Nasser Rabbat: Mamluk History through Architecture. Monuments, Culture and Politics in Medieval Egypt and Syria (= Library of Middle East History; Vol. 21), London / New York: I.B.Tauris 2010, XIV + 261 S., ISBN 978-1-84511-964-5, GBP 45,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Konrad Hirschler: The written word in the medieval Arabic lands. A social and cultural history of reading practices, Edinburgh: Edinburgh University Press 2011
Bassam Tibi: Euro-Islam. Die Lösung eines Zivilisationskonfliktes, Darmstadt: Primus Verlag 2009
Bernard Lewis: The End of Modern History of the Middle East, Stanford, CA: Hoover Institution Press 2011
Reinhard Härtel (Hg.): Akkulturation im Mittelalter, Ostfildern: Thorbecke 2014
Peter Feldbauer / Jean-Paul Lehners (Hgg.): Die Welt im 16. Jahrhundert, Wien: Mandelbaum 2008
Finbarr B. Flood: Objects of Translation. Material Culture and Medieval "Hindu-Muslim" Encounter, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2009
William Darymple / Yuthika Sharma (eds.): Princes and Painters in Mughal Delhi, 1707 - 1857, New Haven / London: Yale University Press 2012
Avinoam Shalem: The Oliphant. Islamic Objects in Historical Context, Leiden / Boston: Brill 2004
Im Zentrum des Sammelbands Mamluk History through Architecture von Nasser Rabbat steht die Architektur aus der sogenannten Mamlukendynastie (1250-1517) in Ägypten und Syrien. Bei den einzelnen Beiträgen handelt es sich ausschließlich um Artikel von Nasser Rabbat, die er zum größten Teil bereits in der in dieser Publikation vorliegenden Form in den letzten zwanzig Jahren publizierte. Das Ziel dieses Sammelbandes ist es, mit dem Fokus auf die Architektur als primäre Quelle, eine "mamlukische Kultur" zu dekodieren und einen Einblick in die "Mentalität" einer mamlukischen Elite erhalten zu können [xi]. Diese mamlukische Elitenkultur in Ägypten und Syrien, die sich durch eine eigene konstruierte Identität und ein besonderes Zugehörigkeitsgefühl (ʿaṣabiyya) auszeichnete, unterschied sich demnach mehr oder weniger stark von der restlichen Gesellschaft in Ägypten und Syrien (x). Die Sozialgeschichte dieser Gruppe lässt sich, nach der Meinung von Nasser Rabbat, am besten an der Herrschaftsarchitektur belegen, da schriftliche Quellen aus der Mamlukenzeit zumeist von Mitgliedern aus nichtmamlukischen sozialen Gruppen, wie den ʿulamāʾ, verfasst wurden [x].
Um diese Analyse umfassend durchführen zu könne, zieht Nasser Rabbat neben der Architektur jedoch auch arabische Primärquellen aus dem 12.-17. Jahrhundert heran, um die Architektur selber bestimmen, aber auch die von den Objekten abgeleiteten historischen Aussagen ratifizieren zu können. In den fünfzehn zumeist als Case Studies konzipierten Aufsätzen des Buches findet man in vier thematisch geordneten Kapiteln zumeist interdisziplinär angelegte Studien. Diese umfassen typologische Studien, Rekonstruktionen von bedeutungstragenden architektonischen Elementen anhand von Textquellen, Untersuchungen der mittelalterlichen arabischen Lexika, Rechtstexten und Chroniken hinsichtlich ihrer terminologischen Verwendung von architektonischen Begriffen, Rekonstruktionen machtpolitischer Ereignisse in einem dafür geschaffenen Raum anhand der Architektur und Beschreibungen in den Quellen. Auf Grund dieser Einbeziehung einer Vielzahl von methodischen Herangehensweisen schlägt diese Publikation eine außergewöhnliche Brücke zwischen den "klassischen" islamwissenschaftlich-historischen und kunstgeschichtlichen Ansätzen.
