Carola Fey / Steffen Krieb (Hgg.): Adel und Bauern in der Gesellschaft des Mittelalters. Internationales Kolloquium zum 65. Geburtstag von Werner Rösener (= Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters; Bd. 6), Affalterbach: Didymos-Verlag 2012, 344 S., 24 s/w-Abb.; 24 Tafeln mit 39 Farbabb., ISBN 978-3-939020-26-4, EUR 69,00
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Am 19. August 2009 beging Werner Rösener seinen 65. Geburtstag. Aus diesem Anlass fand vom 16. bis 18. September desselben Jahres in Gießen unter dem Titel "Adel und Bauern im Spannungsfeld der Gesellschaft des Hoch- und Spätmittelalters" eine internationale Tagung statt, deren Akten in der vorliegenden Festschrift versammelt sind. Thematisch sind die insgesamt 14 Beiträge allesamt an die Hauptforschungsgebiete Werner Röseners angelehnt, nämlich an die Agrargeschichte, den Wandel der Grundherrschaftsstrukturen sowie die Adelsherrschaft und -kultur im Mittelalter.
Die mittelalterliche Gesellschaft und Kultur waren zum größten Teil agrarisch geprägt; selbst im späten Mittelalter gehörten dem Agrarsektor mehr als vier Fünftel der Bevölkerung an. Obwohl der Erforschung sozialgeschichtlicher Fragen, wie etwa der nach der Entwicklung und der Struktur der ländlichen Gesellschaft, durch die ältere deutsche Mediävistik durchaus Aufmerksamkeit geschenkt und fruchtbare Ergebnisse zu Tage gefördert wurden, "ist die Fortführung dieser wichtigen Ansätze [...] eher randständig geblieben" (10), ganz im Gegensatz zu den europäischen Nachbarländern, wo beispielsweise in Frankreich mehrere agrarhistorische Grundlagenwerke der Mittelalterforschung vorgelegt wurden. [1] Ebenso wurde in England und Frankreich der mittelalterlichen europäischen Klimageschichte im Vergleich zum deutschsprachigen Raum größeres Interesse zuteil. Die in der Mittelalterforschung der letzten Jahrzehnte verfolgten interdisziplinären Ansätze haben schließlich zu neuen sozialgeschichtlichen und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen geführt. Als ein vor diesem Hintergrund vielversprechendes Themenfeld für neue Erkenntnisse und Perspektiven erscheint daher das Thema des Spannungs- und Konfliktverhältnisses zwischen Adel und Bauern im Mittelalter. An diesem Punkt setzen das Gießener Fest-Symposium und der daraus entstandene Sammelband mit einer ganz bewusst gewählten methodisch vielgestaltigen und interdisziplinären Herangehensweise an.
Die Beiträge sind jeweils zu nahezu gleichen Teilen fünf Themenblöcken zugeordnet, in denen die übergreifende Thematik entwickelt wird. Der erste Themenkomplex widmet sich allgemein den Grundlagen der ländlichen Gesellschaft im Mittelalter, wobei hier auch die oben genannte Klimageschichte berücksichtigt wird. Diesem bisher in der deutschsprachigen Forschung geringen Stellenwert genießenden Bereich der Entwicklung und der Zusammenhänge von Klima, Natur und Umwelt nimmt sich Dirk Meier für die Zeit des hohen und späten Mittelalters an (15-44). Die klimatischen Bedingungen müssen als gewichtige Voraussetzung des hochmittelalterlichen Siedlungs- und Landesausbaus betrachtet werden. Der demographische Einbruch der Bevölkerung im späten Mittelalter habe sich nachhaltig auf die Landnutzung ausgewirkt, so sei beispielsweise der Getreideanbau in dieser Zeit massiv zugunsten der Weidewirtschaft zurückgegangen und in weiten Teilen Europas habe eine Wüstungsphase eingesetzt. Im Spätmittelalter sei zudem eine Klimaverschlechterung eingetreten, die sich außer mit historischen Quellen auch interdisziplinär durch Eisbohrkernuntersuchungen belegen ließe.
