Erol Yildiz: Die weltoffene Stadt. Wie Migration Globalisierung zum urbanen Alltag macht (= Kultur und soziale Praxis), Bielefeld: transcript 2013, 203 S., ISBN 978-3-8376-1674-3, EUR 24,80
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Sind die Freisitze vor den Bars und Restaurants in Deutschlands Städten ein migrationsbedingter Import oder indigener Teil deutscher Kultur? Was Maren Möhring kürzlich in ihrer Studie zur ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik bereits beantwortet hat [1], treibt auch Erol Yildiz um. Der Soziologe, heute Professor für interkulturelle Bildung und Migration, kennt die Milieus im Kölner "Veedel" und erinnert sich, dass die Eroberung der Bürgersteige von türkischen und italienischen Wirtsleuten ausging, die einst im Sommer Stühle vor ihr Lokal stellten, um zu beobachten, was draußen vor sich ging. Daraus entwickelt sich die Ausgangsthese des vorliegenden Buches: In deutschen Städten haben sich längst Kommunikations- und Praxisformen etabliert, die im Laufe der Nachkriegszeit von Migranten wesentlich mitgeprägt, wenn nicht gar initiiert wurden.
Wer nun hofft, in fundierten lokalen Analysen mehr über diesen (historisch ja durchaus einleuchtenden) Transfer- und Aneignungsprozess zu erfahren, wird leider enttäuscht. Denn in der Einleitung erfahren wir, dass es Menschen gibt, die Yildiz entgegenhalten, die Außengastronomie sei keine türkische/italienische/griechische Erfindung, sondern vielmehr Ausdruck einer "Freiluftkultur", die es in Deutschland schon immer gegeben habe (7f.). Dies führt den Autor weg vom wissenschaftlichen Gegenstand und hin zum eigentlichen Telos des Buches: Er schreibt an gegen eine deutsche Öffentlichkeit (die Wissenschaft eingeschlossen), die den migrantischen Beitrag für die urbane Alltagskultur und die Entwicklung von Stadtteilen nicht anerkenne und überhaupt Migration als konstitutives Moment städtischer Entwicklung verkenne, weil sie im ethnisch-nationalen Weltbild verhaftet bleibe (z.B. 64-67) und von Homogenitäts- und Eindeutigkeitsphantasien durchdrungen sei - kondensiert in Begriffen wie "Integration" und "Identität" (96). [2]
Gegenüber diesem hegemonialen Dispositiv, nach dessen Logiken das Wissen über Migranten und ihre Alltagspraktiken organisiert sei, betont Yildiz den "pragmatischen Alltag" (10), die unspektakuläre Normalität in migrantisch geprägten Quartieren, die im öffentlichen Diskurs zu "Ghettos" oder "Problemvierteln" stilisiert würden. Schon diese Stoßrichtung offenbart, dass es nicht zentral um die Stadt und ihre Viertel geht, sondern darum, die Migranten vom Ruch des Ghettos zu befreien. Es handele sich vielmehr um "Transtopien" oder "Welt-Räume" (9); Orte also, wo die Globalität und die Weltbürger Fuß fassen, und in der Logik des Kosmopolitismus sind sie damit gleichsam die 'fortschrittlichsten' Quartiere der Stadt, die im Zuge der neuen Globalisierung selbst zum "Welt-Raum" wird.
An diesem politischen Impetus leidet die analytische Tiefenschärfe des Bandes ebenso wie an seinem Format. Yildiz liefert erklärtermaßen keine Monographie ab, sondern eine Sammlung von Aufsätzen und Auszügen aus vergangenen Studien. Das ist durchaus legitim, doch bringt in diesem Fall eine Fülle von Redundanzen mit sich.
