Rezension über:

Larissa Juliet Taylor: The Virgin Warrior. The Life and Death of Joan of Arc, New Haven / London: Yale University Press 2009, XXV + 251 S., ISBN 978-0-300-11458-4, GBP 20,00
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Rezension von:
Vanina Kopp
Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Jessika Nowak
Empfohlene Zitierweise:
Vanina Kopp: Rezension von: Larissa Juliet Taylor: The Virgin Warrior. The Life and Death of Joan of Arc, New Haven / London: Yale University Press 2009, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 7/8 [15.07.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/07/16556.html


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Larissa Juliet Taylor: The Virgin Warrior

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Jeanne d'Arc oder Johanna von Orléans gehört sicherlich aufgrund ihrer außergewöhnlichen Geschichte eines einfachen Bauernmädchens, das, von himmlischen Stimmen angetrieben, innerhalb von zwei Jahren zur "militärischen Befreierin" Frankreichs aufstieg, 1431 den Tod auf dem Scheiterhaufen fand und 1920 heiliggesprochen wurde, zu einer der schillerndsten und geheimnisvollsten Personen des Mittelalters. Ihr Nachruhm machte sie vor allem im 19. Jahrhundert zu einer republikanischen Nationalheldin Frankreichs. Es ist also wenig erstaunlich, dass Johanna noch heute ein sujet der Forschung darstellt. Aus den letzten Jahren seien für den französischsprachigen Raum die grundlegenden Arbeiten von Régine Pernoud [1] oder Colette Beaune [2] sowie die ausführliche historische Studie und Rezeptionsgeschichte mit anschließendem Jeanne d'Arc-Lexikon von Philippe Contamine [3] genannt; im englischsprachigen jene neueren des Militärhistorikers Kelly deVries [4] oder der Mediävistin Deborah Anne Fraioli. [5] Nun legt Larissa Taylor, Professorin für Geschichte und Spezialistin für vormoderne Religionsgeschichte an der Privatuniversität Colby College, Maine, USA, eine neue Studie vor. Taylor formuliert in ihrer Einleitung die Grenzen ihres Buches: Sie sei ausschließlich an einer historischen Biographie der jungen Frau interessiert und wolle nicht die spätere Rezeption ihrer Figur miteinbeziehen. Ihr Ziel sei, für "Joan as historical figure" (xii) eine "standard critical biography" (xix) zu verfassen, wofür die Autorin, um sich besser in Johanna hineinzuversetzen, die Originalschauplätze in Frankreich bereiste [6] und Schauspielerinnen befragte, die Johannas Leben in Rüstung nachspielten (xiii).

Taylors Buch folgt chronologisch dem Leben Johannas, über ihre Kindheit in Lothringen bis zu ihrem Prozess in Rouen. Jedem Aktions- und Lebensabschnitt wird ein Kapitel gewidmet. Im Fokus des Buches steht ausschließlich die Beschreibung und Rekonstruktion des kurzen Lebens Johannas, wobei die Autorin ihre Erzählung auf den vorhandenen Quellen aufbaut. Diese vor allem im Rahmen der beiden Prozesse (Anklage wegen Häresie [1431], Aufhebung des Todesurteils [1456]) überlieferten Quellen - wie Aussagen von Familienmitgliedern, Nachbarn aus ihrem Ursprungsdorf, oder militärischen Weggefährten - werden differenziert verglichen und bewertet. Positiv fällt auf, dass die Autorin dabei weitgehend auf modernisierende psychologisierende Erklärungsmodelle verzichtet [7]. Stattdessen versucht sie, einige Rätsel aus Johannas Leben durch sparsame, plausible Vermutungen, auf Basis mittelalterlicher Handlungshorizonte, zu erklären. Exemplarisch soll dies am Kapitel "Becoming the Maid" gezeigt werden: Die Autorin beschreibt die Ankunft Johannas am Hofe des Königs Karl VII. nicht, wie sonst üblich, als charismatische und fast prophetische Erscheinung (angeblich habe sich als Test ein Ritter Johanna als Karl VII. vorgestellt, doch sie sei ganz selbstverständlich auf den sich im Hintergrund aufhaltenden König zugegangen). Taylor zeigt stattdessen, wie die aussichtslose militärische Situation und die miserable wirtschaftliche Lage, gepaart mit den Ränkespielen, am Hof zu einem Vakuum führten, in dem sich Johanna als ungewöhnliche, ja fast revolutionäre "Maßnahme" (eine Frau als Heerführerin) herausbilden konnte. Der König begab sich allerdings nicht komplett in die Hände eines "illuminierten" Mädchens: bevor Johanna am Hof erscheinen durfte, traf sie den König im Geheimen, sie wurde mehrere Wochen in Poitiers von Theologen untersucht und befragt. Ein paar Unterstützer aus Lothringen vereinfachten ihre Mission. Taylor rekonstruiert alle diese Schritte: Bevor Johanna ihren Auftrag, aufs Schlachtfeld gegen die Engländer zu ziehen, erfüllen konnte, musste sie wohl praktische Vorbereitungen über sich ergehen lassen, vor allem militärische Unterweisungen und politische Sachkunde.