Die Aufsätze des zweiten Themenkomplexes beschäftigen sich mit den Veränderungen im Bereich der Agrarwirtschaft. In den drei dieser Sektion zugeordneten Beiträgen werden unter anderem die Entwicklung der Agrartechnik und der Bewirtschaftungsformen, die Agrarwirtschaft und die Bodenverhältnisse im mittelalterlichen Burgund sowie die Problematik von Kontinuität und Fluktuation in den süddeutschen Siedlungen des frühen und hohen Mittelalters behandelt, wobei in der Untersuchung von Rainer Schreg vor allem die anhand der Archäologie gewonnenen neuen Ergebnisse zur Siedlungsentwicklung und Dorfgenese im Mittelpunkt stehen (137-164). Besonders betont wird zum Ende des Beitrags die Wichtigkeit der Interdisziplinarität für die Erforschung von Siedlungsprozessen sowie den Forschungsfortschritt im Allgemeinen.
In der dritten Sektion werden in erster Linie Fragen zur Sozialstruktur und zu den sozialen Organisationsformen des ländlichen Raumes behandelt. Besonders anhand des von Sigrid Hirbodian in den Blick genommenen Gegenstands der ländlichen Rechtsquellen und der politischen Kultur in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (165-176) wird deutlich, dass in den Auseinandersetzungen zwischen Herrschaft und Gemeinde nicht klar definierte Gruppeninteressen, sondern vielmehr oftmals die miteinander in Austausch stehenden Akteure zu immer wieder neuen Ordnungsvorstellungen und Normen gelangten. Vor diesem Befund erscheine auch die Formierung des Territorialstaates in der Frühen Neuzeit für die ländliche Ebene weitaus komplexer und vielschichtiger als bisher gedacht.
Im Mittelpunkt des vierten Abschnitts stehen das Umfeld von Kommunikationsformen, die Mündlichkeit und Schriftkultur sowie die Religiosität von adliger und bäuerlicher Bevölkerung. Zurückgegriffen wird bei den Analysen auf in diesem Zusammenhang bislang eher wenig berücksichtigtes Quellenmaterial. Carola Fey beschäftigt sich mit Ablässen und Reliquien sowie der fürstlichen Förderung des religiösen Lebens in Kirchen und Kapellen anhand des Beispiels der bayerischen Wittelsbacher im späten Mittelalter (203-222). Dabei kann sie verdeutlichen, dass die Fürsten ein erhebliches Interesse an der Ausstattung residenznaher Sakralräume hatten und dabei nicht nur exklusive, sondern auch breitere Bevölkerungskreise mit Angeboten zur Heilsvorsorge bedachten. Für Reliquienausstattungen und den Erwerb von Ablassurkunden ließen sich "beachtliche Aufwendungen" ausmachen, wobei betont werden muss, dass "angesichts des fragmentarisch erhaltenen Materials [...] diese Beobachtungen jedoch mit Vorsicht zu verallgemeinern" seien (221). Manchmal hätten Gnadenorte alternativ oder in Konkurrenz zu den mit Ablässen ausgestatteten Sakralräumen in Residenzen die Funktion als residenznahe gnadenspendende Orte für größere Bevölkerungskreise übernommen, so zum Beispiel die besonders von Herzog Heinrich dem Reichen (1386-1450) geförderte Heilig Blut Kirche nahe Burg Trausnitz oberhalb Landshuts. Auch wenn zum Beispiel in der städtischen Residenz München der Versuch der Einrichtung eines heilsspendenden Mediums aus dynastischen und machtpolitischen Motiven gescheitert sei, äußerte sich die spätmittelalterliche fürstliche Heilsvorsorge doch allgemein "in anspruchsvollen [...] Ausdrucksformen, die ein hohes Maß an Öffentlichkeit" zugelassen und gefördert hätten (222).
