Christian Schuffels: Das Brunograbmal im Dom zu Hildesheim. Kunst und Geschichte einer romanischen Skulptur (= Quelle und Studien zur Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim; 4), Regensburg: Schnell & Steiner 2012, 160 S., 33 s/w-Abb., 34 Farbtafeln, ISBN 978-3-7954-2255-4, EUR 49,95
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Das Grabmal des Hildesheimer Domherrn Bruno ist einer der raren Glücksfälle, in dem ein anspruchsvolles Monument an einen Kleriker erinnert, der in den Archivalien relativ gut fassbar ist. So ist die Studie von Christian Schuffels sowohl gattungsgeschichtlich als auch forschungsgeschichtlich bemerkenswert: Zwischen den Königen, Päpsten und Erzbischöfen, die allenthalben die Grabmalforschung bevölkern, hat ein Kleriker, der lediglich eine mittlere Karrierestufe innerhalb der Kirchenhierarchie erklimmen konnte, Seltenheitswert. Dabei fehlt gerade der Grabmalforschung noch immer eine breit ausgewertete Materialbasis, mit der die Befunde zum exzeptionellen Einzelmonument unterfüttert werden könnten.
Die Arbeit ist in drei Hauptteile untergliedert, die zuerst der Person Brunos, dann dem Grabmonument und abschließend einem Ausblick in dessen Rezeptionsgeschichte gewidmet sind. Zu Beginn trägt Schuffels die Quellen zusammen, die einen Einblick in das Leben des vermutlich 1200 gestorbenen Kanonikers geben. Aus den Zeugenlisten verschiedener Urkunden kann Schuffels seinen Aufstieg hinsichtlich Weihegrad (diaconus zu presbyter) und Amt (cantor zu cellerarius) nachvollziehen. Auch wenn dieser Weg stagnierte und offenbar andere Kanoniker innerhalb der Hierarchie des Kapitels an ihm vorbeizogen, macht Schuffels plausibel, dass Bruno kein unbedeutender Mitbruder war. So ist er als Stifter bezeugt und auch als Lehrer scheint er zu einiger Reputation gelangt zu sein. Es ist das Verdienst dieses Teils, eindrücklich zu zeigen, wie sich aus verstreuten Hinweisen das plastische Bild eines klerikalen Werdegangs zeichnen lässt.
Dieser insgesamt eher unauffällige Kanoniker hat ein Grabmonument hinterlassen, das nicht weniger plastisch den jenseitigen Aufstieg seiner Seele vom Totenbett zum letzten Gericht inszeniert. Das Bildprogramm zeigt die Aufbahrung des Toten im unteren, die elevatio animae im mittleren und Christus als Weltenrichter im oberen Segment der Tumbenplatte. Diese Kombination ist aus späterer Sepulkralikonografie durchaus geläufig, für das ausgehende 12. Jahrhundert setzt sie aber einen neuartigen Akzent, der das Grabmal als Austragungsort von Totenliturgie und Gebetsgedenken sinnfällig in die sepulkrale Bildwelt übertrug.
Spätestens im Abschnitt zur Datierung wird deutlich, wie singulär das bildnerische Format des Grabmals innerhalb der Hildesheimer Grabplastik ist, weshalb Schuffels auf der Suche nach typengeschichtlichen und ikonografischen Parallelen weite Bögen über die europäische Sepulkralkunst schlagen muss. Hier ist nicht alles überzeugend, mancher Vergleich erscheint unpassend, etwa wenn er zur elevatio animae eine dem heiligen Stephanus gewidmete Bildszene in Arles anführt, die als Fassadenrelief einem gänzlich anderen Kontext angehört und zudem der narrativen Dramatik eines Martyriums verpflichtet ist. Hinzu kommt manche Lesart, der man nicht unbedingt folgen will. So ist die Geste des Klerikers, der im unteren Bildfeld unter das Kinn des Toten fasst, von Renate Kroos zu den Maßnahmen gezählt worden, mit denen die Leiche zur Aufbahrung hergerichtet wurde [1]. Schuffels argumentiert aber, dass die Bildszene nicht erst die Herrichtung, sondern schon den aufgebahrten Toten zeige. Insofern zieht er eine Parallele zu der innigen Verbindung, die aus der sponsus-sponsa Ikonografie der Hoheliedkommentare bekannt ist und folgert daraus, die Geste des Klerikers drücke dessen "Zuneigung [...] wohlgemerkt in einem anderen Lebenszusammenhang" aus (73). Das erscheint unnötig kompliziert und überschätzt den Realitätsgehalt der Bildszene, wie Schuffels auch manches Bilddetail allzu wörtlich versteht. Hier könnte ein Blick in Brunos Biografie erhellend sein, denn zu den Aufgaben des Kellerers gehörten auch die Exequien und so mochte die Sorge des Klerikers dem Bruder gelten, der sich zuvor der Toten angenommen hatte. Dies sind jedoch Marginalien, die den Ertrag dieser Kapitel nicht schmälern sollen.
