Rezension über:

Thomas Birkner: Mann des gedruckten Wortes. Helmut Schmidt und die Medien (= Studien der Helmut und Loki Schmidt-Stiftung; Bd. 10), Bremen: Edition Temmen 2014, 156 S., 44 Abb., ISBN 978-3-8378-2028-7, EUR 14,90
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Rezension von:
Heiner Möllers
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Heiner Möllers: Rezension von: Thomas Birkner: Mann des gedruckten Wortes. Helmut Schmidt und die Medien, Bremen: Edition Temmen 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 3 [15.03.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/03/26206.html


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Thomas Birkner: Mann des gedruckten Wortes

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Der Verfasser, Kommunikationswissenschaftler und Historiker an der Universität Münster, beschreibt Helmut Schmidts Beziehungen zu den Medien. Dazu wählt er einen chronologischen Ansatz und durchläuft so das Leben des Altbundeskanzlers, das einerseits alle Medien begleiteten - er war schließlich ein entscheidender politischer Akteur in Westdeutschland -, das andererseits auch durch Schmidts Rolle als selbst schreibender Politiker maßgeblich geprägt war. Im Vordergrund dieser Abhandlungen stehen die Zeitungen, in denen sich Schmidt bereits kurz nach Kriegsende erstmalig und dann regelmäßig zu tagespolitischen Fragen positionierte. Sein Œuvre reicht dabei von wirtschaftspolitischen Themen in der Hamburger Nachkriegszeit über sicherheitspolitische Fragestellungen in der Hochzeit der Blockkonfrontation bis hin zu seiner Rolle als Leitartikler und Herausgeber der liberalen Wochenzeitung "Die Zeit". Gleichzeitig wird daran ersichtlich, wie er vom freien Mitarbeiter - sozusagen mit Zeilengeld - über den schriftstellenden Politiker - auch im Zuge seiner zahlreichen Buchveröffentlichungen - zum bestimmenden Editor einer meinungsführenden Zeitung der späten 1980er Jahre aufstieg.

In drei übersichtlichen Kapiteln nähert sich der Autor dem hanseatischen Politiker. Das erste Kapitel beschreibt die ersten publizistischen Gehversuche, mit denen Schmidt die Öffentlichkeit nutzte, und als Bundestagsabgeordneter oder Hamburger Innensenator gezielt politische Themen platzierte, die mit seinem Aufgabengebiet zusammenhingen, so z.B. zur Bedeutung des Hamburger Flughafens für die Wirtschaft der Hansestadt. Schwerwiegender und für Leser auch schwerverdaulicher waren seine militärpolitischen Erklärversuche zu Hochzeiten des Kalten Krieges, als es um die Atombewaffnung der Bundeswehr ging und er die Frage nach "Verteidigung oder Vergeltung" [1] stellte. Wenige Monate vor der Spiegel-Affäre wies er damit unübersehbar militärpolitischen Sachverstand nach. Er erklärte als einer der ersten, was ein künftiger Atomkrieg für ganz Deutschland bedeuten könnte (33). Dabei spiegelte gerade diese Veröffentlichung zudem wider, dass Schmidt über vielfältige persönliche Kontakte zu namhaften Politikern und Militärs im In- und Ausland verfügte. Bei der Übung FALLEX 62, an der er als für den Zivil- und Katstrophenschutz zuständiger Hamburger Innensenator mitwirkte, nahmen auf seine Vermittlung hin auch Journalisten teil, was wohl eher ungewöhnlich war. Wichtig auch für Schmidt war, was dann folgte: Die von Verteidigungsminister Franz Josef Strauß gegen den Spiegel initiierte Kampagne richtete sich nicht nur gegen das Nachrichtenmagazin, das die Verteidigungspolitik von Strauß einer deutlichen Kritik unterzogen hatte, sondern führte Schmidt als vermeintlichen Informanten auch in das Fadenkreuz juristischer Ermittlungen. Diese Kampagne und ihr juristisches Nachspiel (33-41) motivierten Schmidt, für Hamburg ein Pressegesetz zu initiieren, das später als "Stütze journalistischer Arbeit" bewertet wurde (41). So gesehen hatte Schmidt sich als Motor der Pressefreiheit - oder wenigstens als Getriebe - erwiesen. Dass er dennoch dem Spiegel gegenüber immer kritisch blieb und nicht selten über ihn und seine anonymen Beiträge verärgert war, stand auf einem anderen Blatt. "Kritik und Kontrolle durch den Journalismus waren für ihn tatsächlich ein zentrales Wesensmerkmal der Demokratie." (45)

