Gerhard Bauer / Gorch Pieken / Matthias Rogg (Hgg.): Blutige Romantik. 200 Jahre Befreiungskriege? Essays und Katalog, Dresden: Sandstein Verlag 2013, 2 Bde., 608 S., 463 Farbabb., ISBN 978-3-95498-037-6, EUR 48,00
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Man mag darüber streiten, wieviel weniger Bedeutung den Befreiungskriegen im Vergleich zum Ersten Weltkrieg zugeschrieben werden soll, aber im Vergleich zur Medienhype um 1914 ist 1813 im vergangenen Jahr eindeutig zu kurz gekommen. Umso verdienstvoller ist es, dass das neue Militärhistorische Museum in Dresden sozusagen seines Amtes gewaltet und eine Ausstellung organisiert hat, zu der ein repräsentativer, großformatiger Katalog erschienen ist, zwei schwere Bände im Schuber. Der Hinweis auf den Hochglanz bleibt jedoch im Halse stecken, denn im Glanz erscheint auf dem Buchdeckel nur das Blut, das malerisch um das Einschussloch in einem überdimensionalen Eichenblatt drapiert ist, den ohnehin grellen Titel des Bandes noch greller visualisierend. Aber warum nicht, etwas mehr Boulevard könnte ja der Vermittlung unseres Faches und erst recht der Werbung für das Museum durchaus nützen.
Hinter der reißerischen Aufmachung verbergen sich schließlich auch hohe Ansprüche, die die Verantwortlichen dem Essayband in verschiedenen, nicht ganz deckungsgleichen Beiträgen vorangestellt haben. Man könnte sie in etwa so zusammenfassen: Die Romantik und eben nicht den Krieg zur Schlagzeile zu machen, rückt zunächst vor allem die Dichtung in den Mittelpunkt und den Umstand ins Bewusstsein, dass die Verbreitung patriotischer und kriegsverherrlichender Dichtung 1813 wie nie zuvor in den Dienst moralischer Mobilmachung gestellt wurde. Eigentlich war die Dichtung dem Krieg selten näher, stellten doch viele Dichter nicht nur ihre Worte, sondern auch ihren Körper in den Dienst des Krieges. Das wirft ein Licht auf eine verdrängte, blutgetränkte und hasserfüllte Seite romantischer Dichtung. Das wirft erst recht ein Licht auf die Herstellung nationaler Deutungen mit Langzeitwirkung.
Ausgerechnet auf dem Umweg über der Deutschen verklärteste und verklärendste Kulturepoche ließe sich aus überraschender Perspektive zu einer Kulturgeschichte dieses Krieges gelangen, das ist ja das Grundanliegen des Museums und an sich eine vielversprechende Idee. Wie sich aber die ja durchaus aus der Nähe entstandenen Deutungen der Romantiker mit anderen Reflexen auf die Realität des Krieges in Beziehung setzen ließen, bleibt schon in den einleitenden Beiträgen vage. Dabei soll das Phänomen des Krieges durchaus in ganzer Breite beleuchtet werden. Über 30 Essays dienen diesem Ziel.
Die Breite der Themen beeindruckt. Mehr als die Hälfte der Seiten, wenig erhellend aufgeteilt nach "Gewalt und Waffen" und "Ereignisse", erfasst aber dann doch eher traditionelle Aspekte: Feldzüge, Heeresorganisation, Politik, Persönlichkeiten, freilich und wohl unausweichlich nur in kleiner, nicht weiter motivierter Auswahl aus dem Ganzen. Die übrigen Beiträge verfolgen kunst- oder kulturgeschichtliche Themen, ebenfalls nicht sehr trennscharf sortiert nach "Kunst und Kultur" und "Erinnerung und Gedächtnis". Die Texte behandeln Literaturgeschichten im engeren Sinn und vielfältige Rezeptionsgeschichten im weiteren Horizont. Allein drei Beiträge (Friedrich Dieckmann, Claudia Terne, Manfred Franz Heidler) sind musikalischen Umgangsformen mit dem Krieg gewidmet und setzen damit einen willkommenen Akzent auf eine lange übersehene Facette einer Kulturgeschichte des Krieges. Bemerkenswert ist auch die Aufnahme unorthodoxer Aneignungsformen der Gegenwart, in Gestalt von Filmen (instruktive Übersicht von Wolfgang Koller) und des Reenactments (Isabell Bretsch), aber auch von Reflexionen von Sabine Ebert über ihren Roman "1813 - Kriegsfeuer". Die diesen Formen zugrunde liegenden eher positivistischen Authentizitätsansprüche werden allerdings nicht durch eingehendere Diskussionen herausgefordert.
