Jean-François Cottier / Daniel-Odon Hurel / Benoît-Michel Tock: Les Personnes d'autorité en milieu régulier . Des origines de la vie régulière au XVIIIe siècle (= Congrégations, ordres religieux et sociétés; XXII), Saint-Étienne: Publications de l'Université de Saint-Étienne 2012, 472 S., ISBN 978-2-86272-621-2, EUR 32,00
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Ist eine Institution wie das Mönchtum ohne die Existenz mehr oder minder klar definierter Autorität bzw. Autoritäten denkbar? Wohl kaum. Die vergleichende Ordensgeschichte hat in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, wie bei vielen Neugründungen von Orden im hohen Mittelalter das Charisma des ursprünglichen Ordensgründers von den Nachfolgern durch mehr oder minder klar definierte, an ein officium gebundene autoritative Strukturen ersetzt wurde. Erst die Schaffung dieser Strukturen ermöglichte in vielen Fällen überhaupt erst die Weiterentwicklung. Im Zentrum der Autorität innerhalb des Klosters steht der Abt, dessen Machtfülle - wie im berühmten zweiten Kapitel der Benediktsregel festgelegt - erheblich sein konnte. Daneben existierte (idealerweise untergeordnet, häufiger jedoch konkurrierend) eine Reihe weiterer Autoritäten in Gestalt der unterschiedlichen klösterlichen Amtsträger.
Dem Phänomen von Autorität im Kloster wird in vorliegendem Sammelband in seinem longue durée-Charakter, vom Beginn regularen Lebens bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, nachgegangen. In den Blick gerät dabei erfreulicherweise nicht nur das Mönchtum westlicher, sondern auch östlicher Prägung. Neben Einführung und Zusammenfassung enthält der Band 29 Beiträge, die vier zentralen Bereichen zugeordnet werden: 1. Les fondements de l'autorité; 2. L'exercice de l'autorité; 3. Personnes d'autorité, pouvoirs extérieurs; 4. Enjeux de pouvoir.
Die Artikel, die sich mit der Gründung bzw. Begründung von Autorität befassen, sind nicht weiter überraschend stark juristisch ausgerichtet. Während Gert Melville einleitend die drei zentralen Aspekte von Gehorsam, Legitimierung und Begrenzung von Autorität abhandelt (Les fondements spirituels et juridiques de l'autorité dans la vita religiosa médiévale: approche comparative, 13-25), richtet Franz Felten den Blick auf die Einschränkung abbatialer Entscheidungsgewalt (Auctoritas - consilium - consensus. Zur Einschränkung der Macht des Abtes im Mittelalter, 27-46). Welche Rolle spielten Rat (consilium) und Konsens (consensus) im frühen Mönchtum? Zentral für die Beantwortung dieser Fragen ist das dritte Kapitel der Regula Benedicti (De adhibendis ad consilium fratribus), in dem die sogenannten Beispruchsrechte des Konvents oder einer ausgewählten Gruppe (seniores) in Norm und Praxis beschrieben wurden. Felten unterzieht dieses Kapitel einer minutiösen Analyse und gelangt zu dem Schluss, dass trotz aller Einschränkungen der Autorität des Abtes durch Forderungen nach consilium und schließlich consensus die Benediktsregel "ein effektives Instrument äbtlicher Herrschaft" (45) bleiben konnte.
Florent Cygler untersucht Bedeutung und Stellung von Autorität(spersonen) im Dominikanerorden (Nos ergo, qui et sub unius magistri obedientia et sub unius capituli regimine sumus, [...]. Personnes d'autorité et autorité dans l'ordre des frères prêcheurs au Moyen Âge, 61-78). Ausgehend von den Generalkapitelsakten und den einschlägigen Schriften des Humbert de Romans, insbesondere seiner Expositio regulae, analysiert Cygler die von Generalminister, Provinziale und Prioren repräsentierte Autoritäts-Trias, die durch ein ebenfalls dreistufiges System kontrolliert wurde: die Wahl des Priors durch die Kommunität, die Repräsentation auf den Kapiteln und die Verantwortlichkeit der Amtsinhaber (vgl. 72). Ein differenziertes Wahl- und Kontrollsystem führte im Fall der Dominikaner dazu, dass aus jedem subditus ein prelatus und umgekehrt werden konnte: diese checks and balances waren auf Konventsebene nicht weiter erstaunlich, bildeten auf den übergeordneten Ebenen jedoch ein absolutes Novum innerhalb der vita religiosa. Autorität im Predigerorden präsentierte sich mithin rationalisiert und funktionalisiert. Sie war nicht allein hierarchisiert, kontrolliert und begrenzt, sondern oft auch delegiert und zwischen prelati und subditi geteilt: dies hatte zur Folge, dass die spirituelle Seite der Autoritätsausübung deutlich hinter der rein rechtlichen zurücktreten konnte.
