Martin Wallraff: Sonnenkönig der Spätantike. Die Religionspolitik Konstantins des Großen, Freiburg: Herder 2013, 224 S., 20 Abb., ISBN 978-3-451-30708-9, EUR 22,00
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Nach den zahlreichen Veranstaltungen und Publikationen, die die Jubiläumsjahre 2006 bis 2013 begleitet haben, braucht es großen Mut, um einen neuen Band über Konstantin und seine Religion zu veröffentlichen. Diesen Mut hat der Autor mit diesem Buch bewiesen, das das Ziel verfolgt, "neue" und "provokative" Thesen über den "ersten christlichen Kaiser" zu formulieren. Dass die Provokation der Hauptzweck des Autors ist, wird schon im ersten Abschnitt deutlich, in dem er "drei Mauern" identifiziert, in denen die Konstantinforschung gefangen sei. Die Schärfe, mit der er die gesamte bisherige Forschung abwertet, erscheint ungeeignet; die Mauern sind schon zum großen Teil abgerissen worden. Als erstes Problem identifiziert W. die Eigenart der Quellen und ihrer Überlieferung - etwas, was jedem Historiker klar ist. Dass Konstantins "Botschaften" "nicht immer so eindeutig und so klar [sind], wie es Euseb [...] gerne hätte" (17), ist z.B. schon seit Jahr(zehnt)en bekannt, und niemand glaubt mehr, dass Eusebs Interpretation der konstantinischen Münzen oder seine Aussagen zu bestimmten Gesetzen des Kaisers historischen Fakten entsprechen [1]. Als zweite Mauer kritisiert der Autor die Begriffe der "Wende" und der "Bekehrung" Konstantins. Wenn W. auch sicher Recht hat, indem er die Idee einer makroskopischen Wende kritisiert, die von der Zeit der Verfolgung zum Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion geführt hätte (aber welche althistorische Arbeit benutzt heute noch solch einen Ansatz?), sowie wenn er ex-post teleologische Interpretationen ablehnt (die "lineare Logik A-B"), scheint er zwischen verschiedenen Aspekten der konstantinischen Zeit und der Person Konstantins nicht differenzieren zu können. Wonach W. sucht, ist immer ein Verständnis der eigenen religiösen Überzeugung Konstantins. Nun ist klar, dass die antike Welt nie die Idee entwickelte, dass die Religion etwas "privates" sei; nichtsdestoweniger muss man zwischen "Religionspolitik" auf der einen Seite, und Formen der Selbstdarstellung und Selbstinszenierung auf der anderen Seite unterscheiden. In dem zweiten Bereich kann kein Zweifel bestehen, dass Konstantin sich spätestens ab den 320er Jahren selbst als Christ darstellte, wie seine Briefe zeigen [2], während erst noch zu demonstrieren wäre, dass die persönlichen Überzeugungen und die Gedanken Konstantins rekonstruierbar sind und deshalb eine historische Fragestellung darstellen können. Die "dritte Mauer" scheint unfair - Wallraff wirft den Konstantinforschern vor, ein undifferenziertes und pauschales Bild des "Heidentums" zu haben, wobei alles, was nicht christlich und nicht jüdisch sei, in dieselbe Kiste geworfen werde. Zunächst haben zahlreiche Studien im Bereich der Religionswissenschaft dies längst widerlegt - in Bezug auf die "Christianisierung" des römischen Reiches sei exemplarisch auf Lane Fox verwiesen [3]. Dazu vergisst der Autor, dass die Kreation dieses einheitlichen, oberflächlichen und vereinfachenden Bildes des "Heidentums" kein Produkt der modernen Forschung ist, sondern der christlichen Autoren ab dem 2. Jahrhundert n.Chr. (man denke an Tertullian) - es überrascht deshalb nicht, wenn Autoren wie Euseb dies übernehmen, und es ist auch nicht verwunderlich, dass die christliche Gesetzgebung spätestens seit Konstantius II. diese Trennung übernimmt.
Nach einem zweiten Abschnitt, der Euseb gewidmet ist, um zu zeigen, dass er "stark parteiisch" schreibt, und dass seine Konstantinsschriften auch literarisch eigenartig sind - wiederum Thesen, die nur schwerlich als neu zu bezeichnen sind -, beschäftigt sich W. mit den ersten Jahren der Herrschaft Konstantins - und damit mit den "Visionen". Wallraff vertritt die These von Weiß, dass es nur eine Vision - im Apollo-Heiligtum im Jahr 310 - gab, und alle Quellen auf diese Vision Bezug nehmen (eine These, die nicht unumstritten ist). Es ist zweifelhaft, ob dies eine legitime Frage ist: Was Konstantin wann gesehen haben könnte, ist für uns irrelevant. Wichtig sind die Erzählungen, ihre Entwicklung und ihre Deutungen. Konstantin stellte sich als Kaiser dar, der durch Visionen einen direkten Kontakt zur göttlichen Welt hatte (wie viele andere) - dies wurde ab einem gewissen Punkt christlich interpretiert und die Narrativik wurde auch mehrmals geändert, wie ein Vergleich zwischen Laktanz und Euseb zeigt. Es überrascht zu lesen, dass beide Autoren von einer Vision vor der Schlacht an der Milvischen Brücke nichts wüssten (65, s. Lact., MP 44; Eus., VC 1.27-31). Dass keine der Quellen, die zu Lebzeiten Konstantins oder kurz danach geschrieben wurden, von einer Bekehrung im Zusammenhang mit der "Vision" spricht, mag wahr sein; der entscheidende Punkt ist jedoch, ab wann diese Episode als Teil der (Selbst-)Darstellung Konstantins - und insbesondere als Teil seines Auftretens als christlicher Kaiser - konstruiert wurde. Dass Konstantins Selbstdarstellung und religiöse Sprache lange zweideutig blieben, und dass die Sonne in den folgenden Jahren die größte Rolle in der Repräsentation spielte, wurde schon von mehreren Autoren gezeigt, ebenso wie die Tatsache, dass Euseb vielleicht das römische Feldzeichen als Kreuz gedeutet hat [4]. Auch wenn Wallraff sich dem Thema der "Herrschaftsdarstellung im öffentlichen Raum" (Absch. 