Karen Auerbach: The House at Ujazdowskie 16. Jewish Families in Warsaw after the Holocaust, Bloomington, IN: Indiana University Press 2013, XX + 238 S., ISBN 978-0-253-00907-4, USD 28,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Wer eine Monografie über noch Lebende verfasst, muss auch in Kauf nehmen, dass diese vielleicht nicht damit einverstanden sind, was man über sie und ihre Angehörigen geschrieben hat. So war es auch bei Karen Auerbach der Fall, die die Geschichte von mehreren jüdischen Familien des im Titel genannten Hauses an der Ujazdowskie-Allee 16 untersucht und dabei auch Eleonora Bergmans Vorfahren porträtiert. Auerbachs Buch handelt von jüdischem Leben in Polen nach 1945, das sie anhand der Bewohner eines einzelnen Hauses in Warschau erklären möchte. Bergman zeigte sich mit der Darstellung nicht zufrieden, und ihre Kritik sollte umso mehr Beachtung finden, als sie keinesfalls fachfremd ist - die promovierte Kunsthistorikerin, die ihre Forschung der Architektur von Synagogen in Polen gewidmet hat, war 2007-2011 Direktorin des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau (Żydowski Instytut Historyczny w Warszawie) und ist eine angesehene Wissenschaftlerin für die Geschichte der polnischen Juden.
Nach der Lektüre kann der Leser nachvollziehen, warum Bergman diese Untersuchung problematisch fand. Auerbach hat ein spannendes Beispiel ausgewählt, um das jüdische Alltagsleben in der Volksrepublik Polen zu erforschen. Das Haus in der Ujazdowskie-Allee war in der Tat etwas Besonderes: Da es in der unmittelbaren Nachkriegszeit zum Wohnsitz von zehn jüdischen Familien wurde, galt es als eine Art Insel für die wenigen polnischen Überlebenden, die die Besatzungszeit entweder in einem Versteck auf der "arischen Seite" überstanden hatten oder nach dem Kriegsende aus der Sowjetunion nach Polen zurückgekehrt waren. Die Geschichte der Hausbewohner wird - beginnend mit der Vorkriegszeit - in sechs Kapiteln ergründet und eng mit den zeitgenössischen politisch-sozialen Bedingungen verknüpft. Angehörige aller zehn Familien arbeiteten für Verlage des neuen kommunistischen Staates, und aus fünf Familien stammten Gründungsherausgeber offizieller Parteiorgane. Obwohl Auerbach zugesteht, dass die Hausbewohner deswegen nicht repräsentativ für die jüdische Bevölkerung Warschaus sowohl vor als auch nach dem Krieg waren (4), strebt sie stets Generalisierungen an, die sie aus dem von ihr untersuchten Haus ableitet.
Eine eher kurze, aber plausible Begründung, warum sie sich für eine Mikrogeschichte entschieden hat, findet der Leser in der Einführung. Nichtsdestotrotz bleiben nach der Lektüre des Buches Zweifel, ob sich diese Methode für so weitgehende Interpretationen eignet. Das gilt umso mehr, als Auerbach immer wieder generalisierende Thesen über "die" Juden und speziell über "die" jüdische Identität im Nachkriegspolen aufstellt. Dabei präzisiert sie bedauerlicherweise weder, was sie eigentlich unter Identität versteht, noch, dass es sich bei ihrer Untersuchung um ein subjektives, (re)konstruiertes Identitätsempfinden handelt, das unter anderem auf 39 Interviews mit Kindern und Enkelkindern der ehemaligen Hausbewohner beruht. Obwohl Auerbach auf vier verschiedene Quellenarten (klassische Schriftdokumente, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel sowie verschiedene Egodokumente) zurückgreift, finden sich in der Einführung weder weiterführende Informationen oder eine Kritik zu Forschungsstand und Quellenlage noch Überlegungen zur Methodik etwa der Oral History.
Was die Identität selbst angeht, so entsteht der Eindruck, dass es im Nachkriegspolen nur zwei Sorten von Juden gab: einerseits die Religiösen, andererseits die zu ihnen in klarem Widerspruch stehenden begeisterten Kommunisten. Alle anderen, die weder religiös noch politisch engagiert waren, werden in Auerbachs Buch einfach ausgeklammert.
In dieser ganz und gar modernen, westeuropäischen Perspektive blendet die in Australien lehrende Auerbach die Grauzone der Menschen aus, die aus verschiedenen Gründen - und zwar nicht nur aus Angst vor dem Nachkriegsantisemitismus - mit ihrer jüdischen Identität nicht an die Öffentlichkeit gingen. Auch die Feststellung der Autorin "The study's focus on Warsaw is intentional. Distance from Jewish identity was more dominant in Warsaw than elsewhere in Poland, and communism played a greater role for its postwar Jewish population, since the capital attracted politically involved individuals more so than other parts of Poland" (13) scheint fragwürdig. Diejenigen polnischen Juden, die den Krieg auf dem Lande überlebten und nach 1945 nicht in die Großstädte zogen, hatten viel geringere Möglichkeiten, ihre jüdische Identität zu entfalten, als die Juden in den Städten. Vielleicht hängt dieses Manko damit zusammen, dass die Monografie nur 229 Seiten inklusive magerer sieben Seiten Literaturangaben zählt. Ein anderer Grund für diese begrenzte Sichtweise könnte darin liegen, dass Auerbach einer Schwarz-Weiß-Sicht anhängt, nach der alle Kommunisten ungeachtet ihrer Abstammung "böse" - und vielleicht deshalb so interessant - waren. Demgegenüber entgeht ihr die bereits vor dem Krieg in Osteuropa geläufige Auffassung von Juden als Nation, die sich nicht unbedingt als Glaubensgemeinschaft definierten. Ihr entgeht auch, dass angesichts der schwierigen sozial-politischen Lage nach 1945 viele polnische Juden freiwillig die Assimilation wählten, um in religiöser oder nationaler Hinsicht nicht mehr als Fremde zu gelten.
Zum Schluss steht ein sehr persönlicher, "angelsächsischer" Epilog, in dem Auerbach von ihren Erlebnissen und Wahrnehmungen über die Juden in Polen im 21. Jahrhundert berichtet und zugleich schildert, was ihr diese Arbeit bedeutet. Eine wissenschaftliche Zusammenfassung und weiterführende Reflexionen fehlen. Am Ende bleiben faszinierende Geschichten mehrerer jüdischer Familien in Warschau - und viele offene Fragen. So ist diese Monografie zweifelsohne ein lesenswertes Sachbuch - aber eben mit Schwächen.
Marta Ansilewska