Mit allerlei soziologisch-kulturwissenschaftlicher Gelehrigkeit trägt der Autor in sechs Kapiteln immer wieder die aus historischer Sicht nicht ernsthaft zu bestreitenden Thesen vor, dass Stadt und Migration unauflösbar miteinander verbunden sind, dass Fremdheit eine Grunderfahrung des Urbanen darstellt, dass Migranten den städtischen Alltag und die Aufnahmegesellschaft insgesamt verändern, dass sie ganz wesentlich auf soziale Netzwerke zurückgreifen, dass sie hybride Identitäten ausbilden und dass sie als transkulturelle Mittler auftreten. In den letzten vier Kapiteln wirft er immerhin einige empirische Schlaglichter auf "(post-)migrantische" Biographien und die pragmatische Alltagspraxis in migrantischen Stadtvierteln Kölns (Weidengasse, Keupstraße, Ehrenfeld), die er aus Interviews und teilnehmender Beobachtung rekonstruiert.
Überzeugend sind dabei seine Hinweise auf die kreativen Impulse migrantischer Ökonomien für Stadtviertel, die aufgrund von Entindustrialisierungsprozessen im Niedergang begriffen sind. Ursprünglich Ausdruck einer "Überlebensstrategie" (67) der Migranten, die aufgrund von Restriktionen der deutschen Aufnahmegesellschaft vom konventionellen Arbeitsmarkt ausgeschlossen seien, habe sich die migrantische "Kultur der Selbständigkeit" (154) zu einem Erfolgskonzept entwickelt, das für urbane Lebensqualität sorge. Die Keupstraße in Köln-Mülheim mit ihrem vielfältigen Angebot an Waren und Dienstleistungen sei ein Beispiel für die erfolgreiche Wiederbelebung eines Quartiers "mit orientalischem Flair", das inzwischen auch Touristen anziehe und sukzessive in die indigene Stadtkultur aufgenommen worden sei, etwa indem Backwaren aus der Keupstraße nun auch auf dem Düsseldorfer Weihnachtsmarkt verkauft würden oder der Kölner Karnevalszug seit einiger Zeit durch die Straße führe (142-157).
Nicht mit dem Terminus "Integration", sondern mit dem durchaus treffenden Konzept der "Verortung" begreift Yildiz das (ökonomische) Handeln der Migranten, weil dieser die "Offenheit, Prozesshaftigkeit und Kontextgebundenheit" dieses Handelns erfasse (96). Als weniger erhellend stellen sich seine "Rekonstruktionen" mobiler Biographien und der "sozialen Grammatik" migrantischer Stadtviertel heraus. Wir erfahren in aller deskriptiven Kürze von vielen verschiedenen Menschen mit vielen verschiedenen Migrationsgeschichten und vielen verschiedenen Formen, sich das Stadtviertel anzueignen und ihre sozialen Beziehungen zu organisieren. Genügt dies, um Migration und Stadt zu verstehen? Die aufscheinende Banalität des Alltagslebens in migrantischen Vierteln, die gewissermaßen in dem, was Yildiz empirisch zu bieten hat, weiterlebt, hat durchaus ihren Sinn, wendet er sich doch gegen eine soziologische Strömung, die in der zunehmenden Globalität individueller Lebensentwürfe die Gefahr sich auflösender Bindungen und einer das soziale Leben bedrohenden Entlokalisierung sieht. [3]
Der Band fügt sich somit ein in eine soziologisch-kulturwissenschaftliche Debatte, die von einer bahnbrechenden Neuheit aktueller Globalisierungsprozesse ausgeht. (Migrations- und Stadt-)Historiker dürften dem skeptisch gegenüberstehen - und haben von dem vorliegenden Band kaum neue Erkenntnisse zu erwarten.
Anmerkungen:
[1] Außengastronomie war bereits im Kaiserreich prinzipiell gestattet. Verbreitung fand sie jedoch erst seit den 1980er Jahren durch ausländische Gastronomen. Vgl. Maren Möhring: Fremdes Essen. Die Geschichte der ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik Deutschland, München 2012, 253f.
[2] Zum Abgesang auf den Begriff der Integration vgl. Sabine Hess / Jana Binder / Johannes Moser (Hgg.): No integration?! Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa, Bielefeld 2009.
[3] Richard Sennett: Der flexible Mensch - Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998.
Claudia Christiane Gatzka