David French: The British Way in Counter-Insurgency, 1945-1967, Oxford: Oxford University Press 2011, X + 283 S., ISBN 978-0-1995-8796-4, GBP 65,00
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Zu den Themen Kolonialkrieg und Counter-Insurgency gibt es inzwischen eine Fülle historiografischer Literatur. Wie stets, wenn sich politisches und vor allem auch mediales Interesse an geschichtlichen Themen festsetzt, beginnen sich auch Scharen von Wissenschaftlern damit zu beschäftigen. Im vorliegenden Fall gilt dies seit der Wende von 1990, als sich mit dem Ende des Kalten Krieges eine ganze Reihe von globalen Einsätzen und Kriegen ergab. Man begann daher immer stärker nach historischen Vorbildern Ausschau zu halten. Dabei verfolgten etliche Autoren das anspruchsvolle Ziel, Wissenschaftlichkeit und praktische Nutzanwendung (z.B. für Politik- und Militärberatung) zu kombinieren. Fraglich bleibt, ob dies immer gelang oder überhaupt möglich ist. Historiografische Standards mit hohen qualitativen Ansprüchen lassen sich keineswegs immer mit dem Wunsch von Entscheidungsträgern nach instrumentalisierbaren "Lehren" ("Lessons Learned") verbinden.
Ein prägendes Beispiel war das Buch des amerikanischen Offiziers John Nagl, der insbesondere die Kriege in Vietnam und Malaya verglichen hat. [1] Leider blieben seine Ergebnisse eher stereotyp und dichotomisch: Vietnam gilt durchgängig als Exempel, wie man es nicht machen sollte, Malaya dagegen als leuchtendes Vorbild. Nun hat sich ein ausgewiesener Kenner der britischen Militärgeschichte, vor allem auch für die Zeit des Kalten Krieges, ebenfalls dieses Themas angenommen. Allerdings braucht man bei David French angesichts einer Fülle hervorragender Publikationen nicht davon ausgehen, dass er auf irgendeinen Zug aufgesprungen wäre. Seine Analysen der britischen Streitkräfte basieren generell auf vertiefter Kenntnis gerade auch des globalen Gesamtbildes.
Im vorliegenden Werk geht es um die Aufstandsbekämpfung der britischen Armee zwischen 1945 und 1967, als die letzten bedeutenden Kolonialkriege der Briten zu Ende gingen. French bietet eine umfassende und erschöpfende Fülle aller wesentlichen Aspekte der britischen Kolonialkriegführung, etwa zur inneren Sicherheit der jeweiligen Kolonialstaaten, zu den Aufständischen und ihren Beweggründen, der rechtlichen Dimension, zum Gewaltrepertoire der britischen Streitkräfte, zu den moralischen Fragen, zu den psychologischen Ansätzen ("Winning Hearts and Minds"), zur Rolle des Lernens in den Streitkräften und zu den politischen Rahmenbedingungen bei der Dekolonisierung insgesamt. Besonders interessant ist dabei, dass der Autor komparatistisch vorgeht, d.h. er vergleicht nicht nur die einschlägigen Kriege der Briten (Palästina, Malaya, Kenia, Zypern, Britisch-Guyana, Nyasaland, Brunei, Oman, Aden) miteinander, sondern er zieht auch Vergleiche insbesondere mit den französischen Kriegen (v.a. Algerien). Dies ist insofern von Bedeutung, weil die britische Historiografie nicht gerade das Eldorado für vergleichende Ansätze ist. Eigentlich ist das Gegenteil der Fall, wie auch bei French selbst explizit, wenn auch kurz zum Ausdruck kommt (Topos des "British Exceptionalism").
Insgesamt bietet die Arbeit von der Faktenbasis her nur wenig Neues, aber sie ist exzellent recherchiert und mit erstklassigem Quellenmaterial belegt. Für substantiell neue Ergebnisse hätte der Vergleich ambitionierter angelegt und tiefer geführt werden müssen. Beachtenswert sind indes die Bewertungen des Autors, die auch den eigentlichen Mehrwert des Buches ausmachen. Anders als Teile der Security Community und auch einige Historiker geht French kritisch auf die Sachverhalte ein und zeigt Widersprüche und Inkonsistenzen auf. Dies gilt insbesondere für die rechtliche Dimension britischen Handelns, das in Bezug auf die Verfassungstradition in der Vergangenheit auch von Historikern immer wieder als besonders bemerkenswert herausgestellt wurde. Gerade die verfassungsrechtlichen Aspekte, hier vor allem die Notstandsgesetze, werden von French kritisch unter die Lupe genommen. Besonders zu betonen ist hier die Diskrepanz zwischen den Buchstaben des Gesetzes und der realen Praxis. Die Briten vermieden zwar die Ausrufung des Kriegsrechts, es kam aber es über die Hintertür zum Einsatz, auch wenn die diesbezügliche Sondergesetzgebung nicht so hieß. Es täte vielleicht den ausgesprochenen Bewunderern u.a. der britischen Verfassungstradition auch unter der deutschen Historikerschaft gut, das teils mehr, teils weniger explizite "laus Britanniae" durch kritischere Perspektiven zu ersetzen. Ähnliches gilt für den ebenfalls häufig zitierten minimalistischen Gewalteinsatz der Briten ("minimum necessary force").
