Mark Häberlein / Christof Jeggle (Hgg.): Materielle Grundlagen der Diplomatie. Schenken, Sammeln und Verhandeln in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (= Irseer Schriften. Studien zur Wirtschafts-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte. N.F.; Bd. 9), Konstanz: UVK 2012, 292 S., ISBN 978-3-86764-364-1, EUR 39,00
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Der Sammelband widmet sich der Diplomatie in Spätmittelalter und Früher Neuzeit als einem materiellen Austausch und damit einem wichtigen Aspekt der Vormoderne, der als relevanter Faktor in dieser Form aus der modernen Diplomatie weitgehend verschwunden ist. In Spätmittelalter und Früher Neuzeit hingegen erfüllte der Austausch von Objekten eine Funktion im Kommunikationsprozess der gegenseitigen Beziehungen, und die Diplomatie nahm zugleich eine zentrale Rolle im wirtschaftlichen und kulturellen Austausch ein. Diesem Phänomen gehen die 11 Beiträge nach, von denen mehrere aus dem Kontext aktueller größerer Forschungsprojekte stammen. Der Sammelband reiht sich ein in eine moderne Diplomatiegeschichte, der es weniger um politische Geschichte geht als darum, sich für immer neue Fragestellungen zu öffnen. Für deren Beantwortung erweisen sich diplomatische Quellen als besonders fruchtbar, wenn sie unter interdisziplinären Gesichtspunkten ausgewertet werden. Der Tatsache geschuldet, dass die Frage nach den materiellen Grundlagen der Diplomatie eine gleichermaßen kunsthistorische wie allgemein historische ist, bietet der anzuzeigende Band Beiträge aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen.
Er ist in drei Sektionen gegliedert, die jeweils bestimmte Faktoren des diplomatischen Austauschs in den Fokus rücken: Praktiken und Funktionen, Akteure sowie Objekte. Diese Unterteilung berücksichtigt, dass die moderne Diplomatie erst im Zuge des neuzeitlichen Staatsbildungsprozesses entstand und dass die herausgearbeiteten Faktoren sich dabei in ihrer Erscheinung und ihrem Verhältnis veränderten. Die Herausgeber betonen aber ausdrücklich, dass die Unterteilung lediglich eine bestimmte Perspektive der jeweiligen Beiträge abbildet. Die meisten Aufsätze berücksichtigen alle Faktoren, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung. Insgesamt ergibt sich dabei eine gelungene Mischung aus weit ausholenden Überblicksdarstellungen und vertieften Einzelfallanalysen. So erweitert der Band nicht nur die Kenntnis des Gegenstands, sondern setzt diesen zugleich in einen größeren theoretischen Zusammenhang. Eine wichtige Funktion kommt dabei dem eröffnenden Beitrag von Ulf Christian Ewert und Jan Hirschbiegel zu, der eine grundlegende "Theorie der Funktion von Luxusgegenständen im zwischenhöfischen Gabentausch des späten Mittelalters" erarbeitet.
Die Objekte des Austauschs, der auf dem Boden der Diplomatie stattfand, waren vielfältig. Ein zentrales Objekt waren Pferde, die, wie Magdalena Bayreuther darlegt, aufgrund ihrer evidenten ökonomischen, militärischen und repräsentativen Bedeutung als kulturübergreifendes Symbol geeignet waren und in dieser Form in Einzelfällen bis in die Gegenwart als diplomatisches Mittel zur Überwindung kultureller Barrieren eingesetzt werden. Eher spezielle Objekte waren dagegen Wampums, traditionelle indianische Ketten und Bänder aus Muscheln, die Ulrike Kirchberger im Kontext indianisch-europäischer Diplomatie analysiert. Im Austausch verschiedener Kulturen konnte ein solches Objekt, aber auch der gesamte Gabenprozess ganz unterschiedliche Zuschreibungen erfahren. Bemerkenswert ist die Adaptionsfähigkeit der europäischen Akteure, die sich als durchaus in der Lage erwiesen, sich auf das symbolische Kommunikationssystem außereuropäischer Akteure einzulassen.
