Mark Mazower: Governing the World. The History of an Idea, 2013, XVII + 475 S., ISBN 978-0-141-01193-6, GBP 12,99
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Mechthild Lindemann / Christoph Johannes Franzen (Bearb.): Akten zur auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1961, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2018
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Mark Mazower hat in den letzten Jahrzehnten eine beachtliche Fülle an wichtigen Büchern geschrieben. Dieses ist anders als die anderen und das umfassendste: Es stellt eine globale Geschichte der letzten 200 Jahre unter einer bestimmten Fragestellung dar. Governing, Regierung, meint genau das, was es auch im Deutschen sagt und ist eben nicht - das bislang bei uns nicht recht übersetzte - Governance. Das ist schon ein wichtiges Ergebnis: Regieren ist wichtig und damit auch Herrschaft und Macht. Es geht um eine inter- und transnationale Geschichte, die nicht so sehr Aktionen, sondern Konzeptionen, Ideen umfasst. Dabei stehen immer die Umsetzung, die erwünschten Wirkungen und die unerwünschten Nebenwirkungen im Mittelpunkt.
Mazower setzt ein mit der nachnapoleonischen Ordnung des europäischen Konzerts, das bis 1914 im ersten der 14 Kapitel umrissen wird. Den konservativen bis reaktionären Charakter betont er ebenso wie die Leistungen - man muss das nicht gleich einen "Sicherheitsrat" nennen, wie Matthias Schulz es getan hat. [1] Es schließen sich mehrere Kapitel an, die den Internationalismus in all seinen Ausprägungen entfalten: Bentham, Cobden, Marx, Mazzini sind die wichtigsten Protagonisten ("brotherhood"). Aber auch der wissenschaftliche Internationalismus ("science, the unifier") sowie das Völkerrecht sind zentrale Themen, die filigran ausgebreitet werden. Schon unter den Vorläufern des Internationalismus steht bei Mazower Kants "Zum ewigen Frieden" von 1795. Der Autor wehrt sich hier u.a. dagegen, den Republikaner zum Vorläufer moderner Demokratie zu stempeln, und hebt auch seine Abneigung gegenüber Juristen hervor. Es geht hier wie auch sonst um leicht vorgetragene, aber deutliche Spitzen gegen andere, zum Teil gerade gängige Deutungen. Meist merkt nur der Kundige die Polemik, die manchmal zu bezweifeln, aber immer anregend ist.
Beim Völkerbund stehen Wilsons Ideen im Vordergrund, die religiös konnotiert werden; es war kein "virtue triumphing over vice"(118). Er entstand jedoch aus der Absetzung von den bisherigen Concert-Traditionen, enthielt aber dennoch manches davon. Daneben stehen mehrere gegenläufige Tendenzen machtpolitischer Art sowie eine juristische Konstruktion der ganzen Ordnung und auch das British Commonwealth als eine besondere Art der "League of Nations". Bekanntlich hat der Völkerbund nie die zentrale Rolle gespielt, die viele erhofften. Aber Mazower stellt vor allem die dort tätigen Experten und die entstehenden Unterorganisationen mit deren Leistungen als eine sehr positive neue Größe heraus.
In der "Battle of Ideologies" werden nicht nur liberaler Internationalismus, Kommunismus und Nationalsozialismus gegenübergestellt, sondern auch Institutionen, wie das wenig erfolgreiche Mandatssystem des Völkerbundes oder - erneut sehr kritisch - die internationalen Juristenvereinigungen ("What is wrong with international law?").
Die zweite Hälfte des Buches ist der Zeit nach 1945 gewidmet und damit im Kern dem Spannungsfeld von UNO und USA. Anders gesagt: Der US-Status des Universalismus und dessen Rede vom Exzeptionalismus (424f.) gleichermaßen gingen lange Zeit gut und die Welt positiv dominierend einher. Die UN war nicht nur durch den Kalten Krieg und das Veto der Großmächte in entscheidenden sicherheitspolitischen Fragen blockiert. Die USA verstanden es, gerade in den Unterorganisationen durch eigene personelle Vertretung beim Aufbau und bei der Ergänzung des Apparates, aber auch durch finanzielles Engagement und Zusammenarbeit mit den US-Behörden und den schon in der Zwischenkriegszeit wichtigen Stiftungen großen Einfluss auszuüben. Modernisierungstheorien und Entwicklungspläne als das entscheidende Vehikel einer neu aufzubauenden Welt gehörten dazu ("Development as World-Making").
