Wolfgang Hofmann: Bürgerschaftliche Repräsentanz und kommunale Daseinsfürsorge. Studien zur neueren Stadtgeschichte (= Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung; 14), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, 434 S., 39 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-10120-2, EUR 74,00
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Es sind alte Bekannte, denen wir begegnen: zwölf zwischen 1965 und 2009 bereits anderweitig veröffentlichte Aufsätze, die hier mit einer orientierenden Einleitung noch einmal präsentiert werden. Der Autor Wolfgang Hofmann, lange Jahre Professor an der Technischen Universität Berlin und einer der Pioniere der bundesdeutschen Stadtgeschichtsforschung, hat der Sammlung überdies einen Epilog beigegeben, einen persönlichen Rückblick, den er "historiographische Erinnerung" nennt. Darin skizziert er seine Wege im Forschungsfeld, führt gleichsam ein Gespräch mit denen, die ihn angeregt, mit denen, die ihn begleitet und denen, die ihm nachgefolgt sind.
Während seines Studiums an der Freien Universität Berlin haben ihn vor allem zwei seiner akademischen Lehrer geprägt: Gerhard Oestreich, der seine Dissertation betreute, und Hans Herzfeld, dem er eine Stelle beim Verein für Kommunalwissenschaften und damit den Eintritt in die professionelle Welt der Wissenschaft verdankte. Oestreich, der als Schüler von Fritz Hartung aus der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte kam, strebte eine "Verbindung von Institutions- und Strukturgeschichte" an, Herzfeld richtete den Blick auf die Traditionen, die Defizite und Problemlagen der kommunalen Selbstverwaltung vor 1933, auf den Zusammenhang von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen und städtischer Politik, vor allem aber auf das Berlin der Nachkriegszeit, auf eine "Stadt im Widerstreit der politischen Systeme".
Beide Mentoren weckten und bestärkten Hofmanns Interesse an den historischen Erscheinungsformen der kommunalen Selbstverwaltung, an den grundlegenden Ideen, wie sie in der preußischen Städteordnung von 1808 niedergelegt worden waren, und an den Veränderungen, die diese seither erfahren haben. Damit hatte er sein wissenschaftliches Lebensthema gefunden. Auf die Doktorarbeit über die "Bielefelder Stadtverordneten" in den Epochen zwischen 1850 und 1914 folgten zahlreiche Bücher und Aufsätze, die jeweils eindringlich demonstrierten, welche Schätze an Erkenntnissen mithilfe fundierter, quellengesättigter Analysen kommunalpolitischer Phänomene und Entwicklungen zu heben waren. Das Augenmerk dabei galt der Politik und den städtischen Ordnungen, in denen sich diese bewegte, galt den lokalen Eliten und deren Führungsfiguren, namentlich den Oberbürgermeistern, immer wieder auch dem Verhältnis von Kräften der Beharrung und solchen des Wandels, angestoßen und vorangetrieben durch Industrialisierung und demographische Verschiebungen. Schon um den sozialen Zusammenhalt der Einwohnerschaft zu bewahren, sahen sich die städtischen Körperschaften gezwungen, darauf zu reagieren, umfangreiche Infrastrukturprojekte in Angriff zu nehmen, Maßnahmen der Daseinsvorsorge und Daseinsfürsorge zu ergreifen.
Durchgehendes Merkmal des Buches sind die weiten Bögen, die in den Aufsätzen gespannt werden. Stets scheinen in den Fallstudien allgemeine Problemen und Tendenzen auf, und immer wieder wird deutlich, wie fruchtbar und notwendig ein vergleichender Zugriff ist, sei es in internationaler, oder sei es in nationaler Perspektive, um der Vielgestaltigkeit der deutschen oder auch 'nur' der preußischen Verhältnisse Rechnung zu tragen. Untergliedert ist die Sammlung in vier große Abschnitte. Ausgehend von den Prinzipien des Freiherrn vom Stein, werden zunächst Idee und Realität der Repräsentation erörtert, ferner Fragen des Wahlrechts und die Debatten in westfälischen Städten wie Dortmund, Münster und Bielefeld bei der Einführung der revidierten Städteordnung von 1831. In einem zweiten Schritt geht es um die Oberbürgermeister als politische und administrative Elite in Kommune und Reich, besonders hervorzuheben der Beitrag, der die kommunalpolitischen Anfänge, dabei die zupackenden, sozialdemokratisch reformistischen Analysen des Berliner Stadtverordneten Ernst Reuter auf dem Deutschen Städtetag der 20er Jahre würdigt.
Das dritte Kapitel lenkt das Augenmerk auf das, was die Städte seit der Industrialisierung auszeichnet: auf die Entstehung der modernen Leistungsverwaltung und das Ausgreifen in das Umland, auf die Verflechtung von Stadt und Region, dargetan am Beispiel Charlottenburg, Spandau und Groß-Berlin. Schließlich viertens konzentriert sich der Blick auf das, was sich in der späten Weimarer Republik als Krise der kommunalen Selbstverwaltung verdichtet, zum einen hervorgerufen durch den Verlust an finanzieller Autonomie durch die Erzbergersche Finanzreform von 1920 und die Überbürdung mit sozialpolitischen Aufgaben, zum anderen herbeigeredet von prominenten Universitätsjuristen. Zu nennen sind Carl Schmitt, Ernst Forsthoff und Arnold Köttgen, welche die Tatsache der Demokratie nicht akzeptieren mochten und in der Politisierung kommunaler Entscheidungsprozesse ein Element staatlicher Auflösung, ja der Zersetzung sehen wollten. Konrad Adenauer, damals Oberbürgermeister von Köln, sprach bereits 1926 von einem "konzentrischen Angriff auf die Selbstverwaltung", dem er seine Überzeugung vom "staatspolitischen Erziehungsauftrag der Gemeinde" entgegenstellte.
Kein Zweifel, die hier versammelten Aufsätze sind reich an Facetten und Erkenntnissen. Geboten wird Ideen-, Struktur-, Institutionen- und Politikgeschichte. Darin liegt ihre Stärke, weniger bis gar nicht berücksichtigt werden die städtischen Gesellschaften an sich. Sie bleiben relativ blass. Gewiss, die tief greifenden Veränderungen infolge der Industrialisierung werden benannt, aber doch mehr in allgemeiner denn in konkreter Form. Auch die Kultur, die kulturellen Strömungen und kulturellen Milieus, die sich herausbilden, das Neben- und Gegeneinander von Hoch- und Populärkultur, deren Bedeutung für das Selbstverständnis und die Außenwirkung der Städte, darüber hinaus Zeitungen und Zeitungswesen, überhaupt die medialen Dimensionen von Öffentlichkeit und kommunaler Politik: Dies markiert gleichsam die 'Leerstellen' des Buches, das insofern doch einer älteren Epoche der Stadtgeschichtsschreibung verhaftet ist.
Aber noch einmal: Sie war und ist es, die unverzichtbare Fundamente gelegt hat, auf denen weiter gebaut werden kann und soll. Und ganz nebenbei: Manche der strukturellen Probleme im Verhältnis von Staat und Kommune, die Wolfgang Hofmann ins Bewusstsein ruft, haben nichts oder nur wenig an Aktualität eingebüßt. Man muss nur an die fortdauernde Abwälzung sozialpolitischer Aufgaben auf die Gemeinden erinnern, um zu ermessen, wie nah bisweilen die Vergangenheit der Gegenwart ist.
Jens Flemming