Elena Taddei / Michael Müller / Robert Rebitsch (Hgg.): Migration und Reisen. Mobilität in der Neuzeit (= Innsbrucker Historische Studien; Bd. 28), Innsbruck: Universitätsverlag Wagner 2012, 416 S., ISBN 978-3-7065-5111-3, EUR 49,90
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Robert Rebitsch: Matthias Gallas (1588-1647). Generalleutnant des Kaisers zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Eine militärische Biographie, Münster: Aschendorff 2006
Die historische Reise- bzw. Reiseliteraturforschung ist gerade innerhalb der Frühneuzeitforschung ein seit einigen Jahrzehnten etabliertes Forschungsfeld. Die Ergebnisse in diesem Bereich sind beachtlich. Auch die historische Migrationsforschung hat sich ihren festen Platz innerhalb der historischen Wissenschaften erarbeitet, gekennzeichnet durch zahlreiche Publikationen. Vor diesem Hintergrund ist der vorliegende neue Sammelband zur Mobilität in der Neuzeit grundsätzlich zu begrüßen.
Der Band umfasst sechsundzwanzig Beiträge, die sich ungleichmäßig über vier Sektionen verteilen (Ökonomisch I, Wissenschaftlich II, Religiös III motivierte Mobilität und "Problematische" Mobilität IV). Das zeitliche und thematische Spektrum reicht dabei von dem gelungenen Beitrag Helmut Hundsbichlers "Räume der Fremdheit im 'Itinerarium' des Paolo Santonino (1485-1487)" (253-265) bis hin zu Martina Sochins "Emigration auf Staatsbeschluss. Mobile Frauen in der Geschichte Liechtensteins" (351-361) bezogen auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Was schmerzlich fehlt, ist eine fundierte Einleitung. Sowohl der Titel als auch der Untertitel erfordern diese bereits zwingend, nicht zu reden von der thematischen und zeitlichen Breite der Beiträge. Das knappe Vorwort ist hier kein Ersatz und wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet.
Problematisch scheint schon die zeitliche Einordnung des Bandes. "Neuzeit als Epoche" (11) meint mit Blick auf die Beiträge hier offensichtlich den Zeitraum vom späten Mittelalter bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Kennzeichen dieser "Epoche" wird die Mobilität benannt, die dann mit Reisen und Migration etwas konkretisiert wird, ohne weiter auf die Berührungspunkte bzw. Unterschiede zwischen beiden Formen der Mobilität einzugehen. Über die Gründe, weshalb diese Zusammenführung überhaupt vorgenommen wird, geben die Herausgeber keine Auskunft.
Zumindest einige der Beiträge sind durch methodische und teilweise handwerkliche Probleme gekennzeichnet, was an den drei folgenden Beispielen kurz erläutert werden soll. Bedauerlicherweise fällt der vermutlich als programmatischer Einleitungsaufsatz gedachte Beitrag von Stefan Donecker "Migration und ihre Folgen als Motiv frühneuzeitlicher Historiographie und Ethnographie - Anmerkungen zur Vorgeschichte der aktuellen Migrationsdebatte" (15-28) in erster Linie durch eine unhistorische Argumentation auf. Die Kontrastierung gegenwärtiger mit frühneuzeitlichen Aussagen und der erstaunte Hinweis auf die Ähnlichkeit derselben (15, 24) bedeutet noch lange nicht, dass beide das Gleiche meinen. Eine Feststellung wie "Aus heutiger Sicht scheint das frühneuzeitliche Verständnis von Migration mehr als nur gewöhnungsbedürftig." (24) gibt eher Auskunft über den Autor, nicht aber über den von ihm untersuchten Gegenstand. Geradezu unverständlich wird es an anderer Stelle: "Solange wir, als moderne Historikerinnen und Historiker, erforschen wie, wann und warum Menschen in der Vergangenheit gewandert sind, bleibt die Betrachtung etwas einseitig. Es wäre wünschenswert, in einem
Gleichfalls durch methodische Probleme ist der Beitrag von Marie-Luisa Frick "Irritierte Identität. Das weltanschaulich Fremde in Reiseberichten der Frühen Neuzeit" (171-186) gekennzeichnet. Abgesehen davon, dass wichtige Ergebnisse der Alteritätsforschung keine Berücksichtigung finden [2], bezieht sich die Autorin bei ihren Quellen auf übersetzte oder bearbeitete Ausgaben frühneuzeitlicher Berichte. Damit ist aber auch der Weg zu einer Analyse intertextueller Beziehungen zwischen Texten (nicht zwischen den von ihr untersuchten Texten) verbaut. Alle behandelten Reiseberichte stehen in einem intertextuellen Beziehungsgeflecht, das es bei der Analyse der jeweiligen Aussagen zu berücksichtigen gilt. Dass die Kategorien der Beschreibung abhängig von der Ausgangskultur und dem Vorwissen der Autoren sind, ist seit langem Standard und keine neue Erkenntnis. Ohne eine entsprechende Untersuchung der Texte und ihrer Urheber gelangt man aber nicht zu tatsächlich neuen Ergebnissen. Letztlich führt das auch zu einer unhistorischen Betrachtung, dem Vergleich von Texten des 16. und des 18. Jahrhunderts und ihrer Bewertung: "Darum kann Forster tolerant sein, wo Cortez dazu nicht bereit ist." (186) Toleranz aber ist keine Kategorie des 16. Jahrhunderts!