Im ersten Teil "Unpacking Mamluk Sources", analysiert Nasser Rabbat die schriftlichen Quellen aus der Mamlukenzeit hinsichtlich der beschriebenen Legitimierungsstrategien der mamlukischen Eliten. Ein zentraler Punkt hierbei ist die Zugehörigkeit der mamlukischen Herrscher zu der Gruppe der Militärsklaven (mamlūk). In diesem Zusammenhang thematisiert Nasser Rabbat die Problematik des Begriffs Mamluken als wissenschaftliche Kategorie für eine spezifische soziale Elite in Ägypten. Nasser Rabbat kritisiert, dass das historische Modell "dieser Mamlukenherrschaft" als Ergebnis eines wissenschaftlichen Konsens zu sehen ist, aber in den meisten Fällen generalisiert und selten kritisch hinterfragt wurde. [3] Er verweist hierbei auf die bereits seit der Abbasidenzeit im achten Jahrhundert bestehende Tradition, Militärsklaven an muslimischen Höfen zur Stabilisierung der Macht einzusetzen. Ab dem 11. Jahrhundert wurden die Herrschaftssysteme der meisten muslimischen Reiche von Militärsklaven unterwandert, die de facto die Macht übernahmen. Entscheidend für den ägyptischen und syrischen Raum war jedoch für Nasser Rabbat, dass die Mamluken hier nach der Machtübernahme im 13. Jahrhundert das Gesellschaftssystem entscheidend veränderten, in dem sie sich als führende Elite etablierten. Die Architektur diente dieser Elite hier als elementarer Bestandteil einer visualisierten Sprache der Macht und herrscherlichen Legitimierungsstrategien. In den beiden Artikeln "Perception of Architecture in Mamluk Sources" [20-32] und "Architects and Artists in Mamluk Society: The Perspective of the sources" [33-43], zeigt Nasser Rabbat, die Probleme auf, die sich bei der Analyse der Architektur mit Hilfe der arabischen Textquellen aus der Mamlukenzeit ergeben. Seine Analyse verschiedener Texte aus dieser Zeit zeigt, dass sich kaum ein Text mit der formalen und ästhetischen Semantik der Architektur auseinandersetzt. Vielmehr gehen die meisten Autoren, wie zum Beispiel al-Maqrīzī weit mehr auf die funktionale und sozio-ökonomische Funktion des Baus innerhalb eines städtischen Kontextes ein. Ein ähnliches Ergebnis liefert auch die Analyse der verwendeten Terminologie für Künstler und Handwerker während der Mamlukenzeit. Hier zeigt der Autor, dass eine direkte Übertragung der terminologischen Begrifflichkeiten und Kategorien der westlichen Kunstgeschichte auf islamische Kulturen kaum sinnvoll erscheint.
Im zweiten Teil der Publikation "Architecture as History", wird am Beispiel von drei Case Studies demonstriert, in welcher Weise Architektur als Quelle für historische Ereignisse und Prozesse herangezogen werden kann. Bei dem ersten Bauwerk handelt es sich um den Grabkomplex des al-Zahir Baybars, der 1281 in Damaskus fertiggestellt wurde [47-58]. Ein besonderes Merkmal des Baus sind die in ihm befindlichen Architekturdarstellungen, gefertigt in Glasmosaiken. Nasser Rabbat vergleicht diese Mosaike mit umayyadischen und byzantinischen Bauten, wie der Umayyadenmoschee in Damaskus oder der Sant'Apollinare Nuovo in Ravenna. Nasser Rabbat folgert, dass in der Frühzeit der mamlukischen Herrschaft in Ägypten und Syrien der Bezug zu dem kulturellen Erbe der Levante ein wichtiger Bestandteil der Legitimierung der mamlukischen Herrschaft darstellte. Der zweite Artikel des Kapitels diskutiert an Beispielen aus dem Baudekor, in welcher Weise sich an der mamlukischen Architektur eine Militarisierung der Architektur ablesen lässt [59-71]. Nasser Rabbat stellt hierbei die Architektur als eine Versinnbildlichung der mamlukischen Politik im Zuge der militärischen Aktionen gegen die Kreuzfahrer und Mongolenstürme dar. Der dritte Artikel dieses Kapitels behandelt den Bedeutungswandel der al-Azhar Moschee in Kairo, die zwar unter den Fatimiden errichtet wurde, sich jedoch unter den Mamluken zu einer der wichtigsten Lehranstalten des islamischen Kulturraums entwickelte [72-97]. An diesem Gebäude kann Nasser Rabbat zeigen, wie die Bedeutungsinhalte eines prestigeträchtigen Raums durch die Umgestaltung und Erweiterung unter den Mamluken mit einem eigenen Formenbestand zum Zweck der eigenen Legitimierung der Herrschaft inkorporiert und genutzt wurden.
