Éric Vallet: L'Arabie marchande. État et commerce sous les sultans Rasūlides du Yémen (626-858/1229-1454) (= Bibliothèque historique des pays d'Islam; 1), Paris: Publications de la Sorbonne 2010, 872 S., ISBN 978-2-85944-637-6
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Der letzte Gouverneur der Ayyubiden im Jemen verließ im Jahre 1229 die Region in Richtung Syrien und Ägypten, so dass die Macht vor Ort einem gewissen Umar b. Ali b. Rasul zufiel. Nachdem dieser 1235 von dem abbasidischen Kalifen in Bagdad formal anerkannt worden war, nahm er den Titel "al-Malik al-Mansur" an und gründete damit einen wirtschaftlich und politisch sehr erfolgreichen dynastischen Herrschaftsverband, der bis 1454 Bestand hatte, bevor er schließlich von den Tahiriden abgelöst wurde. Die Autorität der Rasuliden, deren urbane Zentren Zabid und Ta'izz darstellten, beruhte in erster Linie auf legitimierter militärischer Kontrolle, weniger auf der Unterstützung durch lokale Gruppen, Familien und Stämme. Im Laufe der Zeit dehnten die rasulidischen Machthaben, die nach der Eroberung von Bagdad sogar selbst den Kalifentitel annahmen, ihren direkten Einflussbereich gen Osten bis nach Zafar aus. Und auch im Norden konnten sich die jemenitischen Herrscher etablieren: Zwar erhoben die Scherifen von Mekka und die Mamlukensultane in Ägypten immer wieder Ansprüche auf die Heiligen Stätten des Islam, doch gelang es den Rasuliden für ein Jahrhundert (1232-1351), die Wallfahrtsorte zu kontrollieren. In der gesamten Epoche bildete allerdings die Hafenstadt Aden das Herzstück des von den jemenitischen Herrschern kontrollierten transregionalen Handelsnetzwerkes. Als zentraler Umschlagplatz für die Gewürze, die über den Indischen Ozean und das Rote Meer in den Nahen Osten und von dort nach Europa transportiert wurden, sorgte Aden für die zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung nötige wirtschaftliche Stabilität.
Vor diesem Hintergrund entwirft Éric Vallet in der hier vorgelegten Studie - eine 2006 an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne angenommene thése de doctorat - ein grandioses Panorama der bemerkenswerten Ausbreitung und Konsolidierung rasulidischer Herrschaft im Jemen von der Mitte des 13. bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts. Dabei bindet er die lokale Geschichte der Dynastie geschickt in das globale ökonomische Netzwerk des Spätmittelalters ein. Die Arbeit entspringt der französischen geisteswissenschaftlichen Tradition, schon mit der Qualifikationsschrift fast ein opus magnum vorzulegen, das unter Auswertung möglichst aller erreichbaren Quellen einen Gegenstand erschöpfend traktiert. So kommen dann gerne auch einmal 800 eng geschriebene Seiten zustande... Die deutsche scientific community nimmt das natürlich gerne zur Kenntnis, denn der Trend amerikanischer Verlage, Abhandlungen unter Verzicht auf einen substantiellen Fußnotenapparat und auf jegliche erläuternden Passagen und Exkurse auf unter 200 Seiten zu drücken, widerspricht doch bisweilen den Anforderungen und Interessen einer fundierten und grundierten deutschen - und eben auch französischen - Gelehrsamkeit, die sich durchaus auch einmal mehr Zeit zur Darlegung eines Argumentes lassen möchte.
Andererseits kann eine Rezension gar nicht den Anspruch erheben, die überbordende Detailfreudigkeit des Werkes einzufangen. Insofern begnüge ich mich mit einer groben Skizze der Buchstruktur. In der Einleitung geht der Verf. kurz auf die geographischen Gegebenheiten und den historischen Hintergrund ein, bevor er seine Quellen und seine theoretische Prämissen benennt. Vallet, der sich der Problematik der Verwendung europäischer Termini zur Beschreibung der rasulidischen Gesellschaft wie auch der Fallstricken des historischen Vergleiches sehr wohl bewusst ist, kann sich auf ein reichhaltiges historiographisches Schrifttum stützen, das bisher nur unzureichend behandelt worden ist.