Steffen Leins Aufsatz "Soziale und räumliche Mobilität im Dreißigjährigen Krieg: Peter Melander von Holzappels Aufstieg vom 'Bauernsohn' zum Reichsgrafen" (55-69) bietet in erster Linie einen Überblick über die Karriere Peter Melanders hauptsächlich unter dem Aspekt der sozialen Mobilität. Insgesamt scheint die Bewertung Melanders doch etwas von der Begeisterung über den Untersuchungsgegenstand getragen. Sicher war die Laufbahn beeindruckend und nicht unbedingt typisch. Allerdings gab es, wie auch der Autor am Ende seines Beitrages einräumen muss, durchaus vergleichbare Beispiele. Er erwähnt selbst "Johann Derfflinger" (69), womit der kurbrandenburgische Feldmarschall Georg Freiherr von Derfflinger (1606-1695) gemeint sein dürfte. Dem Rezensenten fallen allein für Brandenburg-Preußen noch die ebenfalls vergleichbaren Beispiele Christoph von Houwald (1601-1661), Georg Adolf Freiherr von Micrander (1638-1722) oder Marcus von der Lütcke ein (1605-1686), allesamt nobilitiert und vermögend aus ihren jeweiligen militärischen Laufbahnen hervorgegangen.
Gleichwohl heben sich einige Beiträge entweder thematisch oder durch die Erschließung neuer Quellen positiv ab. Das betrifft etwa den Aufsatz Stephan Karl Sanders zur Reisetätigkeit im venezianischen Adriaraum in der Mitte des 16. Jahrhunderts (29-42), der anhand einer quantitativen und qualitativen Analyse von Procura-Verträgen aus den venezianischen überseeischen Besitzungen nachgegangen wird. In gewohnt souveräner Weise behandelt Eva Bender die Begleitpersonen von Prinzen auf ihren Reisen für die Zeit des späten 17. Jahrhunderts. Christian Senne widmet sich den Reisen preußischer Offiziere in Afrika in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (225-235). Sascha Weber hingegen erläutert die Maßnahmen der kurmainzischen Landesregierung gegen die Emigration ihrer Untertanen nach dem Siebenjährigen Krieg (309-322).
Abschließend muss auf die auffälligen Fehlstellen in diesem Band verwiesen werden. Diese betreffen etwa neben der peregrinatio academica, den Handwerker- und Gesellenreisen und den Bereich der Gesandtschaften letztlich auch die Bildungs- und Forschungsreisen im 18. Jahrhundert und das weite Feld der religiös motivierten Migration (Hugenotten, Waldenser etc.) Die angesprochenen konzeptionellen und formalen Schwächen des Bandes gehen zu Lasten der Herausgeber. Es bleibt letztlich aber auch die Frage, ob es eine glückliche Entscheidung ist, zwei etablierte Bereiche der historischen Forschung zusammenführen zu wollen, die zwar einzelne Berührungspunkte aufweisen, grundsätzlich aber unterschiedliche Phänomene untersuchen.
Anmerkungen:
[1] Matthias Asche: Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts, Münster 2006, bes. 553-656.
Alexander Schunka: Gäste die bleiben. Zuwanderer in Kursachsen und der Oberlausitz im 17. und frühen 18. Jahrhundert (= Pluralisierung und Autorität; 7), Hamburg 2006.
[2] Wolfgang Reinhard: "Eine so barbarische und grausame Nation wie diese". Die Konstruktion der Alterität Spaniens durch die Leyenda Negra und ihr Nutzen für allerhand Identitäten, in: Hans-Joachim Gehrke (Hg.): Geschichtsbilder und Gründungsmythen (= Identitäten und Alteritäten; 7), Würzburg 2001, 159-177. Frauke Gewecke: Wie die neue Welt in die alte kam. Stuttgart 1986.
Holger Kürbis