Werner Daum / Wolfgang Kruse / Eva Ochs u.a. (Hgg.): Politische Bewegung und Symbolische Ordnung. Hagener Studien zur Politischen Kulturgeschichte. Festschrift für Peter Brandt (= Politik- und Gesellschaftsgeschichte; Bd. 96), Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2014, 496 S., ISBN 978-3-8012-4216-9, EUR 68,00
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Werner Daum (Hg.): Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Band 3: 1848-1870, Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2020
Peter Brandt leitete 25 Jahre lang den Lehrstuhl für Neuere Deutsche und Europäische Geschichte an der FernUniversität Hagen und wirkt weiter als Direktor des Dimitris-Tsatsos-Instituts für Europäische Verfassungswissenschaften. Mit der vorliegenden Festschrift würdigen ihn derzeit oder ehemals in Hagen tätige Kollegen.
Das Genre Festschrift unterliegt der problematischen Spannung zwischen wissenschaftlichem Anspruch und Ehrung des Jubilars, gleichzeitigem Termindruck und persistenter Überlastung so manches Beitragenden. Jene innere Dissonanz merkt man dem vorliegenden Band nicht an. Im Gegenteil: den Herausgebern ist es gelungen, Peter Brandt zu seinem 65. Geburtstag einen Festband zu organisieren, der diese Anforderungen souverän meistert. Gleichzeitig geht der Anspruch des Bandes über den der reinen Ehrung hinaus.
Da sich die Themenpalette des Festbandes an den Arbeitsfeldern des Hagener Historischen Instituts orientiert, ist diese weitgespannt und vielfältig. Die Schwierigkeit einer gemeinsamen Klammer für die zu versammelnden Beiträge zu finden, wird von den Herausgebern nicht nur thematisiert (9), sondern vielmehr elegant gelöst. So werden die inhaltlich breit gestreuten Beiträge systematisch den Themengebieten politischer Kulturgeschichte: "Politische Systematik und Symbolik (I)", "Erinnerungskultur (II)", "Verfassungskultur (III)" sowie "Kultur politisch-sozialer Bewegungen (IV)" zugeordnet. Über diese allgemeine strukturelle Klammer hinaus hegen die insgesamt 24 Beiträge je auf ihre Weise den Anspruch, ihren Zusammenhang zur wissenschaftlichen Arbeit Peter Brandts zu wahren. An dieser Stelle können nicht alle Beiträge gewürdigt werden. In den folgenden Ausführungen werden vielmehr einzelne exemplarisch näher beleuchtet.
In der ersten Sektion "Politische Systematik und Symbolik" finden sich Beiträge zur eschatologischen Prophetie im Mittelalter als potenziell politische Kommunikationsform des Mittelalters, zur Kritik modernisierungstheoretischer Mythen der modernen Sozialforschung, zum politischen Charakter der Kunst sowie zu problematischem und geschichtsvergessenem Sprachgebrauch in der wissenschaftlichen Praxis. Arthur Schlegelmilch, einer der Herausgeber, befasst sich im letzten Beitrag dieser Sektion mit der ideologischen und realen Seite des Topos der "sozialistischen (Menschen-)Gemeinschaft". Nach seiner Meinung brachte das in der DDR zunehmend vorherrschende Spannungsfeld zwischen Propaganda und Lebenswirklichkeit eigenständige kommunikative und kulturelle Verarbeitungsmuster zivilgesellschaftlichen Charakters hervor. Deren Marginalisierung durch das SED-Regime wertet er als verpasste Entwicklungschance (11).
Das Themenfeld der zweiten Sektion "Erinnerungskultur" beschäftigt sich mit der Frage nach der "Bedeutung politischer Kultur im kulturellen Gedächtnis einer Gemeinschaft". Daneben wird der "öffentliche... Umgang mit gemeinsamer Vergangenheit und subjektiver Deutung" beleuchtet(11). Mitherausgeber Wolfgang Kruse untersucht in seinem Essay die Anfänge des monumentalen Gefallenenkults in deren Spannungsfeld zu revolutionären Siegesfeiern und kultischer Heldenverehrung in der Französischen Revolution. Die Oral-History-Experten Lutz Niethammer und Alexander von Plato betrachten die lebensgeschichtliche Sozial- und Erinnerungskultur im Ruhr-Gebiet (LN) sowie das Erinnerungsbild der Deutschen ehemaliger Zwangsarbeiter (AvP). Eva Ochs, als weitere Herausgeberin, analysiert die lebensgeschichtliche Verarbeitung und Bedeutung der Haft in sowjetischen Speziallagern. Weitere Beiträge dieser Sektion behandeln erinnerungskulturelle Dimensionen an Deutschland aus der Diaspora, die Bedeutung der "Wehrmachtsausstellung" für die individuelle und kollektive Verarbeitung der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und die öffentliche Erinnerungspolitik an Sozialrevolutionäre und Regimegegner der Militärdiktatur in Brasilien sowie die symbolische Bedeutung der Quadriga des Brandenburger Tores aus der Perspektive des Volks. Letztere Thematik wird auch in der Umschlagsgestaltung des Festbandes aufgegriffen.
