Klaus Hentschel / Dieter Hoffmann (Hgg.): Carl Friedrich von Weizsäcker: Physik, Philosophie und Friedensforschung (= Acta historica Leopoldina; 63), Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2014, 594 S., ISBN 978-3-8047-3244-5, EUR 29,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Kay Peter Jankrift: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003
Axel Karenberg: Amor, Äskulap & Co. Klassische Mythologie in der Sprache der modernen Medizin, Stuttgart: Schattauer 2004
Franz-Werner Kersting (Hg.): Psychiatriereform als Gesellschaftsreform. Die Hypothek des Nationalsozialismus und der Aufbruch der sechziger Jahre, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2003
Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) zu Ehren fand vom 20. bis 22.06.2012 in Halle (Saale) ein Symposium der Leopoldina, Nationale Akademie der Wissenschaften statt. Es wurde von den Wissenschaftshistorikern Klaus Hentschel (Stuttgart) und Dieter Hoffmann (Berlin), beide Mitglieder der Leopoldina, auf Initiative von drei Sektionen der Akademie hin ausgerichtet. Aus Anlass des 100. Geburtstags wurde das Ehrenmitglied der Leopoldina, der Naturwissenschaftler, Philosoph und politisch engagierte Bürger Carl Friedrich von Weizsäcker in den Blick genommen. Die Beiträge des Symposiums liegen nun in einem Sammelband vor.
Ihrer Einleitung stellen die Herausgeber ein für die Persönlichkeit Carl Friedrich von Weizsäckers programmatisches Zitat voran, das zugleich die wissenschaftshistorisch einnehmbaren Forschungsperspektiven aufzeigt: "Ich habe Physik studiert aus philosophischem Interesse und Philosophie betrieben als Konsequenz des Nachdenkens über Physik; dagegen rührt mein Interesse an Politik eigentlich aus einer Art Pflichtgefühl: Ich stamme aus einer Familie, in der das selbstverständlich war." (13) Der Präsident der Leopoldina, Jörg Hacker, stellt diese von Weizsäcker formulierte, der Nationalen Akademie der Wissenschaften selbst zur Aufgabe gewordene, Verpflichtung in seinem Grußwort auch heraus und verweist zusätzlich noch auf deren Bedeutung, "um den historisch gewachsenen Herausforderungen an das Handeln des Wissenschaftlers in einer durch und durch von Wissenschaften geprägten Welt gerecht zu werden" (8).
Carl Friedrich von Weizsäcker hat sich neben seinem beruflichen Wirken in die Arbeit der Leopoldina intensiv eingebracht und für die Verantwortlichkeit in der Wissenschaft stark engagiert; nicht zuletzt hat er, wie im vorliegenden Sammelband auch ausführlich nachzulesen ist, in die DDR hinein gewirkt, vor allem in den kirchlichen Raum der DDR. Über diese biografischen Zusammenhänge informiert Dieter Hoffmann in seinem sehr gelungenen Beitrag (23-53); gerade die Vielschichtigkeit von Weizsäckers wird hier besonders deutlich. Dabei begleiten diesen Aufsatz wie viele andere Beiträge auch sehr passende historische Abbildungen. Der DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer thematisiert dann als Zeitzeuge - und damit in persönlicher Weise - von Weizsäckers Wirken in die DDR hinein, vor allem in den Bereich der Kirche der DDR (53-74).
Klaus Hentschel und Dieter Hoffmann haben die zahlreichen Beiträge, welche über die Vorträge der Tagung um einige weitere ergänzt wurden und welche somit stattliche 30 vielschichtige und durchaus anregende Aufsätze umfassen, in die sieben Themenfelder gruppiert - Persönlichkeit, Physik, Philosophie der Natur, von Weizsäcker und die Max-Planck-Gesellschaft, Konzepte, Friedensforschung und Politik sowie Wechselwirkungen; vorangestellt ist eine von ihnen beiden verfasste, knappe und sehr lesenswerte Einführung (13-20). Diese Themenfelder sind aber nicht als für sich zu lesende Einheiten zu verstehen, vielmehr stellen die Beiträge der einzelnen Abteilungen selbst Bezüge zu den anderen her und machen noch einmal deutlich, wie von Weizsäcker selbst zwischen diesen Themenfeldern, um ein Wort der Herausgeber aufzugreifen, mäandrierte. So erklärt sich vielleicht auch manch doch sehr weiter thematischer Zuschnitt einzelner Themenfelder.
