Robert Rebitsch (Hg.): 1618. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, Wien: Böhlau 2017, 229 S., ISBN 978-3-205-20413-8, EUR 24,99
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Die Erinnerung an den Prager Fenstersturz von 1618 ruft immer auch zugleich die Vorstellung von dem hervor, was danach folgte: einem zerstörerischen Dreißigjährigen Krieg, der erst 1648 nach langen Verhandlungen zu einem Ende gebracht werden konnte. Der von dem Innsbrucker Historiker Robert Rebitsch konzipierte kleine Sammelband ist dagegen thematisch klar auf den Beginn der militärischen und politischen Verwicklungen bis in die 1620er-Jahre, zum geringen Teil noch bis in die 1630er-Jahre, zugeschnitten. Dies hat immerhin die Chance eröffnet, die zu dieser Zeit noch von spezifischen Hoffnungen und Befürchtungen geprägten Perspektiven der Akteure zu akzentuieren und über sehr verschiedene Möglichkeitshorizonte zu reflektieren.
Nichtsdestoweniger werden in zwei einführenden Beiträgen auch Kausalzusammenhänge präsentiert, die erklären, wie es zu einem dermaßen langen Krieg kommen konnte. Michael Rohrschneider hat seinen Aufsatz dem europäischen Mächtesystem um 1600 gewidmet, das er als ein "Ensemble neuralgischer Zonen" ansieht. Wie bedeutend der Kampf der verbündeten habsburgischen Monarchien, des Kaisertums im Reich und des Königtums Spanien, um ihre Machtstellung in Europa war, lässt sich allein schon aus der Tatsache ableiten, dass dieses Ringen als konsistenter roter Faden während des gesamten Dreißigjährigen Krieges beobachtbar ist. Gut nachvollziehbar ist von daher, dass die verschiedenen Konfliktfelder, in denen die Vorherrschaftsansprüche dieser beiden "composite monarchies" auf Widerstand trafen, in Rohrschneiders Aufsatz stringent umrissen und ihre Feinde benannt werden: das Königtum Frankreich, die Republik der Vereinigten Niederlande, die Osmanen und letztlich auch die Reichsstände als Gegenspieler des Kaisers, unter ihnen insbesondere jene, die sich als einer konfessionellen Front zugehörig sahen, wie der Kurfürst der Pfalz. Dem Leser wird in aller gebotenen Kürze ein komplexes "Theatrum Europaeum" unterbreitet, das weder die schwerwiegenden Auseinandersetzungen Schwedens und Dänemarks um die Herrschaft im Ostseeraum noch die Rollen der vielfältigen italienischen Staatenwelt oder der Schweizer Eidgenossenschaft ausblendet.
Man ist etwas verblüfft, wenn man unmittelbar im Anschluss den Titel des Beitrags von Axel Gotthard "Die Ursachen des Dreißigjährigen Krieges" zur Kenntnis nimmt und feststellt, dass hier nun der Ausbruch dieses Ereignisses ganz allein auf die konfessionellen Konfliktlagen, insbesondere im Reich, zurückgeführt wird. Gotthard geht intensiv auf den Augsburger Religionsfrieden ein, dem er zuschreibt, in entscheidenden Belangen seiner Zeit zu weit vorausgeeilt zu sein. Dies impliziert die völlige Unfähigkeit der Akteure, den friedlichen Ausgleich in Religionsangelegenheiten zu finden. Ausgegangen wird von einem Pulverfass (59), das letztlich explodieren musste. Leider erfahren wir zu wenig über Forschungen der letzten Jahre, die den Umgang von Menschen der Frühen Neuzeit mit konfessioneller Pluralität im Alltag thematisiert haben. Die Behauptung, dass die einzige interkonfessionelle Gemeinsamkeit der Akteure im Gefühl einer gegenseitigen Bedrohung bestanden habe (57), erscheint angesichts permanenter Friedensbemühungen im Reich und insbesondere des intensiven Reichsdiskurses, den der lutherische Kurfürst von Sachsen, Johann Georg I., über Jahre pflegte, zu stark zugespitzt.
Dass Bedrohungsgefühle die Handlungsoptionen verschiedener konfessioneller Gruppen im Reich entscheidend prägten, darf wiederum nicht in Abrede gestellt werden. Insofern sind die beiden Beiträge von Stefan Ehrenpreis und Michael Kaiser über die protestantische Union und die katholische Liga, in denen intensiv darauf eingegangen wird, wichtige Teile des vorliegenden Bandes. Ehrenpreis sieht die existentiellen Befürchtungen verschiedener Reichsstände angesichts der Acht über die Reichsstadt Donauwörth und die Kompetenzausweitung eines gegenreformatorisch agierenden Reichshofrates als entscheidend für das Zustandekommen des protestantischen Bündnisses an. In Analogie sieht Kaiser die Gründung der katholischen Liga 1609/10 und deren Neugründung (Reassumption) im Mai 1619 als Ergebnisse einer "angstgetriebenen Politik". Auch im Charakter des Herzogs von Bayern, Maximilian I., als politischem Kopf dieses Bündnisses sieht er "starke Züge von Misstrauen und auch Unsicherheit" (104). Diese Eigenschaften ließen sich aber, Kaiser zufolge, auch in Situationen beobachten, in denen konfessionelle Gegensätze zurücktraten: So erschien dem bayerischen Herzog, seit 1623 Kurfürst, der Auf- und Ausbau der verbündeten großen Armee unter Wallenstein als eine zunehmende Bedrohung der Liga. Letztlich zeigen sich die Grenzen von Ansätzen, die einen schematischen bikonfessionellen Gegensatz im Reich für die Erklärung kriegerischer Gewalt in Anspruch nehmen, auch darin, dass es gar nicht zu den beiderseits befürchteten militärischen Auseinandersetzungen zwischen der katholischen Liga und der protestantischen Union kam.
Die drei letzten Beiträge des Bandes sind dem Schauplatz Böhmen gewidmet: Jan Kilián geht auf die lokalen religiösen Konflikte in Braunau und Klostergrab ein, die Wellen schlugen und zu den Anlässen des (dritten) Prager Fenstersturzes gehören. Lothar Höbelt setzt sich detailliert mit der Entmachtung von Melchior Khlesl, Minister von Kaiser Matthias, als "letztem Akt des Bruderzwists" im Hause Habsburg am 20. Juli 1618 auseinander. Schließlich erfahren wir von Robert Rebitsch, wie und wo es zu den ersten Kampfhandlungen des Dreißigjährigen Krieges kam, in dem die Schlacht am Weißen Berg die erste große Entscheidungsschlacht bildete. Es ist sehr zu begrüßen, dass wir nun eine neuere Darstellung des Laufs der Ereignisse vorgelegt bekommen haben.
Ganz allgemein kann man dem Band bescheinigen, dass er die Entstehung des großen Krieges prägnant dokumentiert und wichtige Erklärungen beinhaltet. Es ist gut, dass wir ihn jetzt haben.
Ralf-Peter Fuchs