Schmidts positive Einschätzung der Medien wich jedoch in den Folgejahren "einer zunehmenden Skepsis" (51). Dies wird im zweiten Kapitel "Kein Medienkanzler - oder doch?" deutlich. Als Kanzler stand er beinahe ständig im Fokus der Medienberichterstattung. (Aus dieser Zeit stammte auch sein oftmals falsch zitiertes Schlagwort von den "Wegelagerern" (12).) Dass er in den Medien jedoch vielfach positiv beschrieben und sein Image als Macher journalistisch gefestigt wurde, lag auch an seinem Regierungssprecher: Schmidt berief im Juni 1974 Klaus Bölling in dieses Amt. Damit holte er sich einen Medienprofi an seine Seite, der als exzellenter Journalist ausgewiesen war. Dessen Aufgabe war es, den Bundeskanzler nach außen zu "verkaufen". Zugute kam ihm, dass Schmidt ein feines Gespür für die Rolle und die Möglichkeiten der Medien insgesamt besaß und Bölling "wusste und berichtete, was die Journalisten dachten, was sie demnächst schreiben würden - vor allem aber dachte er selbst" (55). Die Allianz von Kanzler und Sprecher wurde von außen so wahrgenommen, als wenn es sich um "Siamesische Zwillinge" gehandelt habe (55). Nähe und Distanz zur Presse drückte sich bei Schmidt auch darin aus, dass er nicht mit sich spielen ließ und anscheinend genau einschätzen konnte, wie er sich bewegen musste. Seine Routine im Umgang mit den Medien arbeitet Birkner insbesondere in diesem Kapitel deutlich heraus, wobei die Charakterzüge des in jungen Jahren als "Schmidt-Schnauze" bezeichneten Hanseaten etwas wenig Beachtung finden: Diese individuelle Mischung aus "Arroganz oder Eitelkeit" scheint zu Mahnungen von Parteifreunden geführt zu haben. (57)

Einen Höhepunkt der professionellen Medienarbeit des Kanzlers stellt das "Medienmanagement im 'deutschen Herbst'" dar (68-74), wenngleich in dieser kritischen Phase der bundesrepublikanischen Zeitgeschichte durchaus Medienlenkung und gar verfassungsrechtlich bedenkliche Medienbeeinflussung durch das Bundeskanzleramt zu konstatieren waren.

Erstaunlicherweise geht der Autor nur marginal auf die innerparteilichen Debatten um den NATO-Doppelbeschluss und das dadurch ausgelöste Ende der sozialliberalen Koalition im Herbst 1982 ein. Hier hätte man gerne erfahren, wie Schmidt und auch Bölling den innerparteilichen Disput um die Frage der NATO-Nachrüstung - die ja nun keine "Nachrüstung" war - verstanden und bewerteten. Das kurz nach dem Ende der Regierung Schmidt von Klaus Bölling veröffentlichte Tagebuch "Die letzten 30 Tage" reflektiert dies auch kaum. [2]

Helmut Schmidt trat am 1. Mai 1983, also noch als Bundestagsabgeordneter der SPD, was er bis 1987 blieb, in die Riege der Herausgeber der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" ein. Damit nahm er nun ganz offen auf der anderen Seite des Tisches zwischen Politikern und Journalisten Platz und entwickelte sich bereits in wenigen Monaten zum "Elder Statesman und Medienkritiker". Diese Entwicklung zeichnet das dritte Kapitel nach. Kontakte zur "Zeit" bestanden seit Jahrzehnten; mit dem Verleger Gerd Bucerius und den Herausgebern Marion Gräfin Dönhoff und Theo Sommer war er befreundet, wenn man das Wort bei Helmut Schmidt benutzen will. Die Redaktion nahm ihn mit Applaus in Empfang, aber er wurde nicht in Watte gepackt (101). Auch hier entwickelte sich Schmidt zu einem nüchtern und überzeugend schreibenden Herausgeber - von Journalist zu sprechen, entspräche nicht seiner Rolle und Funktion bei dieser Zeitung - und setzte damit fort, was er bereits seit Beginn seiner politischen Karriere regelmäßig getan hatte: Er erklärte politische Zusammenhänge für die Leser der Zeitung. Schmidts Rolle nach 1983 auf die des Herausgebers und politischen Denkers zu reduzieren, würde seiner Wirkung nicht gerecht. Vielmehr ist er seit 1983 ein vielbeschäftigter Redner und Schriftsteller, der sich der Wirkung seiner Worte gerade im Ausland sehr bewusst ist und seine Beiträge gezielt gegen den politischen Mainstream der bundesrepublikanischen Politik einsetzt; erst Recht gegen CDU-geführte Bundesregierungen.

Das gut lesbare, knappe Buch beschreibt den Medienmenschen Helmut Schmidt treffend und anschaulich. Dennoch wirkt es ein wenig wie eine Lobschrift und reiht sich ein in eine Vielzahl ähnlicher Bücher über den Elder Statesman der Bundesrepublik Deutschland. [3] Manchmal hätte dem Autor etwas mehr kritische Distanz zu "seinem Schmidt" gut getan. Eines wird aber deutlich: Schmidt "ist bis heute kein Journalist, wobei er ein gutes und sicheres Gefühl für Pointen, auch für Sprache hat." (115)


Anmerkungen:

[1] Helmut Schmidt: Verteidigung oder Vergeltung. Ein deutscher Beitrag zum strategischen Problem der NATO, Stuttgart 1961.

[2) Klaus Bölling: Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt - Ein Tagebuch, Reinbek 1982.

[3] Theo Sommer: Unser Schmidt. Staatsmann und Publizist, Hamburg 2010 (siehe dazu: http://www.sehepunkte.de/2011/10/19783.html). Martin Rupps: Helmut Schmidt - Der letzte Raucher, Freiburg i. Br. 2011. (wird fortgesetzt!)

Heiner Möllers