4) widmet, werden die verschiedenen Aspekte des Glaubens, der Darstellung und der Gesetzgebung nicht differenziert. Konstantin wird der Versuch zugeschrieben, "eine gemeinsame religiöse Sprache zu schaffen". Dass er so ein Ziel für die gesamte Dauer seiner Regierung verfolgte, ist unhistorisch, und die Entwicklung zu einer offensichtlicheren Hinwendung zum christlichen Glauben seit den 320er Jahren ist unmöglich misszuverstehen, selbst wenn die Religionspolitik immer "tolerant" blieb: Förderung des Christentums (6. Absch.) bedeutete nie Unterdrückung der heidnischen Kulte. Die Militärpolitik und die Gesetzgebung bilden das Thema des 5. Kapitels. Dass die "religiöse Selbstdarstellung" Konstantins hauptsächlich "militärischer Natur" war, ist bekannt - genauso wie die Tatsache, dass Konstantin, insbesondere in Bezug auf die Armee, "integrativ" wirken wollte. Einer gewissen "Zweideutigkeit" in den getroffenen Maßnahmen entspricht jedoch - man muss es wieder betonen - ab einem bestimmten Punkt keine Zweideutigkeit mehr in den Formen der Selbstdarstellung. Dass die Gesetzgebung Konstantins gar nicht so christlich geprägt war, wie z.B. Biondi gedacht hatte, ist ebenfalls bekannt, und widerspricht nicht dem bisher gesagten - er verbot vermutlich weder "heidnische" Riten [5], noch Gladiatorenspiele, noch die Kreuzigung (Konstantins Umgang mit den "traditionellen Kulten" wird im Absch. 7 thematisiert). Aber die Privilegien und öffentlichen Geschenke für den Klerus und die Beteiligung am Kirchenbau (Absch. 6) dürfen in ihrer Bedeutung für die Selbstdarstellung nicht unterschätzt werden. - umso mehr, wenn die Mittel dafür aus den kaiserlichen privaten Finanzen stammten (man denke an die Geldgabe an Caecilianus, Eus., HE 10.6).
Von den Schlussfolgerungen Wallraffs kann man letztendlich akzeptieren, dass die Religionspolitik unter Konstantin keine "Wende" erlebte - die kaiserliche Selbstdarstellung jedoch schon, und dies gilt auch wenn man Konstantin nach seinen Programmen und Intentionen versteht, und nicht nach dem Nachleben. Vielleicht kann man Wallraff auch folgen, wenn er für die "persönliche Überzeugung" Konstantins vom einem abstrakten, integrativen Monotheismus spricht. Viel weniger akzeptabel ist die Idee, dass seine Regierungszeit nicht nur "erstaunliche Kontinuität" (165), sondern sogar "eine besondere Position des Herrschers an der Schnittstelle" (169) von Politik und Religion darstelle - so war es in der römischen Kaiserzeit immer und Konstantin stellt weder eine Ausnahme noch eine Steigerung dar, nur eine relevante Änderung, weil er intensiv, insbesondere ab den 320er Jahren, die Themen, Formen und Symbole einer "anderen" Religion übernommen hat! Viele der Elemente, die Wallraff Konstantin als "neu" zuschreibt (das Ausmaß seiner Selbstdarstellung in Rom, der Verweis auf die Sonne), waren sehr traditionell. Was sich hingegen ändert, ist der Bezug auf die christliche Religion in der kaiserlichen Selbstdarstellung, der neu und revolutionär war. Letztendlich muss man erkennen, dass Konstantin auf keinen Fall schon den Weg einschlug, der das Christentum zur Rolle einer Staatsreligion führen würde; dass er jedoch durch solch eine Erneuerung in den Formen der Präsentation seines eigenen Glaubens ans Publikum seine Bezeichnung als "erster christlicher Kaiser" noch verdient.
Zum Schluss sei es mir gestattet, ein weiteres strukturelles Problem des Bandes anzusprechen - es ist völlig unklar, welches Publikum der Autor ansprechen will. Das Buch hat teils Züge einer populärwissenschaftlichen oder eher an Studierende gerichteten Publikation, teils Züge einer wissenschaftlichen Monographie; dafür sind aber die Anmerkungen und Literaturangabe viel zu sparsam. Auch die große Zahl der Abbildungen - viele sind für die behandelten Inhalte irrelevant (wie ein Porträt Jakob Burckhardts, 24) und scheinen eher den Leser "anlocken" zu wollen - trägt dazu bei, die eher populärwissenschaftliche Natur des Werkes hervorzuheben.
Anmerkungen:
[1] S. z.B. F. Carlà / M. G. Castello: Questioni Tardoantiche. Storia e mito della "svolta costantiniana", Roma 2010.
[2] S. K. M. Girardet: Ein spätantiker "Sonnenkönig" als Christ (statt einer Rezension), in Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 16 (2013), 371-381.
[3] R. Lane Fox: Pagans and Christians, London 1986.
[4] S. F. Carlà / M. G. Castello: Questioni tardoantiche (Anm. 1), 172-186.
[5] Zum "Opferverbot", s. R. Delmaire: La legislation sur les sacrifices au IVe siècle : un essai d'interpretation, in RHDFE 82 (2004), 219-233.
Filippo Carlà-Uhink