Rezension über:

Bettina Schaefer (Hg.): "Ich bleibe Optimist, trotz allem". Erinnerungen an Noach Flug. Mit einem Vorwort von Charlotte Knobloch und Stuart E. Eizenstat (= Edition Latmeria), Hamburg: Jetztzeit Verlag 2014, 285 S., ISBN 978-3-9814389-4-9, EUR 20,00
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Rezension von:
Barbara Distel
München
Empfohlene Zitierweise:
Barbara Distel: Rezension von: Bettina Schaefer (Hg.): "Ich bleibe Optimist, trotz allem". Erinnerungen an Noach Flug. Mit einem Vorwort von Charlotte Knobloch und Stuart E. Eizenstat, Hamburg: Jetztzeit Verlag 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 1 [15.01.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/01/26144.html


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Bettina Schaefer (Hg.): "Ich bleibe Optimist, trotz allem"

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Noach Flug war ein außergewöhnlicher Mensch. Jeder, der mit ihm zusammengearbeitet hat oder ihn näher kennenlernen durfte, war berührt von seiner Freundlichkeit, seiner Bescheidenheit und der Offenheit, mit der er auf sein Gegenüber - auch in Deutschland - zuging. Das war angesichts seines Verfolgungsschicksals keine Selbstverständlichkeit.

Noach Flug wurde 1925 in Łódź geboren. Er kam 1940 als 14jähriger Junge mit seiner Familie ins Ghetto Litzmannstadt, wo er aus Überlebensnotwendigkeit zum Fabrikarbeiter wurde. Im August 1944 wurde er zunächst nach Auschwitz und von dort weiter nach Groß-Rosen und schließlich nach Ebensee, einem Außenlager des KZ Mauthausen, weiter transportiert. Er war 19 Jahre alt als er am 6.Mai 1945 befreit wurde und zunächst nach Łódź zurückkehrte.

Von seiner Familie, die über hundert Personen umfasste, hatten nur drei Menschen überlebt. Aber er fand seine Jugendfreundin Dorota wieder, die auch aus Auschwitz zurückgekehrt war und die seine Frau wurde. Noach Flug machte in Łódź seinen Schulabschluss und studierte anschließend in Warschau Ökonomie. 1958 wanderte er mit seiner Frau und zwei Töchtern nach Israel aus. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1987 arbeitete er als Ökonom und als Diplomat in Zürich und Bonn.

Wie viele Überlebende des Holocaust begann auch Noach Flug sich nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben wieder mit der Geschichte des nationalsozialistischen Judenmords und seinen Folgen auseinanderzusetzen. Schnell wurde er zu einer international bekannten Persönlichkeit, die mit Geschick und Durchsetzungsvermögen für die Bewahrung der Erinnerung und für Entschädigung und Hilfe für die Überlebenden kämpfte. Er wurde Mitglied des Vorstandes der Gedenkstätte Yad Vashem und der Hilfsorganisation AMCHA (Israelisches Zentrum für psychosoziale Hilfe für Holocaust-Überlebende) sowie Generalsekretär des WJRO (World Jewish Restitution Organisation). Und als der Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, der Österreicher Kurt Hacker, im Jahr 2002 verstarb, wurde Noach Flug zu seinem Nachfolger gewählt. Im gleichen Jahr wurde er Vizepräsident der Jewish Claims Conference und 2003 wählten ihn schließlich die Holocaustüberlebenden in Israel zu ihrem Sprecher. Dank der politischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa konnte er wieder in seine frühere Heimat Polen reisen und als Mitglied im Internationalen Rat der Gedenkstätte Auschwitz bei der Gestaltung der Erinnerungspolitik dort mitwirken. Gleichzeitig kämpfte er als Vizepräsident der Jewish Claims Commission, die mit der deutschen Regierung für individuelle Entschädigungen der noch lebenden Holocaustopfer verhandelte, für deren Belange. So war konnte er beispielsweise bei dem, im Juni 2002 durch den deutschen Bundestag verabschiedeten "Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto" auch seine eigene Erfahrung einbringen. Von etwa 70 000 Anträgen, die nach Verabschiedung des Gesetzes eingingen, waren zunächst über 90 Prozent abgelehnt worden. Bei einer interdisziplinären Tagung mit Vertretern aus Sozialrecht, Praktikern der Wiedergutmachung und Historikern, die 2008 in München stattfand, beeindruckte Noach Flug die Teilnehmer mit einem eindringlichen Bericht über sein Schicksal und einer luzide Analyse der Probleme der so genannten Wiedergutmachung. Er stellte abschließend fest: "Es ist immer noch ein Nichtvertrauen gegenüber den Holocaust-Überlebenden vorhanden." [1]

Im Zusammenhang mit seinen vielfältigen Aufgabenbereichen, in denen er mit Ausdauer und großem Verhandlungsgeschick für die Anliegen der überlebenden Opfer des nationalsozialistischen Judenmords eintrat und die ihn von Israel aus in alle Welt führten, beeindruckte Noach Flug viele Menschen. Darunter war auch die in Berlin und Hamburg lebende Journalistin Bettina Schaefer, die zwei lange lebensgeschichtliche Interviews mit ihm führte. Nach Noach Flugs plötzlichem Tod im August 2011 beschloss sie, ein Gedenkbuch mit Erinnerungen an Noach Flug zu veröffentlichen.

Wie oft hinterlässt auch dieses Gedenkbuch einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits enthält der Band bewegende Berichte seiner Frau Dorota und seiner beiden Töchter sowie seiner engsten Freunde. Die Geschichte des Klassenfotos, das im Jahr 1941 entstand und das auf wundersame Weise erhalten blieb, wird noch einmal erzählt. Die drei jüdischen Schüler Noach Flug, Roman Kent und Marian Turski, die auf dem Foto zu sehen sind, hatten überlebt und konnten von Jerusalem, New York und Warschau aus ihre Freundschaft bis ins hohe Alter weiter pflegen. Weggefährten aus Israel, den USA und der Bundesrepublik Deutschland schildern Begegnungen und Erlebnisse, die sie mit der Erinnerung an Noach Flug verbinden.

Aber das Buch enthält auch relativ schematische Statements von Politikern und Verbandsfunktionären, die einem das Außergewöhnliche, das den Menschen Noach Flug auszeichnete, nicht näher bringen. Insgesamt führt der Erinnerungsband für Noach Flug jedoch noch einmal eindringlich vor Augen, dass die Generation der Überlebenden des Holocaust endgültig verschwindet. Ihre Anliegen, die Noach Flug so leidenschaftlich vertreten hat, benötigen noch immer Fürsprecher. Und auch die Hoffnung aller Überlebenden, dass der nationalsozialistische Mord an den Europäischen Juden nicht der Vergessenheit anheimfällt, gehört nun zu den Aufgaben der nachfolgenden Generationen.


Anmerkung:

[1] Noach Flug: Shoah und Entschädigung, in: Jürgen Zarusky (Hg.): Ghettorenten. Entschädigungspolitik, Rechtsprechung und historische Forschung, München 2010, 79-89, 89.

Barbara Distel