Das änderte sich mit der Unabhängigkeit der meisten kolonialen Staaten, die sich dann aber auch aus den Großprojekten zu ihrem Aufbau lösten, die ihnen angedient worden waren. Die USA gerieten in die Opposition zur UNO als solcher, neigten in Teilen dazu, sich ganz daraus zurückzuziehen, nur Personen wie Daniel Moynihan, demokratischer US-Senator und zeitweilig UN-Botschafter, sorgten für eine realistischere Sichtweise und weitere Kooperation. Seit der großen Wende der 1970er Jahre liefen die Dinge gänzlich aus dem Ruder und zwar wiederum gegenläufig. Dem International Monetary Fund und in zweiter Linie der World Bank wird hier prägnant illustriert die Verantwortung gegeben: Junge Technokraten ohne jede historische Kenntnis lieferten mit mathematischen Modellen die Anleitungen etc. Hier diskutiert Mazower die vielfältigen neuen Formen der staatlichen-privaten Zusammenarbeit, die Welt der NGOs und deren Einfluss, die zunehmende Rolle von Menschenrechten, Aufkommen der Responsibility to protect. Da ist er insgesamt recht skeptisch und hebt die Nebenwirkungen guter Taten hervor, die hier konstitutiv werden.
Schon zu den Haager Friedenskonferenzen 1899/1907 merkt Mazower an, dass in ihnen ein Völkerrecht für die zivilisierte Welt geschaffen wurde, die die Kolonialvölker ausklammerte und erst recht rechtlos gemacht habe. Dieses Argument zieht sich bis zu den genannten Entwicklungen der Gegenwart durch. Beim Internationalen Strafgerichtshof (ab 1998) argumentiert er, die Großen würden sich dem eh nicht stellen, die Mittleren wie üblich applaudieren - aber die Kleinen würden je nach Zivilisationsstandard, denen man ihnen zubillige, bestraft. "As governance replaced government, welfare nets frayed, and income and wealth inequality rose sharply" (423), heißt es für die jüngere Vergangenheit. Der Grund: Staaten, vor allem Großmächte hätten ihre eigenen gesellschaftlich bestimmten Legitimationsregeln, unter denen sie handelten, internationale Netzwerke aber nur ihre eigenen. Diese Antinomie kann man trefflich bezweifeln, das unvermeidliche Spannungsfeld zwischen engeren nationalen Interessen der Großmächte und den universalen Ideen und ihrer Rhetorik (so auch Mazower - XII) wird man aber nicht bezweifeln können. Mazower ist kein Gegner des Internationalismus, sondern betont, wie sehr Nationen mit Internationalismen koexistierten, ja dadurch in den letzten zwei Jahrhunderten erst wirken konnten - nicht zuletzt durch Konzert, Völkerbund und UNO. Aber das Buch ist doch insgesamt ein einziges Caveat gegenüber zu optimistischen und linearen Weltsichten einer Entwicklung hin zu Recht und internationaler Vernetzung, Wohlstand und Frieden, welche die Probleme besser lösen könne - die eigentlichen Weltfragen der Gegenwart bleiben für den Autor liegen (Umwelt, Überbevölkerung u.a.).
Mazower schreibt einen sehr lesbaren Stil, streut immer wieder sprechende Zitate von Staatsmännern, Denkern oder auch ganz beliebigen kleineren Beamten ein. Anekdoten führen den Leser an der Hand. Die Darstellung ist ein großer Essay, der notgedrungen für komplexe Argumentationen immer nur ein Beispiel anführt und nicht flächendeckend analysieren kann. Aber er ergänzt und kontextualisiert an vielen Stellen weiter. Es ist ein Europa- und Nordamerika-zentrisches Werk entstanden, obwohl seit dem 19. Jahrhundert immer wieder andere Erdteile eingeblendet werden. Da wären ganz andere Perspektiven möglich, wie auch der Verfasser konzediert. Aber manchmal werden die Dinge zu einfach und zu antithetisch gesehen, wenn etwa die NS-Politik nur mit Carl Schmitt gekennzeichnet wird - Mazower kennt sich ausweislich seiner vielen anderen Bücher ja glänzend aus. Dasselbe gilt für die funkelnden Vor- und Rückblicke: erhellend immer, aber die nötige Qualifikation der Aussage bleibt vielfach aus. Hier liegt ein ungemein gebildetes, auf breiter (leider nur anglo-amerikanischer) Forschung aufbauendes Buch vor, das bisweilen polemisch ist, aber im Großen wie im Kleinen die Auseinandersetzung lohnt. Es ist ein Buch für die Gegenwartsanalyse ebenso wie über die letzten zweihundert Jahre globaler Geschichte. Das Thema hätte kaum jemand sonst schreiben können - und mit diesen Zuspitzungen natürlich nur Mark Mazower. Manchmal hilft ja auch das Wünschen: Eine Übersetzung lag nahe und sie ist dann auch soeben, wie immer kompetent ediert, im C.H. Beck Verlag erschienen. [2] Nun steht auch einer breiten deutschen Rezeption nichts mehr im Wege.
Anmerkungen:
[1] Matthias Schulz: Normen und Praxis. Das Europäische Konzert der Großmächte als Sicherheitsrat, 1815-1860, München 2009.
[2] Mark Mazower: Die Welt regieren. Eine Idee und ihre Geschichte von 1815 bis heute. München 2013.
Jost Dülffer