Im dritte Teil "Architecture and Language", untersucht Nasser Rabbat, in wie weit sich Übereinstimmungen in den textlichen Quellen und der Analyse der Architektur ableiten lassen. Der Abschnitt leitet mit einem kurzen Artikel zu waqf-Urkunden oder anderen schriftlichen Quellen ein, wie zum Beispiel den ḫiṭaṭ oder masālik, in denen die sozio-ökonomische Funktion und Nutzung der Gebäude innerhalb des städtischen Raums beschrieben wird [101-103]. In dem folgenden Artikel greift Nasser Rabbat die in der kunstgeschichtlichen Forschung gängige Zuschreibung der Semantik des īwāns in der islamischen Architektur auf und überträgt diese auf die Sultan Hasan Moschee in Kairo [104-111]. In diesem monumentalen Bau mit seinen vier zu einem zentralen Hof hin offenen īwānen sieht Nasser Rabbat demnach eine direkte Bezugnahme zu einer glorifizierten vorislamischen persischen Vergangenheit, in Form eines Bauzitats des legendären ṭāq-i kisra. Nasser Rabbat stützt seinen Vergleich maßgeblich auf einen Anspruch von Ḫalīl al-Ẓāhirī (Mitte 15. Jahrhundert), der die Medresse mit diesem legendären Bau aus der Sassanidenzeit vergleicht [107]. Die beiden letzten Artikel des dritten Teils beschäftigen sich beide ebenfalls mit der Herrschaftsarchitektur der Mamluken. Der erste setzt sich mit der terminologischen Begrifflichkeit und Bedeutung des sogenannten qaṣr auseinander, einschließlich seiner Funktion als Sitz des Herrscherhauses [112-124]. Im letzten Artikel wird dahingegen der Wandel der verschiedenen Audienzräume diskutiert [125-138], die sich fast ausschließlich nur über die Beschreibung in schriftlichen Quellen rekonstruieren lassen. Die Architektur dieser Audienzräume wurde durch jeden Herrscher der Baḥrī Dynastie (1279-1382) nach den eigenen Vorstellungen, meist auf der Grundlage der architektonischen Reste der Vorgänger umgestaltet oder innerhalb eines veränderten urbanen Kontextes neu errichtet. Besonders hervorzuheben ist, dass Nasser Rabbat vor allem in dem Artikel über das qaṣr versucht, die in vielen kunstgeschichtlichen Arbeiten ungenau verwendeten arabischen und persischen Bezeichnungen für spezifische Gebäudeteile anhand der Primärquellen aufzuzählen und genauer zu bestimmen.
In dem letzte Teil der Publikation "Architecture as Cultural Index", untersucht Nasser Rabbat die Bezüge zwischen dem architektonischen Raum und den geschichtlichen Ereignissen und zeremoniellen Handlungen, die in diesem stattfinden, beziehungsweise durch die der Raum schlussendlich gestaltet und hierarchisiert wird. Im ersten Artikel stellt Nasser Rabbat in diesem Zusammenhang die wichtigsten Arbeiten vor, die sich mit der mamlukischen Architektur beschäftigen [141-145]. Hierzu gehört unter anderen der arabische Historiograph al-Maqrīzī aus der Mamlukenzeit, auf dessen al-Mawāʿiẓ wa-'l-iʿtibār fī 1E0F;ikr al-ḫiṭaṭ wa-'l-ʾāṯār viele kunstgeschichtliche und archäologische Arbeiten der Neuzeit, wie die Description de l' Égypte, die Arbeiten von Pascal Coste, Martin S. Briggs, K.A.C. Cresswells oder Doris Behrens-Abouseif aufbauen. In seinem zweiten Artikel analysiert Nasser Rabbat die Bezüge zwischen der politischen Situation zur Zeit der Gegenkreuzzüge und dem Aufbau eines dār al-ʿadl ("Palast der Justiz"), als Teil der herrscherlichen Legitimation in der Ayyubiden- und frühen Mamlukenzeit [146-165]. Besonders die genaue graphische Darstellung der öffentlichen Zeremonielle in der Mamlukenzeit innerhalb der Architektur [159-161] sind beispielhaft durchgeführt und stellen einen sehr gewinnbringenden Beitrag für die islamische Kunstgeschichte dar. Der folgende Artikel dieses Teils ist im Rahmen der kunstgeschichtlichen Forschung ebenfalls ein wichtiger Beitrag des Autors [166-172]. Er zeigt hier, wie problematisch die Verwendung von Terminologien betreffen künstlerischer und ästhetischer Begriffsfindungen im Rahmen der mamlukischen Forschung ist. Er belegt hierbei, dass die wenigen arabischen Quellen aus der Mamlukenzeit sich bei der terminologischen Erfassung und Beschreibung dieser Phänomene lediglich Lehnwörtern aus anderen Disziplinen, wie zum Beispiel der adab-Literatur bedienen. Als Abschluss dieses letzten Kapitels liefert Nasser Rabbat Überlegungen zu der Art und Weise der Wiederverwendung von architektonischen Formen aus der Mamlukenzeit in ägyptischer Architektur ab dem 18. Jahrhundert.
