Tamar Amar-Dahl: Das zionistische Israel. Jüdischer Nationalismus und die Geschichte des Nahostkonflikts, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012, 256 S., ISBN 978-3-506-77591-7, EUR 24,90
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Das Buch, das hier besprochen werden soll, bedarf zunächst einmal einer editorischen Kritik. 2010 veröffentlichte die Historikerin Tamar Amar-Dahl im Schöningh-Verlag ihre an der Universität München entstandene Dissertation [1] - eine biographische Studie über Schimon Peres, den amtierenden Präsidenten Israels. Die Autorin zielte darauf, Weltsicht und Laufbahn des international als Friedenspolitiker gewürdigten Staatsmanns einer Neubewertung zu unterziehen. Sie zeichnete das Bild eines sicherheitspolitischen Hardliners, der voller Vorurteile auf die arabische Welt blicke, jahrzehntelang primär die Interessen des israelischen Verteidigungsapparates vertreten habe und maßgeblich für das Scheitern des Friedensprozesses mit den Palästinensern in den 1990er Jahren verantwortlich sei.
Nun hat Amar-Dahl, die in Israel aufgewachsen ist und heute in Deutschland lebt, im selben Verlag ein weiteres Buch veröffentlicht. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine eigenständige Neuerscheinung; tatsächlich aber hat man es hier mit schlichtem Text-Recycling zu tun. Bei der Darstellung handelt es sich im Kern um eine stark gekürzte Fassung der Peres-Biographie - wobei Titel und Einleitung suggerieren, man halte eine historische Abhandlung zum allgemeinen Thema Israel und Nahostkonflikt in den Händen. Vergleicht man beide Bücher miteinander, so zeigt sich: Manche Stellen wurden neu arrangiert, Absätze oftmals anders gegliedert, kürzere Passagen ergänzt und Formulierungen mitunter leicht verändert; zudem sind die Kapitelüberschriften angepasst. Stand etwa über Kapitel 5 zunächst "Vom Frieden: Peres und der Frieden im Nahen Osten" (297), so heißt es jetzt "Von jüdischer Nationalstaatlichkeit und regionalem Frieden" (181). Doch von solchen Eingriffen abgesehen, ist das Buch in Grundstruktur und tragenden Textteilen eine direkte Wiederverwendung der Peres-Biographie.
Ob man hier von "Eigenplagiat" sprechen muss, sei dahingestellt. Die Textübernahmen gelangten wohlgemerkt nicht in eine akademische Qualifikationsschrift (sondern stammten von dort), und auch Copyright-Fragen dürften keine Rolle spielen, wenn derselbe Verlag ein Textkorpus unter zwei verschiedenen Titeln auf den Markt bringt. Es hätte allerdings dem publizistischen Komment entsprochen, zumindest im Impressum oder in der Einleitung des Buches anzumerken, dass es sich dabei um eine faktische Zweitverwertung handelt.
Natürlich ergibt sich aus der leichtfertigen Umetikettierung auch ein zentrales inhaltliches Problem. In ihrer Dissertation bettete Amar-Dahl die Person Peres in einen breiten historischen Kontext ein. Haltung und Handeln des Politikers sollten auch aus der Geschichte des Zionismus und des Staates Israel heraus erklärt werden. Das neue Buch kehrt diese Blickrichtung einfach um. So wie die Darstellung nun daherkommt, erweckt sie tatsächlich den Eindruck, Israels Rolle im Nahostkonflikt ließe sich durch bloße Beschäftigung mit Schimon Peres nachvollziehen. Dass sich in ihm etwas Größeres, Allgemeines spiegle, ist eine - immer wieder angedeutete, aber nicht wirklich reflektierte - Grundprämisse des Buches, die zwangsläufig aus der Neuverpackung der Dissertation resultiert.
Nun hat Peres die Politik seines Landes tatsächlich über sechs Jahrzehnte hinweg in unterschiedlichsten Positionen mitgeprägt, seit er in den frühen 1950er Jahren Generaldirektor des Verteidigungsministeriums wurde. Doch seine Dauerpräsenz in den Kabinetten und im parlamentarischen Leben Israels macht ihn noch lange nicht zu jener politischen Überfigur, als die er bei Amar-Dahl erscheint. Seine beiden Amtszeiten als Premierminister (1984-1986 und 1995/96) blieben eher Episoden, und auf internationaler Bühne war er oft deutlich populärer als im eigenen Land. Innerhalb der Arbeitspartei litt seine Position lange unter der Dauerrivalität mit Yitzchak Rabin. Kurz nachdem Peres 1977 den Vorsitz der Partei übernommen hatte, verlor sie für zwei Legislaturperioden die Regierungsmacht an den rechten Likud.
Man muss daher Israels Konfliktgeschichte im Verhältnis zur arabischen Welt schon massiv verkürzen, will man sie anhand von Peres' Laufbahn erzählen. Ausführlich befasst sich Amar-Dahl etwa mit der Vorgeschichte des Suez-Krieges von 1956 und den Anfängen des israelischen Atomwaffenprogramms. Hier spielte Peres als Mitglied des Regierungsapparates jeweils eine maßgebliche Rolle. Das gilt dagegen nicht für den Sechstagekrieg 1967 oder den Yom-Kippur-Krieg 1973 - zwei zentrale Stationen des Nahostkonflikts, die Amar-Dahl mehr oder weniger überspringt. Am israelisch-palästinensischen Friedensprozess ab 1992 wiederum interessieren sie vor allem jene sieben Monate nach dem Mord an Premier Rabin 1995, in denen Peres die Regierungsgeschäfte führte.