Die Herausgeber betonen explizit, das sie den "letzten universal gebildeten Gelehrten" (13), womit sie ein Wort von Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002) aufgreifen, angemessen zu würdigen suchen, ohne aber einer panegyrischen Versuchung zu erliegen. Das ist freilich keine einfache Aufgabe, welche den Autoren wie Herausgebern aber, ist man am Ende des Bandes angekommen, gut gelungen ist. Es liegt also keine Geburtstagshagiografie vor, vielmehr ein hochinteressanter und kritischer Sammelband, in welchem die vielschichtige Persönlichkeit von Weizsäcker "als Person psychologisch-sozial" (13) und als "Denker kognitiv-intellektuell" (13) gewürdigt wird; auch die Zeit des Nationalsozialismus wird in einzelnen Beiträgen nicht ausgespart. Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Herausgeber neben Zeitzeugen und Schülerschaft auch weitere Beitragende eingeladen, aus der Perspektive der Nachgeborenen auf von Weizsäcker zu blicken. Dieser Ansatz ist zu begrüßen und ist nicht nur für das in diesem Sammelband behandelte Thema sehr sinnvoll. Blickt man über die Beiträge noch einmal als Ganzes, ist gerade den sich etablierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von Weizsäcker ans Herz zu legen, um künftig in noch prominenter Form beteiligt werden zu können. Hierzu kann der vorliegende Sammelband mit der umfangreichen Forschungsdokumentation einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Lektüre der Beiträge macht klar, dass hier reiches Potential für wissenschaftshistorische Forschung besteht, das in einzelnen Beiträgen des Bandes aufgegriffen wird und das aber durch diesen Sammelband bei Weitem nicht ausgeschöpft ist. So wird es lohnenswert sein, auch künftig die DDR und von Weizsäckers Wirken dorthin stärker in den Blick zu nehmen - und dies auch unter Einbezug von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die dort selbst wirken oder gewirkt haben. Bei solcher Forschung ist, wie die Herausgeber auch selbst betonen, durchaus der Ansatz einer polyperspektivischen Historiografie zu wählen. Denn dieser Anspruch einer Polyperspektivität kann in diesem Band sehr gut umgesetzt werden. So ist es sehr lohnenswert, von Weizsäckers Werk rhetorisch eingehender zu untersuchen, wie Klaus Hentschel in seinem umfangreichen Beitrag eindrucksvoll aufzeigt (75-98). Hentschel würdigt von Weizsäckers rhetorische Fähigkeiten als Redner und Autor, indem er Aufsätze, Bücher, Briefe, Gedichte bis hin zu Limericks auf deren stilistische bzw. rhetorische Strategien hin befragt. In einem weiteren Schritt wird im Sammelband in einem eigenen Abschnitt der Physiker von Weizsäcker angemessen in den Blick genommen - und dies weit über die Bethe-Weizsäcker-Masseformel und den Bethe-Weizsäcker-Zyklus hinaus (99-156). Schließlich sollte von Weizsäcker auch künftig in den philosophischen Kontexten interpretiert werden, wie einige Beiträge im Band eindrucksvoll zeigen (157-210). Darüber hinaus lässt auch von Weizsäckers Wirken in die Max-Planck-Gesellschaft über sein Direktorat des Max-Planck-Instituts in Starnberg hinaus, noch weitere Forschung zu. Sehr lesenswert wird die Geschichte erzählt, als 1970 in Starnberg das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen in der wissenschaftlich-technischen Welt gegründet wurde, das von ihm und Jürgen Habermas zehn Jahre lang geleitet wurde (243-262). Diese Geschichte ist beeindruckend, auch wenn sie weder für von Weizsäcker noch für die Max-Planck-Gesellschaft eine Erfolgsgeschichte darstellt; immerhin wurde das Institut nach diesen zehn Jahren wieder geschlossen. In weiteren Beiträgen wird dann über Starnberg hinaus auf sein Wirken in die Max-Planck-Gesellschaft erzählt. Dabei werden auch Zeitzeugen einbezogen. Die Beiträge zur Friedensforschung und Politik machen noch einmal deutlich, wie einflussreich von Weizsäcker in den öffentlichen Raum wirkte (341-462); dies erklärt auch die besondere Bedeutung Carl Friedrich von Weizsäckers für die Leopoldina, welche sich als Nationale Akademie der Wissenschaften nicht zuletzt in die Politikberatung sehr erfolgreich einbringt. In diesem Zusammenhang sei an 1959 erinnert, in welchem Jahr die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler gegründet wurde, in welcher von Weizsäcker von Anfang an eine prominente Rolle einnahm (377-388). Von Weizsäckers Expertise bei den Diskussionen um Kernenergie werden im Sammelband in einzelnen Beiträgen ebenso thematisiert wie sein Beitrag zur nuklearen Abrüstung; dabei finden sich auch Beiträge, in denen auf die Bedeutung oder Einflussnahme bzw. Inanspruchnahme in der DDR geblickt wird.
Am Ende des Sammelbandes werden die beitragenden Autorinnen und Autoren kurz porträtiert. Abschließend findet sich ein umfangreiches und sehr sinnvolles Personenregister.
Es ist den Herausgebern, Klaus Hentschel und Dieter Hoffmann, und den Beitragenden Dank zu sagen, diesen Sammelband über die beeindruckend vielschichtig zu charakterisierende Persönlichkeit Carl Friedrich von Weizsäcker mit so anregenden Inhalten versehen publiziert zu haben. Somit liegt nun ein wichtiger Meilenstein wissenschaftshistorischer Forschung vor, welche die Ergebnisse der aktuellen Forschung in umfangreicher Dokumentation und Vielstimmigkeit zur Verfügung stellt. Es bleibt zu wünschen, dass diese Möglichkeit der sich nun anschließenden Forschung, bei zweifellos reichem Forschungspotential, welche durch diese Veröffentlichung geboten wird, gerade von den vielen nachgeborenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit großem Elan ergriffen wird.
Florian Steger