Inge Bily / Wieland Carls / Katalin Gönczi (Hgg.): Sächsisch-Magdeburgisches Recht in Polen. Untersuchungen zur Geschichte des Rechts und seiner Sprache (= Ius saxonico-maideburgense in Oriente; 2), Berlin: De Gruyter 2011, VIII + 482 S., ISBN 978-3-11-024889-0, EUR 99,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Drei Jahre nach Erscheinen des Eröffnungsbandes, in dem Konzeption und erste Teilergebnisse des Leipziger Akademie-Vorhabens Das sächsisch-magdeburgische Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas vorgestellt wurden [1], liegt der erste Länderband vor. Er ist naheliegenderweise Polen gewidmet, mithin jener Region, in der das sächsisch-magdeburgische Recht seine früheste und intensivste ostmitteleuropäische Rezeption und Weiterentwicklung erfuhr. Der von drei Mitarbeitern des Akademie-Vorhabens verfasste Band bietet, anders als man vielleicht hätte erwarten können, keine umfassende Synthese der Aufnahme und Ausgestaltung sächsisch-magdeburgischen Rechtes in den Gebieten des heutigen polnischen Staates bzw. seiner Auswirkungen auf Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft. Vielmehr legen die drei Autoren, wie schon der Untertitel anzeigt, Teiluntersuchungen zu diesem umfangreichen und ausgesprochen komplexen, daher auch längerfristige Forschungsanstrengungen erfordernden Thema vor.
Nach kurzen allgemeinen Vorbemerkungen zum Gesamtprojekt und seinem methodisch-thematischen Ansatz (Wieland Carls) folgt ein sehr kursorischer, leider etwas oberflächlicher (aus ganz allgemeinen Synthesen und ohne Rezeption der polnischsprachigen Forschung zusammengeschriebener) "geschichtlicher Überblick zum Untersuchungsgebiet unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsentwicklung", der keinerlei weiterführende Einsichten bringt (Katalin Gönczi). Auch der anschließende "Forschungsüberblick", der in zwei Teile ("Die Zeit bis 1945" - Carls / "Die Zeit nach 1945" - Gönczi) unterteilt ist, bietet kaum mehr als eine - durchaus sehr nützliche - Aufreihung der wichtigsten einschlägigen wissenschaftlichen Arbeiten zum "sächsisch-magdeburgischen Recht in den zurückliegenden 350 Jahren". Eine Aufreihung, ebenfalls ausgesprochen hilfreich, ist auch das vierte Kapitel, in dem Carls knapp, aber präzise die "Rechtsquellen sächsisch-magdeburgischen Rechts im Untersuchungsgebiet Polen" vorstellt (Land- und Lehnrechtsbücher, lokale Rechtsbücher, Schöffenspruchsammlungen sowie einzelne Rechtsquellen und ihre spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen polnischen Bearbeitungen beziehungsweise Übersetzungen).
Den umfangreichsten Teil des Bandes macht eine konstrastive Wortanalyse aus, die Inge Bily anhand einer deutschen und einer polnischen Handschrift der Magdeburger Schöffensprüche für Krakau (der sogenannten "Magdeburger Urteile") vorgenommen hat. Dass die Rezeption des sächsisch-magdeburgischen Rechts in Polen Spuren im Sprachmaterial hinterlassen hat, ist nicht überraschend, wird hier aber in einer - in der deutschen Forschung - bislang nicht erreichten Genauigkeit nachgewiesen und eindrucksvoll vor Augen geführt. Dabei überrascht, wie adäquat und ohne größere Inhaltsverluste die komplexen Rechtsinhalte der deutschen Fassung der "Magdeburger Urteile" ins Polnische übernommen worden sind. Überzeugend ist auch die Feststellung Bilys, dass "das Bestreben, Rechtstexte ins Polnische zu übersetzen, deren deutsche Ursprungsfassung in den Gebieten Polens bereits länger im Gebrauch, das heißt deren Inhalt wohl größtenteils rezipiert war, [...] nur daraus erklärt werden [könne], dass der Anteil der deutschen Bevölkerung in den Städten zurückging und sich das Gewicht im 15. Jahrhundert zur polnischen Sprache hin verschob" (318). Für die praktische Arbeit an den einschlägigen Quellen überaus willkommen sind die von Bily aus ihrer Auswertung der deutschen und polnischen Fassung der "Magdeburger Urteile" extrahierten deutsch-polnischen beziehungsweise polnisch-deutschen Wörterverzeichnisse, die im weiteren Verlauf der Projektarbeit zu mehrsprachigen Wörterverzeichnissen erweitert werden sollen. So wichtig die geografische und sprachliche Ausweitung der Leipziger Forschungen für das Gesamtunternehmen ist, bleibt doch sehr zu hoffen, dass sich mit dem vorgestellten Band, den eine dreiseitige "Zusammenfassung und Bewertung der [Gesamt-]Untersuchungsergebnisse", ein Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Register (jeweils von Carls) sowie zwei Kartenbeilagen beschließen, die Ergebnisse des Akademie-Vorhaben für Polen nicht erschöpfen (sind die weiteren geplanten Bände der Reihe doch den übrigen Ländern Ostmitteleuropas gewidmet, in den sächsisch-magdeburgisches Recht zu fassen ist). Denn eine moderne, über die älteren etablierten Erkenntnisse hinausführende Erforschung sächsisch-magdeburgischen Rechts in denen polnischen Ländern sowie seiner Auswirkungen auf deren Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur steht zweifellos erst am Anfang. Der vorliegende Band bietet dazu eine hervorragende deutschsprachige Bestandsaufnahme und Ausgangsbasis.
Anmerkung:
[1] Vgl. meine Besprechung in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 59 (2010), 573-574.
Eduard Mühle