Ewald Grothe / Ulrich Sieg (Hg.): Liberalismus als Feindbild, Göttingen: Wallstein 2014, 308 S., 1 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-1551-8, EUR 34,90
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Ewald Grothe (Hg.): Ludwig Hassenpflug. Denkwürdigkeiten aus der Zeit des zweiten Ministeriums 1850-1855, Marburg: Elwert 2008
Ewald Grothe: Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900-1970, München: Oldenbourg 2005
Hartwig Brandt / Ewald Grothe (Hgg.): Rheinbündischer Konstitutionalismus, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2007
Bei der letzten Bundestagswahl wurde die einzige deutsche Partei, die sich in ihrer Selbstwahrnehmung und ihrem Namen explizit auf die reiche Tradition des deutschen Liberalismus bezog, von den Wählern abgestraft: Seit der Konstituierung des Deutschen Bundestags am 22. Oktober 2013 ist die Freie Demokratische Partei (FDP) zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht im Bundestag vertreten. Es mag übertrieben sein, deswegen von einem Niedergang liberalen Gedankenguts in Deutschland zu sprechen, doch lässt sich bei vielen höhnischen Kommentaren zur Abwahl der FDP eine gewisse Abneigung gegen "den" Liberalismus als solchen erkennen. Die Gründe für diese Abneigung sind zumeist alles andere als neu, sondern begleiten den Liberalismus schon seine ganze Geschichte über - das macht der hier besprochene Tagungsband "Liberalismus als Feindbild" mehr als deutlich. Die gleichnamige Tagung in der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit fand bereits im März 2013 statt.
Die Herausgeber Ulrich Sieg und Ewald Grothe, der Leiter des Archivs des Liberalismus in Gummersbach, haben 13 Aufsätze versammelt, die sich der Thematik auf ganz unterschiedliche Weise nähern. Zeitlich ist der Rahmen gespannt von den Freiheitskriegen bis in die 1970er Jahre. Auf eine Arbeitsdefinition von "Liberalismus" und "Feindbild" wurde verzichtet. Die Aufsätze des Bandes sind ihrem Inhalt nach als sehr heterogen zu bezeichnen, Strukturanalysen stehen neben biographischen Skizzen, die Untersuchung von Gegnern des Liberalismus neben der von liberalen Führungsfiguren. Der Band bietet eine Reihe von ganz unterschiedlichen Impulsen für die Forschung, setzt aber eine gründliche Kenntnis der Liberalismusforschung voraus. [1] Entsprechend sollen folgend einige der Ansätze exemplarisch angerissen werden.
Geographisch sind die Aufsätze fast ausschließlich auf Deutschland begrenzt, lediglich der bemerkenswerte Aufsatz von Peter Hoeres zum "Antiliberalismus im 'Krieg der Geister'" macht hierbei eine Ausnahme und beschäftigt sich auch mit antiliberalen Positionen in Großbritannien. Dabei hebt er die Liberalismuskritik des in Deutschland kaum bekannten Thomas Ernest Hulme hervor, der seine Kritik am Liberalismus mit einer scharfen Attacke auf den Humanismus verband, die sich aus Hulmes idiosynkratischen und dezidiert anti-humanistischen Antikerezeption ergab. Obwohl Hulme nachweislich von deutschen Denkern wie Max Scheler beeinflusst war, lehnte er autoritäre und organische Staatsvorstellungen ab und votierte zeit seines kurzen Lebens, das 1917 auf den Schlachtfeldern Flanderns endete, für eine demokratische Verfassung. Dies ist nur ein Beispiel für die von Hoeres überzeugend belegte Annahme, dass England zur Zeit des Ersten Weltkriegs keineswegs ein rein liberales Land und Deutschland entsprechend kein rein anti-liberales Land gewesen sei.
Just diese dichotomische Betrachtungsweise wurde von deutschen Kritikern des Liberalismus bemüht, wie Ewald Grothe in seinem Aufsatz am Beispiel der deutschen Historiographie zwischen 1918 und 1945 belegt. Der Liberalismus wurde als ein westliches, nicht zu Deutschland und seiner Kultur kompatibles Phänomen inszeniert. Allerdings konnte der Liberalismus da schon nicht mehr so stark die Gemüter erregen, wie es nun die Feindschaft zur Sozialdemokratie und zu dem Sozialismus vermochte. Der Liberalismus wurde von wichtigen rechten Vordenkern wie Houston Stewart Chamberlain (so Ulrich Sieg) und Carl Schmitt (so Reinhard Mehring) als im Sterben liegende und nicht mehr satisfaktionsfähige politische Richtung begriffen.