Die Entscheidung für eine monografische Betrachtung hat Vorzüge, ist allerdings auch mit Nachteilen verbunden, die sich unmittelbar erschließen, wenn man die Studie vor der Folie der rezenten Grabmalforschung liest. Dass diese unter dem Leitmotiv der 'Memoria als Kultur' (Otto Gerhard Oexle) unsere Einsichten in die religiöse und politische Gedenkpraxis des Mittelalters vervielfältigt hat, wird niemand mehr ernsthaft bestreiten können. Da in der Grabmalforschung mittlerweile eine Dominanz des Politischen zu verzeichnen ist, sich Memoria zunehmend mit Repräsentation und Legitimation verschwistert, kann die Studie eine Position im wieder dringlicher werdenden Desiderat der religiösen Memorialpraxis behaupten.
Nun begegnet der Schlüsselbegriff Memoria bei Schuffels zum ersten Mal auf Seite 106 der insgesamt 113 Textseiten, obwohl die Grabmalikonografie ein Lehrstück liturgischer Memoria dokumentiert. Aufgrund einer sorgfältigen Inspektion der Bildszenen und der Inschriften zeigt Schuffels, auf welchen Prämissen die Erlösungshoffnung des Verstorbenen beruhte und wie das Monument die theologischen Grundlagen der Fürbitte in Wort und Bild artikuliert. Hier bewährt sich, dass Schuffels die liturgischen Adaptionen der Evangelientexte gegenliest, etwa diejenige des Stammheimer Missales, das in einem Hildesheimer Skriptorium entstanden ist und dem er das Vorbild für die den Matthäusvers Mt. 25,34 paraphrasierende Inschrift entnimmt. In diesen Grundtenor des Programms kann Schuffels die Figuren der Kleriker und Bettler an der Totenbahre einbinden, die das konstitutive Prinzip von Gebetsgedenken und Almosenspende verdeutlichen. Gerade den Bettlern ist aber eine handgreifliche Nähe zum Toten eigentümlich, die auch an den Reliquienkult denken lässt. Zwar erteilt Schuffels mit guten Gründen dem Motiv der Heiligenverehrung eine klare Absage. Hier wäre aber grundsätzlich über die Wahrnehmungskonventionen in der Bildpraxis von Toten- und Heiligenkult nachzudenken. Die Grenzen sind zuweilen schwimmend, wie am Beispiel Papst Klemens IV. (gest. 1268) gezeigt wurde - freilich war dort die Verehrung durch Wunder legitimiert [2].
Die abschließende Zusammenfassung zeigt dann doch, dass eine konsequente Einbindung der Memoriaforschung nützlich gewesen wäre. Indem Schuffels dort etwas eindimensional das Motiv der caritas betont, wird der Zusammenhang von Armenfürsorge und Jenseitshoffnung auf das persönliche Verdienst des Kanonikers gemünzt. Der Begriff des Gabentausches (Marcel Mauss) hätte das reziproke Verhältnis, das die Gedenkpraxis des Mittelalters gekennzeichnet hat, deutlicher akzentuieren können. Mit Recht verwehrt sich Schuffels dagegen, die Stifter hätten sich "religiöser Aussagen und Motive bloß deswegen bedient, um ihre weltlichen Interessen zu bemänteln" (84). Doch sind beide Interessen nicht immer säuberlich zu scheiden und gerade die Memoriaforschung ist immer dann überzeugend, wenn sie zeigt, wie die Formung eines Selbstbildes eine Schnittmenge dessen bildete, was möglich und was wünschenswert war: also im besten Sinn imagebildend verfuhr.
Wohl auch wegen der langen Inkubationszeit des vorliegenden Buches - offenbar handelt es sich um die gekürzte Fassung einer 2004 fertig gestellten Dissertation - muss das Resümee zwiespältig ausfallen. Vieles ist zutreffend dargestellt, kaum etwas ist aber neu und geht über die Ergebnisse hinaus, die Renate Kroos schon zum Zusammenhang von Grabbild und Totenliturgie präsentiert hat. Zudem verweist Schuffels im Hinblick auf zahlreiche kontrovers debattierte Themen auf die Darstellung in seiner Dissertation, deren Erscheinen angekündigt, aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erfolgt ist. Hier wären wenigstens Zusammenfassungen über den Stand der Diskussion hilfreich gewesen.
Insgesamt gesehen ist die Studie, man möchte fast sagen, hinreißend altmodisch, sie drückt sich nicht um prosopografische und paläografische Sorgfalt herum und stellt sich auch der Frage nach dem ursprünglichen Aufstellungsort der Tumba. Es bleibt Schuffels' Verdienst, ein Hauptwerk romanischer Grabkunst, ansprechend bebildert und mit einem Quellenanhang versehen, in einer umfassenden Arbeit vorgestellt zu haben, die man uneingeschränkt zur einführenden Lektüre empfehlen möchte. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Renate Kroos: Grabbräuche - Grabbilder, in: Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter, hgg. von Karl Schmid / Joachim Wollasch (= Münstersche Mittelalter-Schriften; Bd. 48), München 1984, 285-343, siehe 288 mit Anm. 17.
[2] Vgl. Hans Körner: "Praesente cadavere". Das veristische Bildnis in der gotischen Grabplastik Italiens, in: Die Trauben des Zeuxis. Formen künstlerischer Wirklichkeitsaneignung, hgg. von Hans Körner u.a. (= Münchner Beiträge zur Geschichte und Theorie der Künste; Bd. 2), Hildesheim 1990, 41-60 sowie Dominic Olariu: Körper, die sie hatten - Leiber, die sie waren. Totenmaske und mittelalterliche Grabskulptur, in: Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation, hgg. von Hans Belting u.a., München 2002, 85-104.
Viola Belghaus