 15 Jahre alten Einführung in die Pre-Raphaelite Brotherhood dar. Bereits mit dem klug gewählten Titel - einer Metapher von John Ruskin entlehnt - macht Barringer deutlich, was sein Buch leisten soll. Nicht mehr und nicht weniger als eine klar strukturierte Einsicht in das Schaffen der Präraffaelitischen Bruderschaft und eine Anleitung zum Verständnis ihrer Lebensumstände liefert der Autor.
Eingeteilt hat Barringer seine gut lesbaren 176 Seiten Text in fünf Kapitel nach zentralen Themen der Bruderschaft. Ein Indexteil und eine knappe Bibliografie in sinnvoller Gliederung nach einzelnen Künstlern und zu Themen des Buches runden das Bild des Einführungswerkes ab. Die 90 farbigen und 30 Schwarz-Weiß-Abbildungen vermögen, einen sehr guten visuellen Einblick in das Schaffen der Bruderschaft sowie ihrer Vorgänger und Nachfolger zu geben. Besonders hervorzuheben sind die kurzen Ausführungen in den begleitenden Bildunterschriften, die zusätzliche Informationen zum Verständnis beisteuern.
Mit einem direkten Einstieg in das Thema werden anhand von zentralen Gemälden der Pre-Raphaelite Brotherhood bereits wichtige Grundgedanken wie Naturtreue und Symbolismus sowie Themenkomplexe wie Religion und modernes Leben aufgezeigt. Der historische und soziale, aber auch künstlerische Kontext, im dem Millais, Rossetti und Hunt 1848 die Bruderschaft gründen, wird bereits in der Einleitung kurz umrissen und im Folgenden immer weiter ausgeführt. Die Mitglieder werden einzeln in ihrem Schaffen beschrieben und somit als individuelle Künstlergenies gewürdigt, die zwar als Teil der Bruderschaft im Geiste zueinander gehören, doch niemals durch einen durchgängigen oder kollektiven Stil verbunden waren. Diese Einführung konzentriert sich glücklicherweise auf die Leistung der Pre-Raphaelite Brotherhood und klammert dabei die Anekdoten gänzlich aus. Vorläufer werden genauso wie die späteren Schüler und Nachfolger angeschnitten und klar vom fünfjährigen Kernbestehen der eigentlichen Bruderschaft getrennt.
Im ersten Kapitel werden die Wurzeln der Pre-Raphaelite Brotherhood analysiert. Die Kunst der namensgebenden Frührenaissance und ihrer Epigonen der Lukasbrüder bringt die Qualität der "Wahrhaftigkeit" mit in das Werk der Präraffaeliten. Dabei verdeutlicht Barringer den immanenten Widerspruch der Gegenüberstellung von viktorianischer, realer Gegenwart und vergangener Ideale des Romantic Movements in ihrem Schaffen.
Im folgenden Kapitel werden die künstlerischen Verbindungen zwischen Präraffaelitismus und Fotografie durch Barringer eingehend dargelegt. Dieser Teil weist im Gegensatz zur Auflage von 1998 die größten Neuerungen auf. Die Pre-Raphaelite Brotherhood versteht Fotografie als Mittel der Wahrheitsfindung. Besonders Ruskin leistet durch seine Fotoreise nach Italien in Zusammenarbeit mit John Hobbs Pionierarbeit auf dem Gebiet und ist ein maßgeblicher Einfluss, auf den Barringer noch deutlicher eingehen könnte.
Im zweiten Kapitel wird auf die Maßstäbe setzende, intensive und farbenprächtige Landschaftsmalerei der Präraffaeliten eingegangen. In einer Zeit der Umbrüche in der Beziehung zwischen Mensch und Natur verteidigen die Präraffaeliten und ihr Mentor Ruskin die Liebe zur Landschaft als universelle Wahrhaftigkeit, die es möglichst naturgetreu darzustellen gilt. Genutzt wird die immer nur scheinbar vordergründige Landschaftsdarstellung dabei in vielen Fällen als detailgetreue botanische Folie für eine offene Sozialkritik. Dies lässt sich in der Vor-Darwinistischen-Epoche trotz direkter botanischer Beobachtung auch am Scheitelpunkt der Wissenschaft noch in ein religiöses Weltbild einfügen.