Differenziert geht French auch mit den fast schon zum Klischee geronnenen Vorstellungen von den angeblich besonders erfolgversprechenden Ansätzen beim Kampf um die "Herzen und Köpfe" der indigenen Bevölkerung um. Einerseits war, insbesondere in den Kriegen in Kenia, Zypern und Palästina, wenig von entsprechenden Bemühungen zu spüren, sondern eher vom Einsatz der Gewaltmittel. Andererseits war der Erfolg im Falle des Musterbeispiels Malaya auch entscheidend von den örtlichen Persönlichkeiten, weniger von Konzepten abhängig. Vielleicht hätte French noch stärker auf die pragmatischen Hintergründe abheben sollen. Wie etwa Fabian Klose deutlich macht, war es das Pech der aufständischen Kikuyu in Kenia, dass sie von der Weltöffentlichkeit kaum beachtet wurden. [2] Daher war es für die britischen Verantwortlichen nicht wirklich nötig, sich um die "Hearts and Minds" der Bewohner zu kümmern. Sehr überzeugend und mit zahlreichen Beispielen belegt French den Grundcharakter britischer Gewaltanwendung. Man wird kaum von genozidalen Tendenzen sprechen können, sondern von einer - je unterschiedlichen - Mischung von Schikane à la Sergeant Blimp, dem Einsatz des "Hanging Judge", begrenzten Entwicklungsprojekten sowie rigoroser Geheimdienst- und Anti-Terrorarbeit. Das Repertoire reichte von Umwerbung über Einschüchterung, militärisch professionellem Vorgehen bis hin zu gewaltsamer Umsiedlung und, wenn auch in sehr begrenztem Maße, brutalem Mord.
Abgeschlossen wird die Studie von einer überzeugenden Warnung davor, aus den Kolonialkriegen allzu leicht Parallelen und Handlungsanweisungen für die heutige Zeit zu ziehen. Die Rahmenbedingungen (wie die von French nicht ganz widerspruchsfrei dargestellten Zusammenhänge zwischen Erfolg bzw. Misserfolg der britischen Kolonialkriege und dem Unabhängigkeitsversprechen durch London) waren ganz andere. Etliche Vorschriften und Manuals, die auf der Basis der Erfahrungen in den fünfziger und sechziger Jahren verfasst wurden, sind, so French, mit Vorsicht zu genießen, weil überhaupt nicht sicher ist, ob deren Inhalt das Verhalten der britischen Truppen "on the ground" sowie die mentalen, sozialen und kulturellen Befindlichkeiten der indigenen Bevölkerung korrekt wiedergeben.
Für den Fachhistoriker bleibt es dabei: Die Hauptaufgabe der Forschung ist die historisch-politische Orientierung für Staat, Gesellschaft und Streitkräfte. Man sollte sich immer wieder bewusst machen, dass es auch in der Vergangenheit eine Vielzahl von Optionen und Wegen gab. Das, was sich dann letztlich als historische Realität manifestierte, war nur eine Möglichkeit von vielen. Dem Fazit von French ist uneingeschränkt zuzustimmen: "All this points to the fact that policy-makers (and historians) should be wary of trying to extrapolate easy 'lessons from history', particularly if this means examining single case studies, distilling general rules, and then trying to apply them in radically different circumstances. The most that the study of history can do is to act as a guide to decision-makers' judgment and analysis." (254f.)
Anmerkungen:
[1] John A. Nagl: Counterinsurgency lessons from Malaya and Vietnam. Learning to eat a soup with a knife. Westport / Conneticut 2002.
[2] Fabian Klose: Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt. Die Dekolonisierungskriege in Kenia und Algerien 1945-1962. München 2009, Kap. VI., insbesondere 239-256.
Bernd Lemke