Alison R. Holmes / J. Simon Rofe: The Embassy in Grosvenor Square. American Ambassadors to the United Kingdom,1938-2008, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, XVI + 360 S., ISBN 978-0-230-28062-5, GBP 65,00
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"Die Demokratie wird stets über Botschafter und Gesandte verfügen; es fragt sich bloß, ob sie Diplomaten haben wird."[1] Nach der Lektüre der Ahnengalerie amerikanischer Botschafter in London von 1938 bis 2008 ist man geneigt, diese Frage des Diplomaten Jules Cambon zu verneinen. Die Konzeption des Buches erscheint zunächst vielversprechend. Sachkundig wird in die Geschichte des Botschaftsstandorts am Grosvenor Square eingeführt und die Bedeutung der dortigen Botschaft für die USA herausgearbeitet. Sie genießt in jeder Hinsicht eine herausragende Stellung, denn sie ist nicht nur die älteste und prestigeträchtigste, sondern auch die größte Auslandsvertretung. Von 1938 bis 2008 waren dort zwischen 600 und 1000 Personen beschäftigt und bis zu 17 Regierungsbehörden vertreten. Unter den amerikanischen Auslandsvertretungen gilt die Londoner Botschaft zudem bis heute als diplomatisches Nervenzentrum, dessen Impulse - vor allem in Krisenzeiten - weit nach Europa und darüber hinaus ausstrahlen können.
Die Betrachtung orientiert sich zeitlich an der Entstehung der "special relationship" im Zweiten Weltkrieg und der Ausprägung der modernen "imperial presidency" unter Präsident Franklin D. Roosevelt. Für die USA war dies eine Phase des rapiden weltpolitischen Aufstiegs, während es für Großbritannien den Abschied von der einstigen imperialen Weltmachstellung bedeutete. Die Untersuchung endet mit der Ankündigung im Jahr 2008, das Botschaftsgebäude am Grosvenor Square zugunsten eines neuen Botschaftsgebäudes südlich der Themse aufzugeben. Insgesamt unterteilen die Herausgeber den Untersuchungszeitraum in sechs Kapitel, die sich grob an den Zäsuren Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg und 11. September 2001 orientieren. Methodisch stützen sich die Beiträge auf Quellenmaterial aus den jeweiligen Nationalarchiven, auf Quelleneditionen sowie auf Zeitzeugeninterviews. Den Kapiteln haben die Herausgeber jeweils knappe Einführungen in den historischen Kontext vorangestellt. Als analytische Leitlinie dient der Topos der "special relationship", deren tatsächliche Existenz bis heute zahlreiche Forschungskontroversen befeuert. Ausgehend von einer Definition David Reynolds' machen die Herausgeber drei Dimensionen dieser Sonderbeziehungen aus: die militärisch-geheimdienstliche, die wirtschaftliche und die kulturelle.
In den Beiträgen lassen sich durchgängige biographische Muster erkennen. Von den insgesamt 20 Botschaftern war nur ein einziger ausgebildeter Berufsdiplomat. Bei allen anderen handelte es sich um politische Ernennungen, was mit den Eigenheiten des politischen Systems der USA erklärt werden kann. In den meisten Fällen belohnte der Präsident mit dem Botschafterposten Parteifreunde, die sich während des Präsidentschaftswahlkampfs als großzügige Spender erwiesen hatten. Dementsprechend entstammten die meisten Botschafter dem "big business". Die finanzielle Unabhängigkeit war auch dienlich hinsichtlich der enormen Kosten, die mit dem Posten verbunden waren, weil die USA ihre Auslandsrepräsentanten in Abgrenzung zu den adeligen Diplomaten anderer Staaten im 18. und 19. Jahrhundert traditionell als "citizen diplomats" betrachten. Amerikanische Botschafter müssen daher ihre Unterbringung selbst finanzieren, was laut Claire Boothe Luce dazu führte, dass sich um die prestigeträchtigen Auslandsvertretungen in London und Paris ein "dollar curtain" gesenkt habe. Daneben ist oftmals auch das persönliche Verhältnis zum Präsidenten entscheidend. Die Freundschaft zum Präsidenten kann dabei ebenso eine Rolle spielen wie politische Konkurrenz in der eigenen Partei. So war die Ernennung von Joseph P. Kennedy (1938-40) ein taktisches Manöver von Präsident Roosevelt, um einen unliebsamen Rivalen innenpolitisch kalt zu stellen. Umgekehrt ernannte Richard Nixon den zum Diplomaten untauglichen Walter H. Annenberg (1969-74), um seine eigene außenpolitische Bewegungsfreiheit zu maximieren. Die sachliche Kompetenz der Botschafter spielte eine nachgeordnete Rolle.
