Harold Koda / Jan Glier Reeder: Charles James. Beyond Fashion, New Haven / London: Yale University Press 2014, 264 S., 273 Farb-, 42 s/w-Abb., ISBN 978-0-300-20436-0, USD 50,00
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Das großformatige, aufwendig mit Fotos ausgestattete Katalogbuch der alljährlichen Ausstellung des Costume Institutes im Metropolitan Museum of Art in New York ist dem in England geborenen, in Amerika tätig gewesenen und weitgehend autodidaktisch ausgebildeten Modeschöpfer Charles James (1906-1978) gewidmet, der, von Kollegen verehrt, doch lange Jahre in Vergessenheit geraten war. Die Ausstellung bemüht sich, sowohl biografische Lücken der sich selbst inszenierenden, schillernd anmutenden Persönlichkeit zu füllen und einen grundlegenden Überblick über sein Werk zu vermitteln. Das Thema erlaubte zudem, an die Zusammenlegung der Modesammlungen des Costume Institute im Metropolitan Museum und der ehemals im Brooklyn Museum befindlichen Sammlung zu erinnern. Hierdurch war ein umfassender Grundstock für die Ausstellung gelegt. So befand sich im Brooklyn Museum das Archiv von James, das Kleider, Schnittmuster, speziell überarbeitete Schneiderpuppen, Zeichnungen und andere Objekte, die über seine Arbeitsweise informieren, umfasst und zugleich darlegt, dass ihm Form, Haltung und die Bewegungen des Körpers als Inspiration für seine Entwürfe galten.
Das Buch bietet zunächst einen gründlichen, nach Jahren geordneten Lebenslauf von Janet Glier Reeder, der versucht, Fakt und Fiktion voneinander zu trennen bzw. Leerstellen zu füllen. Hierdurch wird die Etablierung des Künstlers mit englischen Wurzeln und kurzem Pariser Lehraufenthalt verdeutlicht, sein enges Verhältnis zu Kundinnen aus der reichen Oberschicht dargelegt und seine eigenen Ansprüche beleuchtet. Charles James erachtete sich als Künstler, der nach Originalität strebte. Wie bei einem Bildhauer entstanden seine Kleider direkt aus dem Material heraus. Skizzen wurden wohl erst später zur anschaulichen Darstellung des Prinzips oder zur variierenden Weiterentwicklung einer bereits ausgeführten Idee angefertigt. So ist sein Werk durch eine überraschende Konsistenz geprägt. Es ging ihm nicht um den permanenten Wechsel, sondern um das Verbessern und Fortentwickeln von Gestaltungsideen. Dieses führte zu einem innovativen Umgang mit dem Material, dem Einbezug ungewöhnlicher Materialien, die ihm aus seiner früheren Tätigkeit als Hutmacher vertraut waren, zu skulptural anmutenden Unterstrukturen und einem ungewöhnlichen Einsatz der Technik. Daraus entstand "architecure for the body" (193).
Harold Koda widmet sich dann dem Werk Charles James', das nach Themen und damit zugleich auch schwerpunktmäßig nach Zeitabschnitten geordnet erscheint. Diese thematische und nicht vornehmlich chronologische Gliederung entspricht James' Festhalten und Weiterentwickeln von Ideen und Formen über die Jahrzehnte hinweg. Die Kleidung wird in die Kapitel "Spirals and Wraps", "Draps and Folds", "Anatomical Cut and Platonic Form" und "Architectural Shaping" unterteilt. Auf eine knappe Einführung, die die Charakteristika vorstellt, folgen die Bilder der Kleidungsstücke, die auf neutralen Puppen präsentiert sind. Dabei werden in der Regel zwei unterschiedliche Ansichten sowie ein Detail gezeigt. Dieser Bildreichtum mag beim ersten Durchblättern verschwenderisch erscheinen, erweist sich beim Lesen jedoch als gerechtfertigt. Da James seine Kleider dreidimensional konzipiert und um den Körper herum drapiert, mit Asymmetrien arbeitet, würde eine Ansicht allein keinen angemessenen Eindruck von dem Kleidungsstück vermitteln können. Das Detail wiederum macht die Raffinesse des Schnitts deutlich. Begleitet werden die Abbildungen mit Angaben zu Typus des Kleidungsstücks, Datierung und Material. Koda gibt eine kurze Erläuterung zu den Abbildungen, die den Leser auf die Besonderheiten hinweist, die Konstruktion erklärt und vergleichend Beziehungen zu anderen Kleidungsstücken von James herstellt. Sie leiten den Leser zum genauen und bewussten Schauen an und rücken damit die skulpturale Kunst James' in den Vordergrund, erläutern den Effekt der Konstruktion, verweisen auf Leitmotive seines Werkes. Koda ist in seinen einleitenden Paragrafen und den Bildtexten bestrebt, die Zusammenhänge von Konstruktion und Effekt im Œuvre James' darzulegen. Die Fotografien kommen diesem Anliegen ebenfalls nach. Durch die sorgfältige Beleuchtung lassen sie Nähte und Stoffverlauf deutlich werden, ohne dadurch die Eleganz der Kleider zu beeinträchtigen, sondern eher noch zu steigern. Ergänzend kommen zeitgenössische Fotos hinzu, die das Kleid in einer seinem Stil oder Funktion entsprechenden Inszenierung oder am Körper seiner Auftraggeberin zeigen, sowie Zeichnungen James'.
