Regina Weber: Lotte Labowsky (1905-1991) - Schülerin Aby Warburgs, Kollegin Raymond Klibanskys. Eine Wissenschaftlerin zwischen Fremd- und Selbstbestimmung im englischen Exil (= Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte; Bd. 21), Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2012, 224 S., ISBN 978-3-496-02854-3, EUR 39,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Hubert Locher (Hg.): Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert. Eine kommentierte Anthologie, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2007
Christian Fuhrmeister / Stephan Klingen / Iris Lauterbach u.a. (Hgg.): "Führerauftrag Monumentalmalerei". Eine Fotokampagne 1943-1945, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006
Die Monografie über Lotte Labowsky (1905-1991) zeichnet den beruflichen und privaten Lebensweg der bislang nur in Fachkreisen bekannten (8) Altphilologin nach. Er ist eng verflochten mit dem Lebensweg des bekannteren Philosophiehistorikers Raymond Klibansky (1905-2005). Beide teilten sowohl ihr Forschungsfeld der mittelalterlichen Plato-Rezeption als auch eine enge Freundschaft und - zumindest eine Zeit lang - auch eine Liebesbeziehung. Regina Weber, die zuvor bereits einen biografischen Aufsatz über Lotte Labowsky publiziert hat [1], widmet sich mit dieser quellengetränkten Monografie nun ausführlich der Wiederentdeckung von deren wechselvoller Geschichte.
Den örtlichen Veränderungen, von denen vor allem die von den Nationalsozialisten erzwungene Emigration ein einschneidendes Ereignis war, steht in beruflicher wie privater Hinsicht eine große Kontinuität gegenüber. Im Kreis der Hamburger Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (KBW) sozialisiert, folgte Lotte Labowsky ihr 1934 nach London. Vielen der dortigen Kollegen blieb sie während ihres langen Lebens verbunden, auch wenn die für sie wichtigste Person aus diesem Kreis, Raymond Klibansky, durch seine Berufung nach Montreal ab 1947 für sie nur noch per Post erreichbar war.
Getroffen hatten sich die beiden während des Studiums. Die aus einem "wohlhabenden und bildungsbewussten deutsch-jüdischen Elternhaus" (13) stammende Labowsky hatte ein humanistisches Mädchengymnasium besucht und 1924 ihr Abitur in Hamburg gemacht. Die Eltern finanzierten ihr umfangreiches Studium. Nach Fächer- und Ortswechseln fand sie 1927 in Heidelberg ihren bevorzugten Studienort (13). Hier promovierte sie 1932 bei dem Altphilologen Otto Regenbogen über die Ethik des Panaitos. [2]
Der für die vorliegende Publikation ausgewertete Briefwechsel Labowskys mit Klibansky, der ebenfalls in Heidelberg studierte, setzt im Wintersemester 1927 / 28 ein, das sie krankheitsbedingt im Hamburger Elternhaus verbrachte. Dem gleichaltrigen, aber im Gegensatz zu ihr jüdisch-orthodox erzogenen Studenten schrieb sie leidenschaftliche Briefe, die zugleich auch vom beginnenden fachlichen Austausch der beiden zeugen (24-44).
Zu dieser Zeit arbeitete Klibansky als Student an der Cusanus-Edition der Heidelberger Akademie der Wissenschaften mit (20f.). Im Sommer 1926 hatte ein Semester in Hamburg die Weichen in seine wissenschaftliche Zukunft gestellt, als ihn Aby Warburg als Volontär im neuen Bibliotheksgebäude in der Heilwigstraße einstellte und erste Publikationen beförderte (18). Ein bedeutender Fund des jungen Klibansky wurde zur Grundlage seiner Dissertation: In der Bibliothek des Kardinals Nikolaus von Kues stieß er 1928 auf den verloren geglaubten Schluss des Proklos-Kommentars zu Platons Schrift Parmenides (22). [3] Ab diesem Zeitpunkt galt sein Forschungsinteresse, das im Zeichen Warburgs stand, der Kontinuität des Denkens der Antike (vor allem Platos) über Mittelalter und Renaissance in die Neuzeit hinein bis zu Hegel (21f.).