Auch mit Blick auf die Erfolgsbilanz der Botschafter werden einige Grundmuster sichtbar. Da jene meistens bei ihrer Ernennung nicht über diplomatische Erfahrung verfügten, hing ihr politischer Einfluss von der erfolgreichen Vernetzung im eigenen außenpolitischen Establishment und dem des Gastlandes ab. Die Kontaktpflege in Whitehall war allerdings wenig wert, wenn der Botschafter sich nicht beim eigenen Außenminister oder Präsidenten selbst Gehör verschaffen konnte. Es verwundert daher nicht, dass der einzige Berufsdiplomat im Amt des Botschafters, Raymond G. H. Seitz (1991-94), bis heute als der erfolgreichste Amtsinhaber gelten kann. Seitz kannte sich aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit im Diplomatenkorps sowohl in Londoner Regierungskreisen als auch in den Machtkorridoren Washingtons bestens aus. Alle anderen Botschafter mussten dagegen ihre Geschäftskontakte in London zu politischen Netzwerken ausbauen und sich zugleich auf die Expertise der Berufsdiplomaten in der Botschaft verlassen. Im besten Fall konnte dies zu einem erfolgreichen "training on the job" führen, im schlimmsten Fall zur Reduzierung auf die reine Repräsentationspflicht. Als größte Hindernisse erwiesen sich jedoch der außenpolitische Stil in Washington und der Wandel der Diplomatie selbst. Häufig konnten die Botschafter ihre klassische Rolle als Sprachrohr der Regierung nicht ausfüllen, weil wichtige Absprachen auf ministerieller Ebene oder mit Hilfe von Sondergesandten getroffen wurden. Die Entwicklung moderner Flugzeuge mit Strahltriebwerken ermöglichte ab den 1950er Jahren eine bisher nicht gekannte Reisetätigkeit von Außenministern und Regierungschefs. So zeigt sich durchgängig, dass die Botschafter bei wirklich wichtigen Themen kaum noch einbezogen wurden und nicht selten von der britischen Regierung besser informiert wurden als von der eigenen. Den Bedeutungsverlust des Botschafteramts kann man allein daran ablesen, dass Lewis William Douglas (1947-50) noch als Krisenmanager und wichtiger Verfechter der Marshallplan-Hilfe agierte, während Philip Lader (1997-2001) vor allem dadurch in Erinnerung blieb, dass er 1997/98 von der Südspitze Englands zur Nordspitze Schottlands wanderte, um Land und Leute besser kennen zu lernen.
Allerdings stehen die Bewertungen der Herausgeber und Autoren häufig im Widerspruch zu den gelieferten historischen Befunden. Durchgängig wird eine Tendenz zur Beschönigung bemerkbar, was daran liegt, dass zwei analytische Ebenen gar nicht erst betreten werden: Es wird weder systematisch erläutert, welche außenpolitischen Rahmenbedingungen in Washington vorherrschten, noch wird auf den Wandel der diplomatischen Praxis eingegangen. Geradezu symptomatisch für die anglo-amerikanische Engführung des Themas scheint auch der peinliche Fehler zu sein, die Bundesrepublik Deutschland zum Gründungsmitglied der NATO zu deklarieren (94). Die Herausgeber sehen jedenfalls in der anglo-amerikanischen "transatlantic diplomacy" ein Vorbild: "[...] UK-US relations exist in a world that is continuous and connected, but not secret. 'Transatlantic diplomacy' as a model may, ultimately be one that is followed by others, as it operates through a process by which every issue, every policy, every debate is open and transparent to the other side. Secret diplomacy is finally truly dead. The rest of the world may have much to learn from the eagle and the lion." (13) Man fragt sich, ob hier nicht der kühle sezierende Verstand des Historikers von anglo-amerikanischer public diplomacy - früher nannte man das "weiße Propaganda" - niedergestreckt wurde.
Anmerkung:
[1] Jules Cambon: Der Diplomat, Berlin 1927, 60.
Thomas Freiberger