Zahlreiche prächtige Illustrationen erfreuen das Auge, aber reduzieren auch den relativ einheitlich verteilten Platz. Wo es ums Große und Ganze geht, etwa um Kriegslegitimationen im großen Horizont (Hans-Ulrich Thamer), um preußische Reformen (Heinz Stübig) oder um die eigentlichen Protagonisten, die Dichter im Krieg (Christoph Jürgensen), huschen die Autoren durchs Thema. Dominic Lieven hat sich aus seiner umfangreichen Expertise zur Rolle Russlands dann nur einen rezeptionsgeschichtlichen Aspekt herausgepickt, die Frage nämlich, warum dieser Krieg in Russland nie recht gewürdigt wurde, und hat in der Beschränkung einen der anregendsten Beiträge beigesteuert. Unter den kulturgeschichtlichen Essays verdient eine konzise Darstellung von Konzeption und Rezeption des Leipziger Völkerschlachtdenkmals (aus der Feder des Hausherrn Matthias Rogg) Beachtung. Dem stehen vergleichsweise mikroskopische Perspektiven gegenüber, Beobachtungen zu Frauen in Uniform (Thoralf Rauchfuß), eine Blütenlese aus den Erinnerungen einer deutschen Adligen im Umfeld Napoleons (Lutz Reike) oder ein Blick auf Zeichnungen Caspar David Friedrichs (Christina Grummt), entstanden, während er dem Krieg ausgewichen war und ihn vorüber ziehen ließ, bisher nicht gewürdigt, aber auch nicht blutig. Da kann der Leser manches entdecken, aber aufs Ganze wirkt das Nebeneinander von Miniaturen und Grobskizzen aus je verschiedenen Gründen letztlich pointilistisch - wenn eine epochenfremde Metapher erlaubt ist -, aber ohne dass sich ein Bild vom Ganzen einstellt.
Mehr noch, die großartige Konzeption wird so gut wie gar nicht aufgegriffen. Die Mehrzahl der Texte wird in einem analytisch anspruchslosen, deskriptiven Gestus vorgetragen, alte Schule in mancher Hinsicht, die sich mitunter auch mit den Belegen aus alter Literatur begnügt. Die Ereignisse und Fakten genügen sich selbst. Der Umgang mit dem Pathos der Kriegsgeneration wirkt dann aber hin und wieder ein wenig hilflos. Pflichtschuldig distanziert man sich mit Worten von Heldenverehrung und Hasspredigt, anstatt die Gegenstände durch methodische Konzepte zu historisieren und auf diese Weise von selbst auf Distanz halten. Die jüngere Forschung hat vielfältige Ansätze entwickelt, von der schon etwas älteren Nationalismus- und Patriotismusforschung über die Neue Militärgeschichte bis hin zu Konzepten für Kulturgeschichten des Krieges, der Gewalt, der Gefühle. Aber sie werden nirgendwo aufgegriffen; selbst die neueren Arbeiten zu den Befreiungskriegen begegnen nur ganz ausnahmsweise. So werden Chancen verschenkt, und das Pathos der blutigen Romantik wird mitunter unverdaut, als scheinbar unmittelbarer Realitätsreflex, an das Publikum weitergereicht.
Gewiss, man kann darüber diskutieren, welchem Anspruch ein Ausstellungskatalog, der ja ein ganz eigenes Publikum anspricht, genügen soll, gewiss, man müsste auch die Produktionsbedingungen eines solchen Werkes berücksichtigen, gewiss, das Verdienst des ganzen Projekts verdient alle Würdigung, und ja natürlich können die Anregungen einiger Beiträge auch hier nur impressionistisch gepriesen werden. Indes sollte man das Publikum auch nicht unterfordern. Eine allzu große Diskrepanz zwischen Konzept und Umsetzung kann auf das Konzept zurückfallen. Dann erst besteht das Risiko, dass eine zündende Provokation nur noch als Gag wahrgenommen wird. Das würde niemandem nützen.
Michael Sikora