Auf den wichtigen Aspekt der präraffaelitischen Modernität geht Barringer im dritten Kapitel des Buches näher ein. Die britische Genremalerei, die nach den Lehren der Akademie eine angeblich unveränderliche, pittoresk-rurale Welt darstellt, wird von den Präraffaeliten in Frage gestellt. Barringer setzt deutlich und nachvollziehbar die Genrebilder der Pre-Raphaelite Brotherhood und ihres Vorläufers Ford Madox Brown als Werke mit inhärenter Botschaft und Moral in die Nachfolge William Hogarths.
Barringer erläutert im vierten Kapitel ausführlich, wie die religiösen Gemälde der Bruderschaft eine neue Wahrheit in die traditionelle Ikonografie brachten. In einer Zeit tiefer Schismen innerhalb der Anglikanischen Kirche, die sich neben den Zerwürfnissen zwischen High Church und Low Church auch noch dem stärker werdenden Katholizismus entgegen stellen musste, brachen die Präraffaeliten mit Konventionen. Hunts The Light of the World steckt voller symbolischer Referenzen, die allerdings für den Laien kaum ikonografisch zu entschlüsseln sind. Die Symbolsprache bezieht sich auf Bibelzitate und dient, wie Barringer richtig argumentiert, keiner mystifizierten Darstellung Christi, sondern bildet ein Bekenntnis protestantischer Arbeitsmoral und einen Aufruf an die Evangelikale Kirche zum Kampf gegen starre Edikte und Diskussionen abseits der Realität.
Im letzten Kapitel führt Barringer die Entwicklungen der einzelnen Präraffaeliten nach dem Zerfall der kurzlebigen Bruderschaft und gut nachvollziehbar auf. Auch werden die Zusammenhänge und Unterschiede zum Aesthetic Movement herausgearbeitet. Hier ist sicherlich D.G. Rossetti die herausragende Schnittstelle, dessen Bildthemen sich bereits in den 1860er-Jahren von den Hogarthschen Erzählstrukturen abwenden und hin zu sexuellen Wunschvorstellungen und sinnlichen Darstellungen verschieben. Dies drückt nicht zuletzt auch die formalstilistische Abwendung von den präraffaeltitischen Vorbildern der frühen Jahre aus, die einer Auseinandersetzung mit dem Paradigma der Hochrenaissance weicht.
Im Schlusswort führt Barringer die zeitgenössische Rezeption der Präraffaelitischen Bruderschaft aus. Durch W.H. Hunts eigene Aufarbeitung wird die Strömung, die in den 1850er-Jahren als radikal, modern und experimentell begann, ein halbes Jahrhundert später als reaktionäres und nationalistisches Dogma hingestellt.
Zu Gunsten einer Konzentration auf die Hauptvertreter Millais, Rossetti und Hunt werden Woolner, Collinson, Stephens und William Michael Rossetti von Barringer lediglich kurz erwähnt. Auf die in der Forschung ohnehin arg unterrepräsentierten weiblichen Kollegen der Pre-Raphaelite Brotherhood geht er so gut wie gar nicht ein. Neben Elisabeth Siddal wären hier Christina Rossetti, Joanna Mary Boyce, Barbara Leigh Smith und Anna Mary Howitt zu nennen.
Barringer führt konsequent die These aus, dass die dynamische Energie der Präraffaeliten aus den mannigfachen Widersprüchen stammt, die sie umgeben. Dieser innere Konflikt wird in jedem Werk deutlich und spaltet sich auf in die stilistische Verbindung von Historismus und Modernismus, im Brückenschlag zwischen einer florentinischen Frührenaissance und dem britischen Romantizismus des frühen 19. Jahrhunderts sowie den stilistischen Antipoden Symbolismus und Realismus. Barringer liefert somit eine moderne Einführung in die Pre-Raphaelite Brotherhood, die einerseits die Schlüsselwerke präraffaelitischen Schaffens vorstellt und andererseits die Zusammenführung vieler neuer Gedanken und Theorien in kompakter Form leistet.
Beate Kampmann