Arne Karsten / Philipp Zitzlsperger (Hgg.): Tod und Verklärung. Grabmalskultur in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, 312 S., ISBN 978-3-412-14303-9, EUR 39,90
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Seit nunmehr zwei Jahrzehnten ist die Forschung zu mittelalterlichen Grabmonumenten durch den Leitbegriff der Memoria geprägt und spätestens mit diesem Tagungsband dürfte er auch aus der Forschung zur Frühen Neuzeit nicht mehr wegzudenken sein. Durch den Fokus auf die soziale und kulturelle Dimension des Totengedächtnisses konnte belegt werden, dass die religiöse Funktion des Grabmals um den höchst irdischen Aspekt der Selbstdarstellung zu erweitern ist. Der Zusammenhang von Memoria und Repräsentation oder, zuletzt prägnanter formuliert, von Image und Memoria hat sich als überaus fruchtbare Fragestellung etablieren können und wurde trotzdem nur verspätet und zögerlich auf Problemfelder der Frühen Neuzeit übertragen, in der die Grabmonumente vielerorts hauptsächlich unter den Prämissen von Künstlerbiografie und Kunsttheorie diskutiert wurden.
Dass der vorliegende Band sich als dezidierte Annäherung an die Memoria-Forschung versteht, macht schon der Titel deutlich: Das Begriffspaar von Tod und Verklärung variiert die oben genannten Leitmotive - wobei Verklärung eine nachträgliche Weichzeichnung impliziert und damit prägnant auf das oftmals problematische Verhältnis von Fremd- und Selbstwahrnehmung verweist. Auch wenn der Titel das Thema relativ offen formuliert, bleibt die Mehrzahl der Beiträge auf die römische Gedächtniskultur des Cinque- und Seicento konzentriert. Wer jedoch eine ausschließliche Fokussierung auf die einschlägigen Papstgrabmäler der Epoche erwartet, sieht sich angenehm enttäuscht, denn die vierzehn Aufsätze nähern sich ihrem Thema erfreulich vielfältig und gewissermaßen von seinen äußeren Rändern her.
Die spezifische Konstellation römischer Gedächtniskultur skizziert Volker Reinhardt in seinen einleitenden Überlegungen, in denen er zwei grundsätzliche Parameter hervorhebt: die informell-formelle Institution des Nepotismus sowie ein grundsätzliches Vertrauen römischer Eliten auf die ästhetisch formulierte Botschaft, dessen rhetorische Eloquenz das Defizit bedeutender Geschichtswerke auffängt. Dementsprechend rücken eine Reihe von Beiträgen die umtriebigen Aktivitäten der Kardinalnepoten im Dienst päpstlicher Erinnerungsstrategien in den Vordergrund und präsentieren an denkbar unterschiedlichen Beispielen die politische Funktion der Memoria. So zeigt Birgit Emich, dass die Papstmemoria nicht zwangsläufig an das Grabmal im Zentrum des Kirchenstaates gebunden war und Gedenkmünzen, Wappen und Bildnis zur zeichenhaften Markierung territorialer Zugewinne eingesetzt wurden. Daniel Büchel stellt eine weitere vom Grabmal abgelöste Form der Memoria vor, die prägnant das gesellschaftliche Klima der kirchlichen Wahlmonarchie abbildet, in der das Pontifikat für die Familie des Papstes einen steilen sozialen Aufstieg bedeutete. Büchel zeigt, wie fingierte Genealogien den Mangel der Aufsteiger an Tradition und Anciennität ausgleichen sollten, um den alteingesessenen Adelsfamilien gegenüber konkurrenzfähig zu werden. Der erstaunlichste Befund in diesem Zusammenhang ist die Selbstverständlichkeit mit der selbst die kühnsten Konstruktionen Glaubwürdigkeit beanspruchten, wie auch Aufsehen erregende Fälscherskandale eher die Ausnahme blieben.
Dass der Bezug auf die Vorfahren und eine glanzvolle Familientradition auch in die visuelle Gedächtnisinszenierung übernommen wurden, dokumentieren die Beiträge von Arne Karsten und William Barcham. Die Familie Santacroce etwa lenkt mit einem Epitaph für die vier Kardinäle der Familie von ihren Ursprüngen aus dem Sozialmilieu der Kaufleute ab und wählt damit für ihre Grablege in S. Maria in Publiculis eine Repräsentationsform, die in der Gedächtniskultur der etablierten römischen Familien offensichtlich keine Verwendung fand. Der venezianische Kardinal Federico Cornaro eroberte sich eine Grabkapelle in der als Begräbnisort überaus populären Kirche S. Maria della Vittoria und warf in der Ausstattung die kollektive Leistung seiner Familie in die Waagschale, um seinen eigenen Ambitionen auf den Papstthron Nachdruck zu verleihen. Und schließlich zeigt Carolin Behrmann am Beispiel des Grabmals für Urban VIII. die Kehrseite des sozialen Aufstiegs, wenn sie die Grabmalstiftung aus der Krise und dem Machtverlust nach dem Ende des Pontifikates als versuchte und letztlich geglückte Rehabilitation der Barberini-Familie beleuchtet.