Während Klibanskys Aufstieg bis zur NS-Diktatur nahtlos verlief - er wurde 1932 Privatdozent für Philosophie in Heidelberg - gestaltete sich Labowskys Karriere umständlicher und langsamer. Ihr Berufsleben war stets von prekären Arbeitssituationen geprägt, da sie sich von Stipendium zu Stipendium "hangelte", die eine Laufzeit von einem bis zu fünf Jahren hatten. Auch Labowsky widmete sich in ihren Forschungen der Plato-Rezeption in Mittelalter und Renaissance. Ihre Verbindungen zum Warburg-Kreis waren zunächst gesellschaftlicher Art, wurden aber durch ihr Forschungsinteresse beruflich untermauert. Nach der Promotion kehrte sie 1932 in ihre Heimatstadt zurück und "nahm dort wieder den Kontakt mit den vertrauten akademischen Kreisen auf" (49). Vier Jahre nach Warburgs Tod - weshalb die Formulierung "Schülerin Aby Warburgs" im Untertitel etwas anmaßend klingt - wurde sie "in die Arbeitsprojekte der KBW einbezogen" (50).
Als die KBW nach London umzog, gehörten zu ihrem Gefolge auch Labowsky und Klibansky (54ff.). Klibansky arbeitete an Colleges in London und Oxford und lehrte parallel am Warburg Institute (57). Das Academic Assistance Council (AAC) (56-70) unterstützte ihn finanziell ebenso wie Labowsky, deren Emigration 1934 durch eine Einladung des Warburg Institute erleichtert wurde. Da sie jedoch mit einem Studentenvisum eingereist war, durfte sie in England nicht arbeiten und absolvierte deshalb ein zweites Studium in Griechisch und Paläografie (61). Für ihre Anstellung am Warburg Institute ab 1936 erhielt sie eine begrenzte Arbeitserlaubnis. Nun wirkte sie am Editionsprojekt des Corpus Platonicum Medii Aevi mit, das unter der Leitung von Raymond Klibansky stand (62). Da weder das symbolische Gehalt noch die zusätzliche Unterstützung des AAC ihren Lebensunterhalt sicherte, nahm sie 1939 ein Stipendium des Somerville College in Oxford an (65). Erst im Herbst 1943 verbesserte sich ihre finanzielle Situation durch die Anstellung als Bibliothekarin im Somerville College, wobei sie parallel weiterhin am Editionsprojekt des Warburg Institute arbeitete (70). Das Pendeln zwischen den Arbeitswelten in Oxford und London praktizierte sie fast bis zu ihrem Lebensende (91).
Als Klibansky 1947 einen Ruf nach Montreal annahm, blieb er weiterhin General Editor des Editionsprojektes. De facto aber übernahm Labowsky einen Großteil seiner Aufgaben, auch die wissenschaftlichen, und fungierte als Bindeglied zwischen dem Herausgeber, der stets im Rampenlicht stand (98), und dem Warburg Institute (91). Bis ins hohe Alter arbeiteten beide intensiv an den genannten Forschungen und genossen während ihrer Rentenzeit ausgiebige Forschungsreisen in europäische Bibliotheken - wenn auch nicht gemeinsam.
