Alfred Kohler: Neue Welterfahrungen. Eine Geschichte des 16. Jahrhunderts, Münster: Aschendorff 2014, 344 S., 14 s/w-Abb., ISBN 978-3-402-12907-4, EUR 29,80
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Franz M. Eybl (Hg.): Häuser und Allianzen. Houses and Alliances. Maisons et alliances, Bochum: Verlag Dr. Dieter Winkler 2016
Caroline Arni / Regina Schulte / Xenia von Tippelskirch (Hgg.): Historische Anthropologie. Jahrgang 20 (2012), Heft 1. Thema: Botengänge, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012
Kirche im Dorf: Ihre Bedeutung für die kulturelle Entwicklung der ländlichen Gesellschaft im "Preussenland", 13.-18. Jahrhundert. Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preussischer Kulturbesitz in Zusammenarbeit mit der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin, Preussischer Kulturbesitz. Konzeption: Bernhart Jähnig, Berlin: Duncker & Humblot 2002
Der Titel zeigt den Anspruch dieses Buches, eine Weltgeschichte des 16. Jahrhunderts aus europäischer Perspektive zu bieten. Ausgeführt wird dieser Plan mit vielen Rückblicken bis in Antike und Mittelalter sowie Ausblicken in die Gegenwart. Der Einstieg ist nicht leicht zu gewinnen, weil der Verfasser sich in der Einleitung an Begriffs- und Methodendiskussionen zur Welt- bzw. Globalgeschichte abarbeitet, anstatt sein Thema einfach zu "setzen". Die sieben großen Kapitel der Darstellung aber eröffnen tatsächlich neue Perspektiven für die Geschichtsschreibung.
Im ersten Kapitel wird die Geschichte der räumlichen "Entdeckung" der außereuropäischen Welt durch Europäer seit dem Reisebericht Marco Polos erzählt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Überwindung ungewohnt weiter Entfernungen, der Verbindung von beobachtendem Erfassen und Erobern sowie den Auswirkungen der neuen Erfahrungen auf Europa von der Kartografie bis zu exotischen Sammlungsstücken fürstlicher Wunderkammern. Das zweite Kapitel wird eingerahmt von Bemerkungen zur "Benennungsmacht europäischer Kartographen" (63) und zum Gesandtschaftswesen. Darin eingebettet ist ein kurzer Abriss der "Entwicklung und Ausgestaltung eines Staatensystems" in Europa (66). Damit ist gemeint, dass die werdenden europäischen Staaten bzw. ihre Regierenden sich nicht mehr der universalen mittelalterlichen Herrschaftsordnung unter Papst- und Kaisertum verpflichtet fühlten, sondern die "monarchia"-Pläne Karls V. bekämpften und ein System gleichberechtigter politischer Einheiten schaffen wollten. In Stereotypen, Propaganda und Krieg drückten sich konkurrierende hegemoniale Machtansprüche aus und wurden zugleich betont und verschärft. Auf die Intensivierung der Herrschaftsausübung auf vielen Ebenen wird eingegangen, der Prozess der Staatsbildung aber ausdrücklich nicht thematisiert. Ob und inwiefern dieser Prozess für Europa spezifisch war, spielt in der Darstellung keine Rolle. Das führt dazu, dass Kapitel 3, das die politischen Entwicklungen Asiens, Amerikas und Afrikas im 16. Jahrhundert (mit Rückblicken) zusammenfasst, nicht als ausgesprochenes Gegenstück, sondern als Ergänzung des europäisch akzentuierten Kapitels verstanden werden muss. Dem weiten Thema entsprechend fällt es uneinheitlicher aus als das zweite, legt aber wie dieses den Hauptakzent auf Reichsbildungen, soziale Gliederung und Formen der Herrschaftsausübung. Am ausführlichsten dargestellt werden das Osmanische Reich, Indien und China. Beziehungen zu Europa oder zu anderen Weltteilen werden angesprochen, etwa der Import neuer Kulturpflanzen nach China oder die Bestrebungen der Herrschaftskonzentration in Indien, die sich mit den Methoden der Herrschaftsverdichtung in Europa vergleichen lassen.