Das transdisziplinär angelegte Buch von Nasser Rabat liefert sowohl für Historiker, als auch Kunsthistoriker eine Fülle anregender Überlegungen. Besonders seine Analysen der Quellen bezüglich terminologischer Begriffe aus dem Bereich der islamischen Architektur, wie z.B. īwān [104-111] oder qaṣr [112-124], die Bezeichnungen der verschiedenen am Bau beteiligten Gruppen von Personen [33-43] oder auch abstrakte Bezeichnungen für ästhetische Begriffe, wie ʿaǧīb und ġarīb [166-172], die in der Kunstgeschichte häufig unpräzise verwendeten werden, machen die Stärke dieser Publikation aus. Darüber hinaus stellt seine Berücksichtigung von schriftlichen Quellen aus der Mamlukenzeit, an Stelle der in der kunstgeschichtlichen Forschung häufig verwendeten Übersetzungen, eine außerordentliche Bereicherung und Schärfung der Forschungsergebnisse dar. Hinzu kommt, dass seine Synthese aus historischen, philologischen und kunsthistorischen Ansätzen für alle Forschungsbereiche spannende und weiterführende Ergebnisse liefert. Nasser Rabbat zeigt, dass und wie eine fundierte Verwendung von schriftlichen Quellen zusammen mit Elementen der Objektkultur, eine Fülle neuer Erkenntnisse über den Untersuchungsgegenstand selbst, die von ihm abgeleiteten sozio-kulturellen Analysen, aber auch neue methodische Herangehensweisen erschließen kann. Problematisch wird dies nur, wenn eine Quellengattung die Lücken der anderen ersetzt, um die Argumentationskette des Autors zu stützen. Dies erscheint besonders augenscheinlich, in dem Artikel über die Verknüpfung des īwān in der mamlukischen Zeit mit einem vorgeblichen sassanidischen "Prototyp" über lediglich eine einzelne kurze einzelne Aussage in einer schriftlichen Quelle [107].
Zusammenfassend können viele der Einzelartikel der Publikation als eine interessante und inspirierende Lektüre bezeichnet werden. Die analytische Einbeziehung von schriftlichen Quellen und Objekten der visuellen Kultur ist vorbildlich für eine Arbeit im Bereich der islamischen Kunstgeschichte. Der gute allgemeine Eindruck wird jedoch etwas durch die Form und Zusammenstellung der einzelnen Artikel getrübt. Diese unterscheiden sich sowohl inhaltlich als auch formal sehr stark voneinander, so dass der Leser mitunter den roten Faden aus den Augen verliert. Hinzu kommt, dass in den älteren Artikeln der Publikation neue Ansätze in der Forschung über die Mamlukenzeit nicht berücksichtigt werden. So beschränken sich die meisten kunstgeschichtlichen Artikel dieser Publikation ausschließlich auf die Architektur im Kontext von Herrschaftsstrukturen und Machtverhältnissen. Neue Forschungen versuchen dahingegen auch den Blick auf die gesamte Gesellschaft außerhalb der Eliten zu legen. Da die meisten der Artikel dieses Buches zudem bereits publiziert wurden, besteht der größte Mehrwert des Sammelbandes darin, einen Einblick in die Arbeit zur mamlukischen Architektur und Elitenkultur dieses Wissenschaftlers zu erhalten. Trotz dieser letzten kritischen Anmerkungen ist die Lektüre dieser Publikation von Nasser Rabbat besonders zum Einstieg in die Architektur der Mamlukenzeit sehr zu empfehlen.
Daniel Redlinger