Rezension über:

Stefano Saracino / Manuel Knoll (Hgg.): Das Staatsdenken der Renaissance - Vom gedachten zum erlebten Staat (= Staatsverständnisse; Bd. 55), Baden-Baden: NOMOS 2013, 290 S., ISBN 978-3-8329-7046-8, EUR 29,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Matthias Roick
Theologische Fakultät, Georg-August-Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Matthias Roick: Rezension von: Stefano Saracino / Manuel Knoll (Hgg.): Das Staatsdenken der Renaissance - Vom gedachten zum erlebten Staat, Baden-Baden: NOMOS 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 7/8 [15.07.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/07/24416.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Stefano Saracino / Manuel Knoll (Hgg.): Das Staatsdenken der Renaissance - Vom gedachten zum erlebten Staat

Textgröße: A A A

Der vorliegende Band beschäftigt sich mit dem Staatsdenken der Renaissance. Er folgt, wenn auch mit Einschränkungen, der Burckhardtschen These, dass in der - vorwiegend italienisch geprägten - Renaissance zum ersten Mal der "moderne europäische Staatsgeist" erscheine. Die Herausgeber sprechen, in ihrer Wortwahl vorsichtiger, von einer der "Verdichtungsphasen staatlicher Herrschaft" (13) in der frühen Neuzeit.

In seiner Anlage interdisziplinär gehalten, untersucht der Band diese Verdichtungsphase in drei großen Abschnitten. Auf einen ersten Teil, der die Grundlagen des Staatsdenkens der Renaissance in Beiträgen zu Dante, Marsilius von Padua und dem florentinischen Bürgerhumanismus behandelt, folgt ein zweiter Teil, der sich mit der Generation Machiavellis und der Machiavelli-Rezeption befasst. Den Abschluss bildet ein dritter Teil zu Kunst, Utopie und literarischer Projektion.

Was die methodische Ausrichtung des Bandes angeht, betonen die Herausgeber zu Recht, dass sich die Verdichtung staatlicher Herrschaft im behandelten Zeitraum nicht allein auf einer ideengeschichtlichen Ebene abspielt, sondern sich aus einem komplexen Zusammenspiel von intellektuellen, sozialen und institutionsgeschichtlichen Elementen ergibt. Dabei lassen sie sich von der These leiten, dass sich politisches Denken und politischer Alltag nicht im Gleichschritt bewegten. Der "erlebte" Staat entspreche nicht dem "gedachten" Staat; das Staatsdenken der Epoche eile den realgeschichtlichen Gegebenheiten voraus (16).

Diese These besitzt in einer Zeit verschiedenster Auflösungserscheinungen von Staatlichkeit sicherlich ihren eigenen analytischen Reiz (22), auch wenn keiner der Beiträge expliziten Gebrauch von dieser Option macht. Sie erzeugt in manchen Fällen aber auch eine Art historischen Tunnelblick, der Gefahr läuft, auf ein bestimmtes Bild von Staatlichkeit fixiert zu bleiben. Dadurch werden jedoch oft gerade solche Eigenarten frühmoderner Staatlichkeit unterschlagen, die für ihre Andersartigkeit stehen; erst diese Andersartigkeit, ließe sich argumentieren, sorgt aber für eine fruchtbare Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Entwicklungen.

So spricht Volker Reinhardt in Bezug auf das Florenz der Renaissance von einem "beschämenden Tiefstand aller Staatlichkeit" (182) - ein Tiefstand, der den Patrizier Francesco Vettori zu einer schonungslosen Analyse der conditio humana und zur endgültigen Verabschiedung des republikanischen Modells veranlasse. Vettoris Denken zwischen "ludus politicus und pragmatischer Machtpolitik" (184) wird von Reinhardt vor allem in Hinsicht auf den letzteren Punkt nachgezeichnet, wohl auch, weil das Spielerische bei Vettori (man denke vor allem an den Viaggio in Alamagna) kaum einer modernen Auffassung des Staates entspricht.

Nicht zufällig ruft Reinhardt explizit die notorische Rede vom bellum omnium contra omnes auf (188, 195). In Hobbes scheint sich eine Art Endzustand des frühneuzeitlichen Staatsdenkens zu kristallisieren; jedenfalls stellt er einen festen Bezugspunkt der in diesem Band versammelten Diskussionen dar. In klassisch ideengeschichtlicher Weise geschieht dies bei Pier Paolo Portinari, der ausführlich auf das Verhältnis zwischen Marsilius von Padua und Hobbes eingeht (82-87); Stefano Saracino kommt in anderem Zusammenhang auf das Titelbild von Hobbes' Thukidydes-Übersetzung von 1629 zu sprechen; und auch Manuel Knoll sieht Verbindungslinien zwischen dem Menschenbild bei Machiavelli und Hobbes (131-32).