Die Beiträge des fünften Themenblocks befassen sich allesamt mit dem Spannungsverhältnis von Herren und Bauern und konkreten Konfliktfällen. Am Beispiel der Nordostschweiz fragt Stefan Sonderegger vor dem Hintergrund der Schwierigkeit einer aussagekräftigen Quellengrundlage nach den Grenzen und Möglichkeiten zur möglichst genauen Ermittlung der landwirtschaftlichen Strukturen zu einem bestimmten Zeitpunkt (249-270). In der bisherigen agrargeschichtlichen Forschung seien manche quellenkritische Überlegungen vernachlässigt worden. Urbariales Schriftgut hätte nämlich beispielsweise zwei eng miteinander verknüpfte Ebenen: Urbareinträge formulierten einerseits gewissermaßen den generellen herrschaftlichen Anspruch gegenüber den Untergebenen, während andererseits die verzeichneten Abgaben ungefähre Richtgrößen oder Schätzwerte mit erheblicher Spannbreite gewesen seien, die als Grundlage zur Festlegung der jährlich zu zahlenden effektiven Leistungen unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen Situation gedient hätten. Unter der Prämisse, dass die "Effektivabgaben weitgehend die landwirtschaftliche Produktion eines damit belasteten Gutes widerspiegeln" würden (270), könne die Spezialisierung des landwirtschaftlichen Sektors im Umland von St. Gallen analysiert werden. Über die weltliche Grundherrschaft habe die Stadt direkt Einfluss auf die ländliche Wirtschaft genommen und es bildete sich aufgrund der verschiedenen städtischen Interessen, wie zum Beispiel der Nahrungssicherung oder kommerzieller Belange, in der Region eine besondere landwirtschaftliche Spezialisierung aus. So existierten in der St. Galler Umgebung drei Zonen (Getreideanbau, Viehwirtschaft und Weinbau), die zur Eigenversorgung allesamt in Austausch miteinander gestanden hätten, welcher wiederum teilweise über die Stadt vermittelt worden sei.
Durch die Vielfalt der behandelten Themenkomplexe und die diesen in den einzelnen Aufsätzen methodisch wie interdisziplinär unterschiedlich zugrunde gelegten Herangehensweisen gelingt es den Beiträgern der Festschrift, das zu erfüllen, was die beiden Herausgeber in ihrer Einführung mit dem vorgelegten Band bezwecken wollten, nämlich durch eine interdisziplinäre und methodisch vielgestaltige "Hinwendung zum Thema des Spannungs- und Konfliktverhältnisses zwischen Adel und Bauern in der mittelalterlichen Gesellschaft [...] neue Erkenntnisse und Perspektiven" zu gewinnen (10). Abgerundet wird der mit zahlreichen, mitunter farbigen Abbildungen, Diagrammen, Karten und Tabellen ausgestattete Sammelband durch das umfangreiche Schriftenverzeichnis des Jubilars (329-343) sowie ein Autorenverzeichnis (344). Leider fehlt - gerade bei einer Publikation mit einer solchen Vielzahl von genannten Orten, Städten und Landschaften - ein Register der Orts- und Personennamen, das dem Leser einen gezielten Zugriff auf den reichen Inhalt des Bandes erleichtert hätte.
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu beispielsweise die Werke von Marc Bloch, Georges Duby oder Robert Fossier. Der Jubilar hat für den deutschsprachigen Raum einige einschlägige Monographien zur Thematik, welche zum Teil in mehrere Sprachen übersetzt wurden, vorgelegt, so zum Beispiel Grundherrschaft im Wandel. Untersuchungen zur Entwicklung geistlicher Grundherrschaft im südwestdeutschen Raum vom 9. bis 14. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; 102), Göttingen 1991 (zugleich Habil. Göttingen 1990); Bauern im Mittelalter, München 4. unveränderte Auflage 1991; Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte; 13), München 1992; Die Bauern in der europäischen Geschichte des Mittelalters, München 1993 oder Einführung in die Agrargeschichte, Darmstadt 1997.
Markus Frankl