Der Fokus der politischen Instrumentierung führt zweifellos zu eindrucksvollen und einleuchtenden Ergebnissen. Dennoch bleibt ein Aspekt unberücksichtigt: Die Position des ausführenden Künstlers in dem verzweigten Netzwerk gegenseitiger Abhängigkeiten und Verpflichtungen wird allenfalls gestreift. Diese fehlende Perspektive ist in Behrmanns Beitrag besonders auffällig. Man würde gern etwas über Berninis Interesse an dem Grabmalprojekt erfahren, immerhin dokumentiert die fortgesetzte Verzögerung der Enthüllung, um das Werk bei optimaler Beleuchtung zu präsentieren, etwas von den Ambitionen, die um eine wohl wollende Aufnahme durch die römische Öffentlichkeit warben. Denn schließlich war durch den Sturz der Barberini auch für deren Protegé Bernini eine prekäre Situation eingetreten.
Es gehört jedoch zu den Vorzügen des Bandes, dass Aspekte, die man bei dem einen Beitrag vermisst, durch andere Beispiele aufgewogen werden. So nehmen Nicole Hegener und Andreas Gormans die Perspektive des Künstlers ein und zeigen wie ein ehrgeiziger Bildhauer vom Glanz der Papstmemoria profitieren konnte. Gormans Analyse der Grabstatue Pauls III. streift das Problem wie nebenbei und dennoch höchst aufschlussreich, wenn er aus der programmatischen Konzeption der Pluvialreliefs auf eine "interaktive" Rezeption bei ebenerdiger Aufstellung schließt; die vom Künstler durchgesetzte erhöhte Aufstellung das Grabmal jedoch zum Monument seiner Kunstfertigkeit werden ließ.
Schon auf Grund der günstigeren Quellenlage wird die Frage nach den Intentionen der Auftraggeber weitaus häufiger gestellt als die nach der Rezeption der Gedächtnismonumente. Doch trotz fehlender Quellen bildet die öffentliche Reaktion den einzigen Gradmesser in der zentralen Frage, ob und wie die Politisierung des Grabmals wahrgenommen, diskutiert und damit erst wirksam wurde. In dieses Desiderat zielt Dietrich Erben, der einerseits am Beispiel eines "ikonoklastischen Vorstoßes" (118) gegen ein Grabmal die politisch gefärbte Wahrnehmung belegen kann und andererseits auf zeitgenössische Traktate verweist, die das Grabmal der architectura civilis zuschlagen und damit die sakralen den weltlichen Funktionen unterordnen. Das Gegenbeispiel hingegen liefert Sible de Blaauw mit dem Grabmonument des Kardinals Francisco Quiñones in S. Croce in Gerusalemme, das in der Kombination von schlichtem Bodengrab und Sakramentstabernakel Memoria und Liturgie vereint, darüber hinaus die Gruppenidentität der spanischen Titelkardinäle auch durch den spezifisch spanischen Typus des Tabernakels betont. Regionale Besonderheiten und deren politische Verweisfunktionen zeigt auch Philipp Zitzlsperger am Beispiel der Sansovino-Grabmäler in S. Maria del Popolo, die mit dem venezianischen Triumphbogenmotiv eine römisch-venezianische Bündnisachse beschwören.
Der überaus anregende und lesenswerte Band zeichnet die römische Gedächtniskultur als vielschichtiges und vor allem dezidiert politisches Gefüge, in dem die Bild- und Symbolsprache der Grabmonumente auf Legitimation, Repräsentation und damit auf öffentliche Wirksamkeit ausgerichtet war. In der Einzelanalyse leistet die historische Kontextualisierung die wichtige Einsicht, dass päpstliche Bildpropaganda weniger einer individuellen als vielmehr einer kollektiven Memoria verpflichtet war, die sich in der Regel auf den Familienverband, darüber hinaus aber durchaus auch auf gesellschaftliche Gruppen oder sogar politische Allianzen erstrecken konnte. Die Konzentration auf römische Beispiele ergibt ein dichtes facettenreiches Bild, und die Vielzahl differierender Fragestellungen reproduziert die Vielfalt der Bildformen und Aussageabsichten, aber auch zahlreiche argumentative Querverbindungen.
Eben diese Konzentration jedoch erfährt mit dem einzigen nordeuropäischen Beispiel eine weitsichtige Bereicherung, deren Tragweite nicht zu unterschätzen ist. So zeigt Gregor Rohmann am Beispiel der Hansestadt Hamburg, dass Gedächtniskultur durchaus ohne eine ausgeprägte Grabmalskultur denkbar ist, dass ephemere Ausprägungen wie Begräbniszeremoniell und Leichenzug die repräsentative Funktion des Grabmals ersetzten und damit eine anders strukturierte Gesellschaft abbilden, die weniger der Tradition ihrer Vorfahren als vielmehr einem weit verzweigten Netz gesellschaftlicher Beziehungen verpflichtet war. Der Blick in den Norden eröffnet indessen auch eine Sicht auf die Kontinuitäten und Diskontinuitäten des memorialen Gedächtnisses in Perioden sozialen Wandels unter dem Einfluss unterschiedlicher gesellschaftlicher, politischer und religiöser Vorstellungen. Dieser übergreifenden Perspektive frühneuzeitlicher Gedächtniskultur ist eine rege Diskussion zu wünschen.
Viola Belghaus