Allerdings änderte das nichts an der antiliberalen Rhetorik der Rechten, die verbal munter weiter auf den totgesagten Liberalismus einschlugen. Jens Hacke hat entsprechend Recht, wenn er konstatiert, dass der Liberalismus spätestens zur Zeit der Weimarer Republik "gewissermaßen unter Dauerfeuer von rechts und links" geraten war (155). Durch das geteilte Feindbild kam es schon zuvor immer wieder zur Verknüpfung von rechten und linken Positionen. Hans-Christof Kraus schildert das bemerkenswerte Beispiel des preußischen Konservativen Hermann Wagener, der - wohlgemerkt als Chefredakteur der Kreuzzeitung! - für ein Bündnis der Konservativen mit den gemäßigten Sozialisten um Ferdinand Lassalle gegen die Liberalen eintrat (68). Ein anderes bemerkenswertes Beispiel liefert Wolfgang Kraushaar, indem er zeigt, dass die Liberalismuskritik der 68er viele Überschneidungen mit der präfaschistischen Liberalismuskritik in Italien aufwies.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Liberalen bereits zur Zeit der Weimarer Republik auf die strukturelle Ähnlichkeit von Faschismus und Bolschewismus hinwiesen, wie Jens Hacke schildert (173). Hacke belegt überzeugend, dass sich die Liberalen der Kritik von rechts und links stellten und fünf Problembereiche identifizierten:
1. Die "Fixierung auf das Allheilmittel des freien Marktes"
2. "[M]angelnde Sensibilität für soziale Fragen"
3. "[U]ngeklärte Haltung zum Staat" zwischen Staatsfeindlichkeit und Etatismus
4. "Realitätsferne eines bürgerlichen Honoratiorenliberalismus, dessen Reichweite im Zeitalter demokratischer Massenmobilisierung im Schwinden begriffen war."
5. "[F]ehlende Durchschlagskraft gegen 'Gemeinschaftskult' und 'Antiindividualismus'". (168)
Die Aktualität dieser liberalen Selbstkritik liegt auf der Hand. Offensichtlich haben die Liberalen bis heute mit sehr ähnlichen Problemen zu kämpfen. Es ist eine Stärke dieses Bandes, diese Kontinuität des Feindbildes Liberalismus aufzuzeigen. Gleichzeitig zeigen die Beiträge aber auch, dass sich der Liberalismus bisher immer wieder beleben ließ und sich dadurch behaupten konnte. Jens Hacke stellt in seinem Aufsatz die plausible These auf, dass die Renaissance des Liberalismus nach 1945 nicht zuletzt aus der oben beschriebenen Phase der Selbstkritik herrührte. Die Absage an einen puristischen Glauben an die Macht des freien Marktes, die Betonung von Rechtsstaatlichkeit und schließlich die nun anerkannte "Notwendigkeit, soziale Gerechtigkeit politisch zu gestalten", sind für ihn die Grundlagen eines modernen und erfolgreichen Liberalismus (178).
Gleichwohl sollten die Verbindungen, die zwischen Nationalismus und Liberalismus bestanden, nicht vergessen werden. Klaus Ries schreibt treffend, dass Liberalismus und Nationalismus seit den Freiheitskriegen "wie ein Paar zusammen [gehörten]" (21). Die Kritik am Liberalismus von rechts war deswegen nicht selten der Versuch, sich von diesem zu emanzipieren. Folgt man Friedrich Julius Stahls Einschätzung, dass der Liberalismus die "Herrschaft des Mittelstandes" als Kernprinzip hatte, wie der Aufsatz von Hans-Christof Kraus überzeugend darstellt (Zitat auf 63), erhärtet sich dieser Befund: Einige rechte Strömungen, darunter die Völkische Bewegung, vertraten dezidierte Mittelstandsideologien und übernahmen nicht zuletzt deswegen fast zwangsläufig bis zu einem gewissen Grad auch liberale Vorstellungen.
Leider verfügt der Band nicht über ein zusammenfassendes und die einzelnen Aufsätze verbindendes Kapitel. Dieses wäre im Hinblick auf die Vielzahl der hier nur skizzierten Ansätze lohnenswert gewesen. Dennoch bietet das Buch eine Reihe von wertvollen Ideen, die die weitere Erforschung des Liberalismus stimulieren, wenn auch nicht auf neue Grundlage stellen werden.
Anmerkung:
[1] Hier sei beispielhaft auf Jörn Leonhard (Liberalismus. Zur historischen Semantik eines europäischen Deutungsmusters, München 2001) sowie nach wie vor auf Dieter Langewiesche (Liberalismus in Deutschland, Frankfurt/Main 1988) verwiesen.
Julian Köck