Plastisch werden alle Etappen und Ereignisse im Leben der jungen Frau rekonstruiert. Der Prozess gegen Johanna wird in den drei Kapiteln "Captivity", "Judging the Maid" und "From Fear to Fire" ausführlich beschrieben. Johannas Hinhalte- und Verteidigungsstrategie wird ebenso illustriert wie ihre Lügen und ihr (Galgen-)Humor (so habe Johanna nicht verstehen können, was die Heilige Katharina ihr sagen wolle, da sie wegen des Lärms im Gefängnis die Stimme nicht hören könne [138]). Auch die körperlichen und seelischen Bedrohungen, der sie durch ihre Wächter und die "Engländer" (160) ausgesetzt war, sowie das doppelte Spiel ihrer Richter werden anhand der Quellen aufgezeigt. Weniger überzeugend hingegen ist Taylors regelmäßig wiederkehrender Verweis auf Jolanthe von Aragon, Herzogin von Anjou, als treibende Kraft und graue Eminenz hinter dem Aufstieg Johannas. Gerade weil alle anderen Aussagen in dem Buch so gut dokumentiert sind, fällt dieser unbelegte (und unbelegbare) Verweis stets nebulös aus.

Taylors Biographie besticht durch den ausführlichen Rückgriff auf Quellen, die sie selbst ins Englische übersetzt hat und somit bruchlos in ihren Text einarbeitet. Bei der weiteren Forschung wird ebenfalls ausschließlich und recht knapp auf Studien aus dem anglophonen Sprachbereich verwiesen; die Rezeption der französischen Forschung fehlt gänzlich. In ihrer Fokussierung auf die Beschreibung von Johanna als "virgin warrior" verzichtet die Autorin auf die Einbettung ihrer Protagonistin in eine differenziertere kulturwissenschaftliche Perspektive. Dabei wird die Figur Johannas erst aus den zeithistorischen und mentalitätshistorischen Strukturen und Kontexten erklärbar (Rolle der Prophetinnen, Vorbilder kämpfender Frauen, symbolische Dimension von Handlungen und Repräsentationen), wie dies beispielsweise Colette Beaune in ihrer anfangs erwähnten Studie gezeigt hat. Auch für zusätzliche Informationen über weitere historische Figuren, die Politik und den weiteren Kontext empfiehlt sich das ebenfalls bereits erwähnte Nachschlagewerk von Philippe Contamine. Was bleibt, ist eine auf Johanna als historische Figur zentrierte Biographie mit wenigen Erklärungsmodellen für dieses ungewöhnliche Leben. Zahlreiche Abbildungen, eine Zeittafel, Karten und Schemata über Truppenbewegungen sowie ein Quellen- und Personenverzeichnis runden das Werk ab. Diese gut lesbare und solide dokumentierte Biographie einer außergewöhnlichen Frau dürfte somit vor allem englischsprachige Einsteigerinnen und Einsteiger ansprechen und in dieses Kapitel der französisch-englischen Geschichte einführen.


Anmerkungen:

[1] Régine Pernoud: Jeanne d'Arc, Paris 1981; beruhend auf zahlreichen Vorarbeiten und Publikationen seit 1959.

[2] Colette Beaune: Jeanne d'Arc, Paris 2004.

[3] Philippe Contamine, unter Mitarbeit von Olivier Bouzy und Xavier Hélary: Jeanne d'Arc. Histoire et Dictionnaire, Paris 2012.

[4] Kelly deVries: Joan of Arc. A Military Leader, Stroud 32011.

[5] Deborah Anne Fraioli: Joan of Arc and the Hundred Years War, Westport 2005.

[6] Siehe den Reisebericht: http://yalebooks.wordpress.com/2012/05/24/bringing-joan-of-arc-to-life-larissa-taylor-on-the-virgin-warrior-and-collaborating-with-ken-follett/ (Zugriff 27.4.2013).

[7] Beispielsweise aktuell die Erklärungsmodelle im ZEIT Magazin, vgl. http://www.zeit.de/2013/14/kirche-glaube-heilige-psychisch-verrueckt (Zugriff 27.4.2013).

Vanina Kopp