Das Buch gliedert sich in zwei - etwa gleich umfangreiche - Teile. Zunächst ("L'échange au prisme de l'état. Le grand commerce sous l'empire du fisc rasūlide", 49-298) geht es um die Beschreibung der rasulidischen Verwaltung. Der Autor kann aus den zahlreichen schriftlichen Quellen ("Chapitre 1 - Écrire l'État dans le Yémen rasūlide", 49-112) sehr gut die Administration vor allem von Aden rekonstruieren. ("Chapitre 2 - Aden sous les Rasūlides", 113-164) So werden dem Leser recht plastisch die Zollbehörde und ihre Beamten, die Lager und Stapelhäuser, die Wohnräume der Gouverneure ebenso vor Augen geführt wie das Hafenareal, die verschiedenen Märkte und die städtischen Festungsanlagen. Sehr ausführlich geht Vallet auf die einzelnen Abgaben und Steuern ein ("Chapitre 3 - Le fisc d'Aden, percepteur, acheteur et vendeur", 165-236) und entwirft ein genaues Bild von den komplexen Strukturen und inneren Mechanismen der Zollverwaltung. ("Chapitre 4 - La douane dans l'État rasūlide", 237-296) Im Mittelpunkt des zweiten Teils ("La souverainitée partagée. Le sultanate rasūlide et le controle des réseaux de commerce", 297-626) steht dann die Einbettung des jeminitischen Rasulidenkalifates in das übergeordnete Netzwerk des florierenden Überseehandels. Sinnvollerweise steht am Anfang die Frage der inneren Vernetzung des Rasulidenverbandes. An dem wirtschaftlichen Aufschwung partizipierten natürlich auch die Städte des Hinterlandes - allerdings nicht immer zu gleichen Teilen. Diese Ungleichverteilung führt uns der Autor exemplarische anhand von Zabid und Ta'izz vor Augen. ("Chapitre 5: Le commerce au défi de l'inégale integration du territoire rasūlide", 297-380) Da jedoch die Hauptprofiteure des gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozesses die Häfen waren, erscheint es nur logisch, wenn ein Unterkapitel der Entwicklung der Küstenregionen gewidmet ist. ("Chapitre 6: Entre mer Rouge et golfe d'Aden, l'inégale mainmise des Rasūlides sur les espaces et les échanges côtiers", 381-416) Spannend sind hier zum einen die Bemerkungen zu den Reedereien vor Ort und zum anderen die Einblicke in die Aktivitäten an der afrikanischen Ostküste, zumal der Handel mit Abessinien für die Rasuliden eine wichtige Rolle spielte. Der Blick geht nun gen Norden, in Richtung Hedschas und der mit den beiden Städten Mekka und Medina verbundenen lukrativen Wallfahrt. ("Chapitre 7 - Pèleriner, commercer: sultans du Yémen et marchands au Ḥiğāz", 425-470) Anhand einer Beschreibung der verschiedenen Handelswege vom Jemen nach Mekka und einer Darstellung der dortigen Märkte ist es Vallet möglich, die große wirtschaftliche Bedeutung einer Suzeränität über diesen Raum zu verdeutlichen. Überaus ertragreich ist die Lektüre der beiden sich nun anschließenden Kapitel. In "La saison du Kārim et le contrôle du grand commerce avec l'Égypte" (Chapitre 8, 471-541) erfahren wir eine Menge neuer Dinge über die Zusammensetzung, die Organisation und die Wechselfälle der berühmten Karimi-Kaufleute. In diesem Zusammenhang kommt der Verf. auch auf die nicht immer unproblematischen Beziehungen zum Mamlukensultanat und auf die damit zusammenhängende Kontrolle des Roten Meeres zu sprechen. Einen letzten Schritt, nämlich in die große weite Welt, machen wir dann in dem neunten und letzten Kapitel: "L'horizon indien et la politique océanique des Rasūlides." (541-626) Hier wird deutlich, dass das rasulidische Jemen für etwa 100 Jahre innerhalb des vormodernen globalen Netzwerkes einen wichtigen Knoten darstellte. Die starken Fäden (strong ties) reichten von der Levante, Nordafrika, der afrikanischen Ostküste über den Persischen Golf und den westlichen Indischen Ozean bis zu den Hafenstädten an den Küsten Westindiens.
Insgesamt war der rasulidische Herrschaftsverband - soweit möglich - vergleichsweise stark zentralisiert und verfügte über eine gut funktionierende Administration, die sich um die Steuer- und Zolleinnahmen kümmerte. Der vor allem durch die Teilhabe an dem transregionalen Handel bedingte relative Wohlstand kam in Form von gezielten Investitionen auch der Landwirtschaft zugute. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts verloren die Rasuliden die Kontrolle über Mekka und Medina. Zudem wuchs der Druck des Mamlukensultantes, da sich die Sultane sich in Kairo angesichts innerer und äußerer Krisen nach neuen Einnahmequellen umsahen und die Monopolisierung des Gewürzhandels für sich entdeckten. Hinzu kamen schließlich interne Streitereien im Jemen mit verschiedenen indigenen Gruppen, von denen sich letzten Endes der in Aden ansässige Klan der Tahiriden durchsetzte.
Alles in allem hat Éric Vallet ein großartig gelehrtes, sauber recherchiertes und im besten Sinne anspruchsvolles Werk vorgelegt, das unsere Kenntnisse von den Rasuliden im Jemen auf eine ganz neue Basis setzt.
Stephan Conermann