Das erste Kapitel umfasst die frühen Entwürfe James' aus den 1920er- und 1930er-Jahren, bei denen er den Stoff auf innovative, sogar praktisch anmutende Weise, in kontinuierlichem Verlauf um den Körper herum arrangiert. Durch den Stoffverlauf und die Subtilität der Konstruktion werden die Formen des Körpers betont, wobei James zunehmend mit steiferen Stoffen arbeitete, um dynamischere Effekte zu erzielen. Gerade in den frühen Arbeiten fasziniert James' moderner Ansatz.
Im zweiten Kapitel wird der innovative Einsatz von Draperien und Falten dokumentiert, wobei James nun gerne mit steifen, schweren Stoffen arbeitet oder in den Konstruktionen Versteifungen einsetzt, sodass flügelartige Effekte entstehen, aber auch surreale Wirkungen wie bei seinem "La Sirène"-Abendkleid (auch "Hummerkleid") von 1941. In diesem Zusammenhang sei auf den bedauerlichen Mangel an Vergleichsabbildungen hingewiesen, denn hier wäre es interessant zu sehen, wie Schiaparelli dieses Hummer-Motiv in ihren Entwürfen verwendet hat. Bei anderen Entwürfen James' wäre ein Vergleich mit Entwürfen von Madleine Vionnet angezeigt gewesen, um zu betrachten, wie diese Meisterin des Schnitts mit Stoffverlauf, Säumen und Abnähern arbeitet. Zwar wird auf diese Zeitgenossinnen hingewiesen, doch wäre ein visueller Vergleich anschaulicher und aufschlussreich, hätte die jeweiligen Qualitäten und Ansätze noch hervorgehoben. Die späten Kleider dieses Kapitels umfassen James' aufwendige Abendkleider der 1950er-Jahre, in denen er mit Krinolinen- und Tournüreneffekten sowie Flügelmotiven arbeitet, ohne dass erhaltene Kleider des 18. und 19. Jahrhunderts, die er selbst in den Modesammlungen studiert hatte, gezeigt werden. Hier hätte genauer auf Schnitte und verwendete Stoffe vergleichend eingegangen werden können, um James' Bindung an historische Vorläufer und seine Originalität gleichermaßen zu dokumentieren.
Das dritte Kapitel widmet sich solchen Entwürfen, in denen James durch Schnitt und Versteifungen die Plastizität des Kleidungsstücks betont. In diesem Kapitel ist der visuelle Vergleich zu Balenciaga, der Mode des frühen 18. und des späten 19. Jahrhunderts zu vermissen, auf die James in Einzelelementen zurückgreift, wie im Text durchaus erwähnt wird.
Das letzte Kapitel umfasst seine berühmten Ballkleider der 1950er-Jahre mit den reichen Tülldraperien und ausladenden Röcken. Diese Kleider leiten über zum letzten Teil des Buches, das den Problemen der Restaurierung von James' Kleidern gewidmet ist (Sarah Scaturro, Glenn Petersen). Durch ihre skulpturale Qualität waren sie anfällig für Bestoßungen; durch die innovativ verwendeten Materialien haben sich gleichfalls Schäden eingestellt, die kompliziert zu beheben sind, zumal die Schäden an den Substruktionen ein Auseinandernehmen des Kleides fordern würden.
Insgesamt liegt mit dem prachtvollen Katalog ein umfassendes und gründliches Werk zu dem bisher nur wenig monografisch behandeltem Künstler vor, das sich ganz der angemessenen Vermittlung seines Œuvres verschreibt. Einziger Kritikpunkt in dieser ansonsten gelungenen Kombination von Text und Bild, bei der die Fotos nicht nur Augenfreude, sondern zugleich Erläuterung bilden, ist das fast vollständige Fehlen von historischen bzw. zeitgenössischen Vergleichen, die geholfen hätten, James in seiner Zeit besser zu verorten und seine Stellung zwischen historischer Tradition und originärer Innovation zu beleuchten. Interessant wären auch Schnittmuster- oder Konstruktionszeichnungen gewesen, die geholfen hätten, einzelne Aspekte noch besser verständlich zu machen und wie sie zum Beispiel sehr hilfreich in Betsey Kirkes "Madleine Vionnet" (San Francisco 2012) eingefügt sind.
Michaela Braesel