Die dritte Sektion zur "Verfassungskultur" knüpft thematisch an Brandts Tätigkeit als Mitherausgeber und Autor des Handbuchs der europäischen Verfassungsgeschichte und Direktor des Dimitris-Tsatsos-Instituts für europäische Verfassungswissenschaften an. Werner Daum, Mitherausgeber der Festschrift, blickt in seinem Essay auf den Zusammenhang von Verfassungstradition und nationalstaatlicher Identitätsbildung in Norwegen und Sizilien. Die folgenden Beiträge untersuchen die Rezeption der griechischen "Bundesstaaten" durch die neuzeitliche politische Theorie und Geschichtsschreibung sowie das "Zusammenwirken wissenschaftlicher Expertise, politischer Interessen und pragmatischer Erfordernisse" im Umgang mit einer scheinbar religiös-fundamentalistischer Bedrohung (12). Weiter werden Fragen der Interpretation und administrativen Exekutive der "Nürnberger Gesetze" von 1935, die Entwicklung der Grundrechte in der bundesdeutschen Geschichte sowie untersucht. Der Schlussbeitrag dieser Sektion von Arthur Benz setzt sich mit der Verfassungskultur des Föderalismus in Deutschland auseinander, die "mithin nur unter konsequenter Einbeziehung der verfassungskulturellen Perspektive verstanden werden" (12) könne.
Das Kapitel "Kultur politischer-sozialer Bewegungen" enthält dem Kerninteresse Peter Brandts folgend Beiträge zur Geschichte politischer Bewegungen. Diese konzentrieren sich hierbei auf seinen Schwerpunkt der sozialistischen Arbeiterbewegung. Behandelt werden im Folgenden die Rolle der Sozialdemokratie in der Umweltpolitik unter der Ägide Willy Brandts sowie Richtungs- und Flügeldebatten der SPD in der reformorientierten Atmosphäre der frühen 1970er Jahre. Weiter analysiert Miriam Horn die Emanzipationsbewegung der Samen im spannungsgeladenen Verhältnis zur Norwegischen Arbeiterpartei analysiert. Der abschließende Beitrag Christoph Jünkes behandelt in einer politisch-biografischen Skizze den deutsch-deutschen linkssozialistischen Grenzgänger Leo Kofler, dessen Orientierungen und Grenzüberschreitungen.
Die Reihe der Beiträge schließt mit einer literarisch-nachdenklichen, freundschaftlichen Anmerkung von Ludolf Kuchenbuch ergänzt durch ein Notenblatt eines musikalischen Grußes "Zur Zeit danach". Der Festband endet mit einem Verzeichnis der Autoren und einer Liste der Publikationen von Peter Brandt. Auf ein Register haben die Herausgeber verzichtet. Ein freundschaftliches, überaus herzliches Grußwort der Herausgeber an Peter Brandt findet der Leser bereits zu Ende des Vorworts.
In der kritischen Betrachtung des Bandes als thematisch breit gestreute Festschrift wird der Leser feststellen können, dass sich darin zahlreiche äußerst lesenswerte Beiträge finden. Zwar können diese ihre jeweilige genretypische Eigenheit nicht leugnen, jedoch lässt sich in ihnen durchweg der Bezug zu Peter Brandts Arbeitsschwerpunkten herstellen. Der Band enthält zahlreiche, weiterführende Denkanstöße, die nicht nur für Historiker, sondern auch Angehörige anderer Disziplinen anregend sein dürften. Dem Leser liegt damit ein beachtenswertes und über weite Strecken anregendes Werk vor, das das Verhältnis von politischer, gesellschaftlicher und erinnernder Kultur facettenreich ausleuchtet und zugleich die Möglichkeit der kritischen Reflexionen eröffnet. Darüber hinaus dokumentiert diese Festschrift, in welcher Vielfalt Peter Brandt seinen historischen Forschungen nachgegangen ist und der Wissenschaft richtungsweisende Inspiration verlieh. Damit ist nur zu wünschen, dass die Diskussion zu Forschungsanstößen und -themen, die in diesem Band enthalten sind, den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs noch lange bewegen und lebendig halten mögen.
Felicitas Söhner