Die Grundanlage des Buches erweist sich so als wenig schlüssig. Dennoch kann man aus dessen Lektüre einigen Gewinn ziehen. Wohlgemerkt nicht deshalb, weil es sich auf neu erschlossene Quellen stützen würde. Amar-Dahl hat für ihre Dissertation nämlich so gut wie kein Archivmaterial ausgewertet (was sich nicht etwa auf einen generell versperrten Zugang zurückführen lässt). Abgesehen davon, dass Amar-Dahl ausgiebig aus Peres' Büchern und Aufsätzen zitiert, hat man es vielmehr mit einer Art Kompilation zu tun. Vorgestellt werden hauptsächlich Beiträge der israelischen Geschichts-, Politik- und Sozialwissenschaft, meist jüngeren Datums. Der eigentliche Wert des Buches liegt denn auch darin, dem deutschsprachigen Publikum einen Zugang zu einigen grundlegenden Veröffentlichungen und Debatten der israelischen Forschung zu eröffnen.
Jene Autoren, die besonders streng mit Israels Politik ins Gericht gehen, werden von Amar-Dahl inhaltlich unterstützt - etwa Avi Shlaim aus dem Kreis von Israels "neuen Historikern" oder der Soziologe Baruch Kimmerling. Aus deren Arbeiten bezieht Amar-Dahl die argumentativen Versatzstücke, um ihre eigenen Thesen zu entwickeln. Im Mittelpunkt steht das Postulat einer tiefverwurzelten israelischen Friedensunfähigkeit, das die Autorin auf diskursiver wie auf politisch-institutioneller Ebene zu untermauern sucht. Dabei wirft das Buch durchaus relevante Fragen auf, zum Araber-Bild in Israel ebenso wie zur Rolle des Sicherheitsapparates im politischen System des Landes.
Dass die Antworten sehr einseitig und pauschal ausfallen, geht auf zwei Eigenheiten der Darstellung zurück. Erstens bietet sie keine echte Konfliktanalyse zum israelisch-arabischen Verhältnis. Dies würde voraussetzen, auch auf Handeln, Interessen und Wahrnehmungen der arabischen Seite einzugehen. Genau das aber vermeidet Amar-Dahl konsequent. Sie beklagt einen israelischen "Trennungsdiskurs" (64) - über die Lage der Palästinenser werde traditionell so gesprochen, als ob der Zionismus und der Staat Israel damit nichts zu tun hätten. Unter umgekehrten Vorzeichen verhält sich Amar-Dahl leider genauso: Sie schreibt über Israels Sicherheitspolitik und seine Sicht auf die arabische Welt, als ob von dort niemals eine Bedrohung für den jüdischen Staat ausgegangen wäre. Diese Blickverengung präjudiziert die Schlussfolgerungen. Denn natürlich fällt es leichter, etwa den Palästinakrieg von 1947/48 als israelischen "Eroberungskrieg" (38) zu charakterisieren, wenn man wie Amar-Dahl die Information unterschlägt, dass der UN-Teilungsplan für Palästina von der jüdischen Seite gebilligt, von der arabischen dagegen abgelehnt wurde.
Zweitens leidet die analytische Trennschärfe der Studie darunter, dass die Autorin immer wieder ihren Gegenstand wechselt - eben auch deshalb, weil der Text ein problematischer Mix aus Biographie, Handbuch und Literaturbericht ist. Wahlweise geht es um den Politiker Peres, Israels "Sicherheits-Establishment" oder seine politische Klasse, den "Linkszionismus" oder die gesamte jüdisch-israelische Gesellschaft. Die nötigen Differenzierungen opfert Amar-Dahl einer monolithischen Israel-Kritik, die empirisch von den angeführten Fallbeispielen allenfalls partiell gedeckt ist.
Das zeigt etwa ihre Lesart der "Bus-300-Affäre", die Israel Mitte der 1980er Jahre erschütterte. Palästinenser hatten einen israelischen Linienbus entführt, und Angehörige des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet töteten zwei von ihnen, als sie bereits festgenommen waren. Richtig ist, dass der damalige Premier Peres die Bemühungen von Shin-Bet-Chef Avraham Schalom unterstützte, die Tat zu vertuschen. Richtig ist aber auch, dass zentrale Akteure der israelischen Gesellschaft - wie Amar-Dahl selbst beschreibt - dagegen Widerstand leisteten: hochrangige Mitarbeiter des Shin Bet, die Politik und Justiz um Aufklärung ersuchten, der Generalstaatsanwalt, der polizeiliche Ermittlungen durchsetzte, und die Medien des Landes, die mit einer "Woge der Kritik" (109) schließlich Schaloms Rücktritt erzwangen.
Entgegen Amar-Dahls Beteuerung taugt die Affäre somit kaum als Beleg für die These, Israels Gesellschaft habe sich kollektiv einem "zivilen Militarismus" (114, 120) unterworfen, dem Militär und Geheimdienste sakrosankt seien. Vielmehr könnte es gerade auch die Analyse solcher Politskandale ermöglichen, den Anteil einzelner Persönlichkeiten, Institutionen oder Ideologien am nahöstlichen Konfliktgeschehen präziser zu benennen - eine Chance, die die Autorin in ihrem Willen zur Generalanklage leider vergibt.
Anmerkung:
[1] Tamar Amar-Dahl: Shimon Peres. Friedenspolitiker und Nationalist, Paderborn 2010.
Hubert Leber