Die referierten Eckdaten der beiden Werdegänge sind in der vorliegenden Publikation weit verstreut und lassen sich deshalb nur mühsam zusammentragen. Damit ist ein strukturelles Manko des Buches angesprochen, das zwar viele interessante Aspekte aufwirft, aber doch ein ständiges Umschalten zwischen verschiedenen Themenbereichen aufnötigt. Die für sich genommen jeweils aufschlussreichen Erzählstränge über private Angelegenheiten, gesellschaftliches Leben, finanzielle Lage, Situation der Emigranten und andere mehr erhalten keine eigenen Abschnitte. So werden etwa auf Seite 100-102 der Tod Fritz Saxls, ein geplanter Arbeitsaufenthalt in Kanada, Labowskys Trennungsschmerz und Bibliotheksaufenthalte in Italien thematisiert. Eine Ausnahme stellen die drei Kapitel über die wissenschaftlichen Erträge der beiden dar: über das Corpus-Platonicum-Projekt des Warburg Institute (74-90), über den Proclus-Kommentar zu Platons Parmenides (109-116) [4] und über "Bessarion's Library and the Biblioteca Marciana" (154-180). [5]
Für die Warburg-Forschung stellt das faktenreiche Material - basierend auf im Nachlass Klibanskys integrierte Briefe und Arbeitsunterlagen Labowskys [6] - sicher einen reichen Fundus dar. Für andere Leser kann aber gerade diese Überfülle, die sich aus der Nähe zu den Quellen speist, ermüdend und verwirrend wirken. Ein deutlich formulierter und durchexerzierter "Roter Faden" jenseits der Chronologie hätte diesem Umstand sicher entgegen wirken können. Meines Erachtens böte sich unter anderem die mehrfach angesprochene Gender-Thematik (23f., 101f., 155 und 182) als ein strukturierendes Moment an, da sich an der besonderen Konstellation des getrennt lebenden "Gelehrten-Paares" sicherlich typische Merkmale des westlichen Wissenschaftsbetriebs im 20. Jahrhundert herausarbeiten ließen.
Anmerkungen:
[1] Regina Weber: Zwischen Fremd- und Selbstbestimmung. Lotte Labowsky (1905-1991), die Schülerin Aby Warburgs im englischen Exil, in: Inge Hansen-Schaberg / Hiltrud Häntzschel (Hgg.): Alma Maters Töchter im Exil. Zur Vertreibung von Wissenschaftlerinnen in der NS-Zeit, München 2011, 210-225.
[2] Die Publikation erfolgte zwei Jahre später: Lotte Labowsky: Die Ethik des Panaitos. Untersuchungen zur Geschichte des Decorum bei Cicero und Horaz, Leipzig 1934.
[3] 1929 wurde er bei Ernst Hoffmann mit seiner Arbeit über diesen Fund promoviert. Siehe Raymond Klibansky: Ein Proklos-Fund und seine Bedeutung (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 1928 / 29, Philosophisch-Historische Klasse, 3. Abhandlung), Heidelberg 1929. Diese Studie wurde offenbar nachträglich als Dissertation anerkannt.
[4] An allen acht Bänden der Edition, die zwischen 1940 und 1962 erschienen, hat Lotte Labowsky als Assistentin mitgewirkt. Zu Band 1 hat sie das lateinische Vorwort verfasst: Corpus Platonicum Medii Aevi. Auspiciis Academiae Britannicae editit Raymundus Klibanky. The Warburg Institute, London 1940-1962, Plato Latinus. Editit Raymundus Klibansky, Volumen I. Meno. Interprete Henrico Aristippo. Editit Viktor Kordreuter. Recognovit et praefatione instruxit Carlotta Labowsky. Londonii, In aedibus Instituti Warburgiani, 1940. - Band 3 haben Labowsky und Klibansky gemeinsam bearbeitet und herausgegeben: Volumen III. Platonis Parmenides nec non Procli Commentarium in Parmenidem, pars adhuc inedita. Editerunt, praefatione adnotatibusque illustraverunt Raymundus Klibansky et Carlotta Labowsky. Londonii, In aedibus Instituti Warburgiani, 1953.
[5] Lotte Labowsky: Bessarion's Library and the Biblioteca Marciana. Six early inventories. Edizioni die Storia e Letteratura. Rom 1979 sowie weitere Aufsätze zum Thema.
[6] Nachlass Raymond Klibansky, Deutsches Literaturarchiv Marbach.
Ruth Heftrig