Bei aller Aufmerksamkeit für Hobbes steht aber ohne jeden Zweifel Niccolò Machiavelli im Mittelpunkt des Bandes. Er dient zugleich als Fluchtpunkt für das mittelalterliche und als Ausgangspunkt für das frühneuzeitliche Staatsdenken.

Wichtige Impulse gibt hier Manuel Knoll, der in seinem Beitrag "Machiavellis anthropologische Staatsbegründung" gegen die angeblich in Machiavelli vorliegende Trennung von Politik und Moral argumentiert. Es ginge Machiavelli nicht um die Ausgrenzung der Ethik aus der Politik, sondern gerade um die "Erziehung der Bürger zur Tüchtigkeit (virtù)" (136). Eine stärkere Kontextualisierung und eine größere Begriffsschärfe bei der Analyse dieses Grundgedankens wären allerdings wünschenswert. So könnte ein genauerer Blick auf Termini wie umore und desiderio viel zu einer Präzisierung von Machiavellis Anthropologie beitragen (134) - von der virtù ganz zu schweigen!

Leider hilft Alexander Thumfarts Beitrag über "Politische Tugendreflexion im Bürgerhumanismus" hier nur sehr begrenzt weiter. Sein "dialogisches Rekonstruktionsmodell" ist zwar begrüßenswert, verzeichnet aber die Entwicklung des humanistischen moralisch-politischen Denkens, indem er wichtige institutionsgeschichtliche Entwicklungen außer Acht lässt. Dass es bei Brunis Verfassungsschrift von 1439 "schon arg knirscht im Gebälk" (95) mag zum Beispiel an den Zeitumständen liegen: Rückkehr der Medici nach Florenz, Brunis eigene Stellung in der florentinischen Oligarchie, die griechische Delegation des Konzils von Florenz als Adressat.

Der Band ist dagegen immer dann mit Erkenntnisgewinn zu lesen, wenn er die klassisch ideengeschichtliche Perspektive hinter sich lässt und sich den jeweiligen Diskurszusammenhängen annähert. Lesenswert sind in diesem Sinn Teile von Dirk Lüddeckes Auseinandersetzung mit Kurt Flasch in "Dantes Denken politischer Ordnungsformen" und Stefano Saracinos "Imperiale Konzeptionen des Raumes bei Machiavelli und in der venezianischen Machiavellikritik".

Lüddecke wendet sich gegen eine Enttheologisierung des politischen Denkens bei Dante und betont seine Verkopplung von Welt- und Heilsgeschichte (62); hier könnte man Orosius erwähnen. Saracino behandelt neben Machiavelli auch den weit weniger bekannten Paolo Paruta und seine Discorsi politici und wirft so ein neues Licht auf das Denken und die Rezeption des großen Florentiners. Beide Beiträge geben zudem mit ihrer Analyse von kulturellen Konzeptionen des Raums und insbesondere des Meeres wertvolle Einsichten in das politische Denken der Zeit.

Interessante Überlegungen finden sich auch in Thomas Schölderles Vergleich zwischen Thomas Morus und Machiavelli. Sein Vorschlag, "die Utopie von ihrer idealstaatlichen Perspektive zu lösen und sie [...] als ein Phänomen der Sozialkritik" zu verstehen, geht allerdings in den vielfachen Verschränkungen zwischen Realpolitik und Utopie, Rezeptionsgeschichte und Ideengeschichte ein wenig unter. Benjamin Schmids Beitrag "Kunst im Sinne Machiavellis", der den Zusammenhang zwischen Machiavellis Militärtheorie und den (nicht erhaltenen) Fresken in der Sala del Gran Consiglio herstellen will, fällt dagegen trotz eines interdisziplinären Ansatzes weitgehend spekulativ aus.

Insgesamt präsentieren Saracino und Knoll eine solide Aufsatzsammlung, die sich - der Publikationsreihe gemäß - nicht nur an ein Fachpublikum, sondern auch an Studierende richtet. Bei aller Pointierung vermittelt ihr Band ein differenziertes Bild der Forschung zum Staatsdenken zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit, wenn ihm auch mehr neues Material und eine weniger an der deutschen Forschung orientierte Einstellung gut getan hätten.

Matthias Roick