Mark Bailey / Stephen Rigby (eds.): Town and Countryside in the Age of the Black Death. Essays in Honour of John Hatcher (= The Medieval Countryside; Vol. 12), Turnhout: Brepols 2012, XXXVII + 473 S., 58 s/w-Abb., 3 Kt., 34 Tbl., ISBN 978-2-503-53517-3, EUR 110,00
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Über die Pest von 1348 und natürlich über spätere Epidemien ist in den letzten Jahren viel publiziert worden. Oft ging es darum, grundsätzliche, anfangs meist durch Analyse italienischer Quellen gewonnene Erkenntnisse am Beispiel kleinerer Kommunen zu verifizieren. Die vorliegende Sammlung von Beiträgen - eine Festschrift für John Hatcher, einen ausgewiesenen Wirtschafts- und Sozialhistoriker - bildet hier schon methodisch eine Ausnahme. Thema sind die vielfältigen Auswirkungen des Schwarzen Todes auf die englische Landschaft, aber auch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung zur Zeit der Pestepidemien. Schon John Shrewsbury hatte in seiner Monographie "A History of Bubonic Plague in the British Islands" (1971) dieses Thema in den Vordergrund gestellt. Ähnliches galt für Philipp Ziegler ("The Black Death", 1972) und Robert S. Gottfried ("Doctors and Medicine in Medieval England", 1986).
Die aktuellen Beiträge stützen sich vor allem auf historisch-demographische Untersuchungen. Kaum ein Beitrag, der ohne Tabellen auskommt, die z.T. eine etwas fragwürdige mathematische Präzision suggerieren, etwa was die Getreideernte nach 1348 angeht (Beitrag von Bruce M.S. Campbell). Alle Aufsätze erscheinen freilich bemerkenswert fundiert und sorgfältig erarbeitet, so etwa Maryanne Kowalewskis Untersuchung über die demographischen Folgen der Pest in einigen englischen Hafenstädten - Erbschaften anzutreten war schon im 16. Jahrhundert eine komplizierte Sache (103). Der vielschichtige Beitrag zeigt gleichzeitig, welche Berufsgruppen in den Städten am Meer wohnten und welche gefährdeter waren als andere. Vermögen und Reichtum waren stets durch Teilung, Auflösung, Zerfall, Bankrotte, Todesfälle und die Wechselfälle des Lebens bedroht.
David Stone untersucht die Folgen der Pest von 1348 für die Ökonomie, ähnlich wie das vor Jahrzehnten (1989), bezogen auf einige Regionen des europäischen Festlands, besonders Italiens, Karl Georg Zinn versucht hat (eine Arbeit, die hier übrigens unberücksichtigt blieb). Tatsächlich gab es in Kontinentaleuropa in den letzten Jahren nicht allzu viele Untersuchungen zur Pest, die über gut gemeinte und intelligente Reflexionen zu Zitaten von Chronisten oder literarischen Berichten über den Seuchenalltag hinausgingen. Hier scheint England, was neue Methoden, aber auch die Quantität der Beiträge betrifft, Vorreiter geworden zu sein. Unmittelbare ökonomische Effekte und kurzfristige gesellschaftliche Verschiebungen sind dabei, wie sich erneut herausstellt, von längerfristigen Folgen des Schwarzen Tods zu trennen. Immerhin geht Ole Benedictow im ersten Beitrag so weit, historische Periodenaufteilungen mit demographischen Änderungen zu begründen!
Die alte Schwierigkeit, Preise und Kosten mit heutigen Verhältnissen zu relativieren, wird im Beitrag von John Munro deutlich. Dennoch bietet sein umfangreicher Beitrag einen umfassenden und differenzierten Überblick über die Bemühungen der Kommunen, Lebensmittel zu organisieren. Auch die Gewinnung, Bereitstellung bzw. Verteilung, Finanzierung und Lagerung von Kohle wird in einem kürzeren, aber faszinierenden Beitrag untersucht (Richard H. Britnell). Die Schwierigkeiten begannen hier schon mit dem Transport. Man staunt, dass es angesichts der Schwierigkeiten und komplizierten Umstände nicht viel häufiger zu Hungersnöten oder zum Erfrierungstod kam. Nicht dass der Getreidepreis um 1348 nach oben schnellte, sondern dass er schon drei Jahre später auf einem Tiefpunkt war, ist die Überraschung (Tabelle, 307).
Richard M. Smith präsentiert Bevölkerungskurven für bestimmte englische Regionen und mahnt gleichzeitig - zu Recht! - zu Vorsicht, wenn behauptet wird, die englische Bevölkerung habe 1522 etwa genau so viele Seelen umfasst wie 1377 (45). Es ist nicht einfach, hier der Multikausalität gerecht zu werden. Auch James Davies zeigt, wie schwierig es war, nach Pestepidemien in den Städten trotz reduzierter Bevölkerungszahlen ausreichend Lebensmittel bereitzustellen. Charakteristisch waren vielerorts Instabilität, Klimaschwankungen, Naturkatastrophen, Wettereinflüsse und kleinere Epidemien, die nichts mit der Pest zu tun hatten, aber den alltäglichen Fluss des Gemeinwesens empfindlich störten.
Das relativ umfangreiche Buch, das zugleich einen Überblick über die englischsprachige Forschung der letzten Jahre bietet, ermöglicht eine faszinierende Lektüre, indem es demographische und epidemiologische Untersuchungen kontextualisiert. Schade, dass man am Ende nicht die Zeit fand, ein Register - zumindest der Orte und der angeschnittenen Grundfragen - zu erstellen. Die insgesamt zwölf Aufsätze regen, ungeachtet der Tatsache, dass die Statistiken viele Fragen aufwerfen, zu ähnlichen Untersuchungen in Deutschland und anderen Ländern Europas an. Allerdings wird - ärgerlich genug - die deutschsprachige Sekundärliteratur bis auf einige offensichtlich dekorative Erwähnungen ("Ackerknecht 1963") nicht berücksichtigt. Die Ergebnisse der deutschsprachigen Seuchenforschung werden, was zentrale Quellen betrifft, zunehmend auf Parallelschienen in englischer Sprache neu entdeckt. Ob daran nicht auch die deutsche Wissenschaftspolitik Schuld trägt?
Klaus Bergdolt