In eine Forschungslücke stößt Christiana Andenna mit ihrem Beitrag über das Phänomen des Kardinalprotektors (Le cardinal protecteur dans les ordres mendiants. Une personne d'autorité?, 289-314). Behandelt wird die Frage, über welche Machtbefugnisse ein Protektor verfügte, der ja in den allermeisten Fällen nicht aus dem Orden selbst stammte. Völlig zu Recht wird dabei betont, dass lediglich die Chronistik und einige Papstbriefe Angaben über den Zuschnitt des Amtes liefern: eine juristische Reflektion über Kompetenzen unterblieb bis in die 70er Jahre des 14. Jahrhunderts hinein. Das Amt entwickelte sich langsam, gleichsam ad hoc in einem Prozess des learning by doing: interessant das Beharrungsvermögen des Predigerordens, der sich anders als alle anderen Bettelorden bis 1376 erfolgreich der Zuweisung eines Kardinalprotektors durch die Kurie entziehen konnte. Über die Gründe hierfür hätte man gerne mehr erfahren.
Hélène Millet setzt sich mit der Frage auseinander, auf welcher Grundlage es Äbten gelang, zu den großen konziliaren Versammlungen eingeladen zu werden, auf denen über die Lösung des Großen Abendländischen Schismas verhandelt wurde (Des abbés ou des maîtres? Les fondements de l'autorité des abbés appelés à résoudre le Grand Schisme d'Occident, 333-345). Hatte Millet in früheren Publikationen die Auffassung vertreten, das Prestige der jeweiligen Abtei sei für die Einladung verantwortlich gewesen, sieht sie dies heute differenzierter und gesteht der Persönlichkeit des einzelnen Abtes größeres Gewicht zu. Auf der Grundlage ausgedehnter prosopographischer Forschungen wird dies anhand desjenigen Konzils untersucht, das 1398 in Paris zur soustraction d'obédience führte. Dabei wird nicht nur die Bedeutung der spezifischen Qualifikationen des einzelnen Abtes betont - ein Magistergrad gehört unbedingt dazu -, sondern auch dem Topos des dekadenten Mönchtums des späten Mittelalters entschieden entgegengetreten. Die Schlussbemerkung ist Programm: "Qui pourra encore dire que l'ordre bénédictin était en sommeil quand sévit le Grand Schisme d'Occident?" (345)
Élisabeth Lusset gewährt Einblick in ihre Dissertation, entstanden an der Universität Paris-Nanterre, und richtet den Blick auf das Verhältnis von Benediktinern und Regularkanonikern zu ihren jeweiligen Oberen im England des 14. und 15. Jahrhunderts (Auctoritas vilescat. Contestations de l'autorité et violences envers le supérieur dans les communautés de moines bénédictins et les chanoines augustins en Angleterre à la fin du Moyen Âge, 397-410). Auf der Grundlage von Visitationsakten und Gratialbriefen wird erläutert, wie Visitatoren in England eine Reform in capite durch ihre Untersuchungsartikel anzuschieben versuchten, wie das Idealbild eines Oberen beschaffen war, das von Visitatoren in Anschluss an Denunziationen durch Mönche entworfen wurde und wie schließlich der Rückgriff auf Gewalt als Form der Herausforderung des Oberen legitimiert werden konnte.
Innerhalb des Bandes werden nicht nur einzelne Ordensgemeinschaften, sondern auch Einzelpersönlichkeiten behandelt, an deren Wirken sich Sinn und Unsinn autoritativer Machtfülle zeigen lässt. Der Generalminister der Trinitarier, Louis Petit (gest. 1652), die Kapuzinerin Véronique Giuliani (gest. 1727) oder die Servitin Arcangela Biondini (gest. 1712) geraten dabei ebenso in den Blick wie die Annunziatin Charlotte Dupuis (gest. 1678) oder der Weltgeistliche Jean Gerson, dessen Wirken für die Cölestiner Frankreichs kaum überschätzt werden kann. Insgesamt zeichnet sich eine große Bandbreite in der Ausübung und Akzeptanz von Autorität ab. Deutlich wird, wie sich das Spezifikum des orientalischen Mönchtums, eben die Abwesenheit von Regeln, die durch das Charisma des Abtes ersetzt werden, im Mönchtum westlicher Prägung zugunsten juristischer Regelungen verflüchtigte. Im Spannungsverhältnis zwischen Autorität der Regel und der durch den Abt verkörperten "lebenden Regel" neigt das Abendland bereits zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt dem ersten Konzept zu.
Wie bei einem derart breiten Thema nicht anders zu erwarten bleiben Lücken. Daniel-Odon Hurel weist in seinen Schlussbemerkungen (463-467) selbst darauf hin. Die Frage nach der Bedeutung von Autorität innerhalb von Gründungsprozessen und der Frühzeit des Mönchtums in Orient und Okzident bleibt ebenso schwach beleuchtet wie die Bedeutung von Autorität im weiblichen Mönchtum. Es bleibt also noch viel zu tun, doch bildet vorliegender Sammelband einen äußerst instruktiven Blick auf den gegenwärtigen status quo der Forschung.
Ralf Lützelschwab