Kunst und andere hochwertige Produkte waren eine wichtige materielle Grundlage der Diplomatie, zum einen als Geschenk, wie Johanna Beate Lohff am Beispiel italienischer Steinmalereien zeigt, die auf diesem Wege im 16. und 17. Jahrhundert in Europa Verbreitung fanden. Zum anderen waren Diplomaten aber auch damit betraut, den heimischen Hof mit Gemälden, Tapisserien, Goldschmiedearbeiten, Mobiliar, Kleidung und anderen Textilien, Schmuck, Accessoires und überhaupt jeglicher nur erdenklicher Form von Luxuswaren zu versorgen. Philipp II. von Spanien entsandte seinen Hofnarren Gonzalo de Liaño nach Italien, und die Analyse dieser diplomatischen Reisen von Susanne Kubersky-Piredda und Salvador Salort Pons macht deutlich, dass die Beschaffung materieller Güter und kulturellen Wissens dabei im Vordergrund stand. Namentlich seit der französischen Kulturdominanz im späten 17. Jahrhundert wurde es eine wichtige Aufgabe von in Frankreich tätigen Diplomaten, Luxuswaren zu beschaffen oder auch Künstler für den heimischen Hof zu gewinnen, wie Corinne Thépaut-Cabasset am Beispiel Bayerns und Martin Pozsgai am Beispiel Schwedens und Brandenburg-Ansbachs zeigen. Die Diplomaten waren so nicht nur Kulturmittler, sondern übten einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Repräsentation des heimischen Hofes aus. Doch nicht nur die Herrscher und ihre Familien nutzten die diplomatischen Netzwerke: Ute Christina Koch zeigt, wie der polnisch-sächsische Premierminister Heinrich von Brühl mit dieser Hilfe seine bedeutende Kunst- und Büchersammlung aufbaute und später auch seine Erben beim Verkauf der Sammlung sich solcher Kontakte bedienten.
Angesichts der Vielfältigkeit der Objekte wird deutlich, dass einige breite Verwendung fanden, andere nur in einem bestimmten Kontext. Die Vielfältigkeit verweist auch auf die Vielschichtigkeit ihrer Funktionen und historischen Bedeutung, vom Kulturtransfer bis hin zu ökonomischen Aspekten. Für Herrscher, die bei Reisen ebenfalls als schenkende und beschenkte Akteure des diplomatischen Austauschs auftraten, war der kommunikative Aspekt von Geschenken von zentraler Bedeutung: So demonstrierte Heinrich III., als er 1574 auf seiner von Evelyn Korsch untersuchten Rückreise von Polen durch Italien reiste, durch Standeserhöhungen und materielle Geschenke seine eigene neue Position als französischer König. Je nach Ausgangslage des zugrundeliegenden politischen und des kommunikativen Systems transportierten die Gaben dabei eine Botschaft, die sich erst innerhalb dieser Systeme erschließt: So zeigt Harriet Rudolph am Schenken und Beschenktwerden von Kaisern und der kaiserlichen Familie anlässlich von Herrscherreisen im 16. und frühen 17. Jahrhundert ein komplexes Beziehungsgeflecht in diversen Abstufungen, das sich im Schenkprozess und den Geschenken widerspiegelte. Eine Sonderrolle nahmen die von Michael Jucker untersuchten Raubgüter in Beziehungen ein. Sie hatten für den Raubenden materiellen und symbolischen Wert, waren aber von zweischneidigem Nutzen: Ihre Verteilung konnte im Umfeld des Beutenehmers für Probleme sorgen, und die Raubgüter konnten bilaterale Beziehungen weitaus länger belasten als jedes diplomatische Geschenk nutzte.
Der Band erschließt ein breites Spektrum an Praktiken, Objekten und Akteuren. Er schließt dabei auch diplomatische Räume und Objekte ein, die in der deutschsprachigen Diplomatiegeschichte der Vormoderne bisher eher selten zu finden sind. Bei seiner perspektivischen Breite hat der Band aber zugleich strukturelle Stringenz und einen angemessenen theoretischen Rahmen. Sowohl die einzelnen Beiträge als auch das Gesamtwerk liefern somit einen wichtigen Beitrag zur Diplomatiegeschichte.
Anuschka Tischer