Eberhard Kolb / Dirk Schumann: Die Weimarer Republik (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte; Bd. 16), 8., überarbeitete und erweiterte Auflage, München: Oldenbourg 2013, X + 373 S., ISBN 978-3-486-71267-4, EUR 24,80
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1985 schrieb Heinrich August Winkler in einer Besprechung des im Jahr zuvor erstmals erschienenen Werks: "Die Vorhersage fällt nicht schwer, daß dieses Buch Karriere machen wird." [1] Er hat recht behalten. Eberhard Kolbs Handbuch zur Weimarer Republik aus der bewährten Grundriss-Reihe des Oldenbourg-Verlags muss daher kaum noch grundsätzlich vorgestellt werden. Mit der bekannten Dreiteilung bietet es zunächst das, was allen "Grundriss"-Bänden gemeinsam ist: einen darstellenden Überblick der behandelten Epoche, eine intensive Einführung in die Forschung, deren Stand und deren Kontroversen sowie einen umfangreichen bibliographischen Teil, der weit mehr als nur das "Further Reading" mancher vergleichbarer Handbücher liefert. Kolbs Werk ist nach der Auflagenzahl (und zusätzlich durch eine mehrfach aufgelegte Übersetzung ins Englische) der erfolgreichste Band der Reihe. Der Grund liegt wohl kaum nur darin, dass die Weimarer Republik eine der meisterforschten Epochen der deutschen Geschichte ist; vielmehr ist das Buch schlicht die beste Einführung auf überschaubarem Raum: hervorragend lesbar und gerade bei der Darstellung von Forschungskontroversen selbst im Umgang mit historiographischen Positionen, die der eigenen Forschung widersprechen, so fair, dass man ihm auch hierin positiven Beispielcharakter attestieren kann. Daher wird es von einem breiten Kreis genutzt, vom Anfänger im Geschichtsstudium bis hin zum Experten, der darin immer noch Hilfestellung und schnelle Orientierung findet: ein wertvolles Handbuch im ursprünglichen Sinne, das man eben unbedingt "zur Hand haben" muss (und das überdies auch dank seiner grafischen Aufmachung sehr praktisch zu nutzen und daher handlich bleibt, ein Adjektiv, das der Rezensent im langjährigen Feldversuch in jedem Proseminar für Anfänger des Geschichtsstudiums als vermeintliche etymologische Wurzel des Begriffs Handbuch angeboten erhält).
Die bekannten Meriten müssen nicht im Detail wiederholt werden. Vielmehr soll hier dargelegt werden, was die Überarbeitung dieser Neuauflage erbracht hat. Da sind zum einen die akribisch eingearbeiteten sechzig neuen Titel im Quellen- und Literaturverzeichnis. Es handelt sich um eine Auswahl dessen, was an Wichtigstem seit der letzten Überarbeitung erschienen ist, und dokumentiert auf seine Weise, wie intensiv diese 14 Jahre der ersten deutschen Republik in der Geschichtswissenschaft nach wie vor erforscht werden. Im laufenden Text wurden einige wenige Passagen ergänzt und gelegentlich präzisiert.
Eine wertvolle Ergänzung gegenüber früheren Auflagen ist ein ganz neues Kapitel im Forschungsüberblick, das der von Kolb in dieser Auflage als Mitverfasser herangezogene Göttinger Historiker Dirk Schumann beisteuert. Es behandelt auf 26 Seiten die Forschung zur Kulturgeschichte der Weimarer Republik und dokumentiert deutlich, was in diesem Bereich in den vergangenen drei Jahrzehnten wissenschaftshistorisch geschehen ist: Die Kulturgeschichte führte 1984 zu Zeiten der ersten Auflage noch fast eine Nischenexistenz, die in der damaligen Auseinandersetzung um die Hegemonie von Politikgeschichte und "neuer" Sozialgeschichte (die sich irgendwann im "Gleichgewicht" auflöste) wenig wahrgenommen wurde und bis dahin für die Weimarer Republik nur einzelne Arbeiten zur Hochkultur hervorgebracht hatte; inzwischen führt diese methodische Perspektive gerade für die Weimarer Republik ungebrochen zu einem breiten Strom von Studien und scheint mitunter der neue Königsweg der Forschung zu sein. Schumann hat sich die ambitionierte Aufgabe gestellt, diesen Weg genauer zu vermessen.
Nach wenigen Vorarbeiten hatte 1987 Detlev Peukerts Diagnose der Weimarer Republik als "Krisenjahre der Moderne" vorläufig den Weg gewiesen. Schumann entfaltet den von dort ausgehenden Fortgang der kulturgeschichtlichen Perspektive auf Weimar, die sich längst nicht mehr auf die Hochkultur beschränkt. So hat sich in der Folgezeit die Forschung stark den Medien zugewandt und hier viele Spezifika ausgearbeitet; für eine umfassende "Geschichte der Medialisierung" und insbesondere deren soziokulturell-politische Folgen bleibt aber noch einiges zu tun. Ähnliches gilt für andere Bereiche: Für Körperkultur und Sport ist die Frage nach der Überwindung oder der Verfestigung von Milieugrenzen nicht wirklich beantwortet; nach vielen Einzeluntersuchungen steht auch eine Gesamtdarstellung zur Geschlechterrollen-Konstruktion noch aus. Die Betrachtung der Intellektuellendiskurse vor dem Hintergrund der Frage nach den Gründen für das Scheitern von Weimar ist zwar deutlich älter als die "jüngere Kulturgeschichte". Insbesondere die Studien zu den Rechtsintellektuellen haben inzwischen aber zu einem höheren Grad an Differenzierung geführt. Jedoch kann auch die gesamte Intellektuellen-Diskussion noch keineswegs als abgeschlossen gelten. Gleiches gilt in Bezug auf Wissenschaft und Religion: Anfänglichen und grundlegenden Studien über die Beziehung dieser Bereiche zur neuen Staatsform der parlamentarischen Republik ist eine große Zahl an differenzierenden Arbeiten gefolgt. Politische Kultur und politische Kommunikation bilden überwölbende Ansätze; auch hier ist vor allem Differenzierung in der jüngeren Forschung festzustellen, was alte vermeintliche Gewissheiten relativiert hat. So gilt im Fazit, dass alle neuere Forschung das Verhältnis zwischen Kultur in ihren verschiedenen Ausprägungen und Politik "mittlerweile weitaus komplexer und weniger eindeutig erscheinen [lässt] als noch in den 1970er Jahren" (238). Das ist kein schlechtes Ergebnis, denn Fortschritt in der Geschichtswissenschaft ist in erster Linie ein Prozess der permanenten Differenzierung und dadurch der Vertiefung unserer Kenntnis.
Das Handbuch, das diesen Prozess der Differenzierung und Vertiefung für nahezu alle historischen Perspektiven auf die Weimarer Republik seit nun fast drei Jahrzehnten begleitet, hat durch das zusätzliche Kapitel noch einmal gewonnen. Im Anschluss an den eingangs zitierten Winkler kann man ohne großes Fehlerrisiko formulieren: Das Buch wird seine Karriere unverändert fortsetzen.
Anmerkung:
[1] Historische Zeitschrift 240 (1985), 465.
Wolfgang Elz