Kapitel 4 bildet nicht nur formal die Mitte des gesamten Buches, es ist auch am entschiedensten "global", indem es, auf der Grundlage der bisher gelieferten Informationen, "Weltweite Handels- und Wirtschaftssysteme" darstellt. Es geht also nicht nur aus europäischer Perspektive um den europäischen Handel mit Asien, Afrika und Amerika, sondern auch und besonders um diejenigen Handelssysteme, die sich schon vor dem Eindringen der Europäer ausgebildet hatten, etwa den Handel entlang der ostafrikanischen Küste, in dem nach 1500 indische Händler dominierten. So wird deutlich, dass die Portugiesen und andere Europäer in dieses Handelsgefüge aggressiv eingriffen. Dabei sieht der Verfasser die europäische "Einheitsvorstellung von der Erde", verbunden mit dem "Willen zur Expansion" als "entscheidend" (153) an - eine Formulierung, die nahelegt, aber nicht ausdrücklich ausspricht, dass die Europäer die Welt, die sich ihnen in Außereuropa zeigte, von vornherein als etwas zu Eroberndes ansahen und gar nicht daran dachten, sich etwa in die bestehenden Handelsbeziehungen als gleichberechtigte Partner einzugliedern.
Als eine Wirkung des neuen globalisierten europäischen Handels sieht Kohler die allgemeine Teuerung aufgrund der massiven Zufuhr amerikanischen Silbers nach Europa (159-161). Trotz dieser verderblichen Wirkungen aber soll die Verfügung über Silber "ein von Europa bestimmtes Weltwirtschaftssystem ermöglicht" haben, weil Silber eben durch den globalen Handel zum globalen Zahlungsmittel wurde (161). Ein eigener Unterabschnitt gilt dem "Transfer" von Tieren und Pflanzen, wobei neben Nutzpflanzen und -tieren auch das von Dürer gezeichnete Rhinozeros Erwähnung findet.
Die Kapitel 5 bis7 sollen "vergleichend" (167) wichtige Gebiete geschichtlichen Lebens global darstellen. In allen diesen Kapiteln ist aber der Vergleich weniger ausführlich als die Darstellung der unterschiedlichen (globalen) Kultur- und Wirtschaftsräume mit ihren wechselseitigen Verflechtungen. Kapitel 5 wirkt uneinheitlich, was aber wohl sein muss, da die Herrschaftssysteme der Erde, erst recht im 16. Jahrhundert, sich nicht auf einen Nenner bringen lassen. Die Rede ist u.a. von den konkurrierenden Weltherrschafts-Ansprüchen der Päpste, der Kaiser und der Sultane, von Tributsystemen in Ostasien und im Osmanischen Reich sowie vom globalen Phänomen des Sklavenhandels. In dem Terminus "Herrschaftssystem" werden also jeweils politische Herrschaft, wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht verbunden gesehen. In eigenen Abschnitten wird dargelegt, wie unterschiedlich europäische Mächte untereinander und mit außereuropäischen Machthabern verkehrten.
Die Entwicklung europäischer Völkerrechtstheorien steht thematisch konsequent am Schluss dieses Kapitels, kann aber nicht unmittelbar auf Erfahrungen von Europäern mit Außereuropa zurückgeführt werden, zumindest nicht ausschließlich. Die Kapitel 6 und 7 präsentieren sich einheitlicher, weil in ihnen die europäische Perspektive wieder dominiert, auch wenn außereuropäische Ereignisse immer mit thematisiert werden. Im Kapitel 6 geht es um die Religionen und zwar vorwiegend um die Schriftreligionen der Welt und ihre Beziehungen im 16. Jahrhundert: Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus und Konfuzianismus. Dem Christentum gilt das Hauptaugenmerk; europäische Reformation und weltweite katholische Mission werden geschildert; die europäische katholische Reform spielt eine geringere Rolle. Wichtig sind dem Verfasser vor allem die Beziehungen zwischen Religion und politischer Macht sowie die Beziehungen des Christentums zu anderen Religionen in Konkurrenz, Duldung, Verstehen oder auch Missverständnissen. "Bildung, Medien und Wissenschaft" (255), das Thema des Kapitels 7, wird vorwiegend aus europäischer Perspektive dargestellt, auch wenn die Erfindung des Buchdrucks in China erwähnt wird. Dieses Kapitel stellt vor allem dar, wie Europäer ihre Erfahrungen mit der außereuropäischen Welt medial verarbeiteten, nicht nur in Reiseberichten, sondern auch in Land- und Seekarten, Globen und vielerlei bildlichen Darstellungen. Dabei wird auch auf europäische Vorurteile und Klischees eingegangen wie den Amazonen-Mythos oder den Topos vom Kannibalismus in Amerika. Insgesamt wird so etwas wie die geistige Eroberung der Welt als im 16. Jahrhundert spezifisch europäisch herausgestellt.
Diese Überlegungen bilden die Verbindung zum Schlusskapitel, in dem der Verfasser auf sowohl kritische als auch positive Bilanzierungen der europäischen Expansion bis zum 19. Jahrhundert eingeht und die Geschichte der europäischen Beherrschung der Welt in einer kurzen, aber kritischen Skizze bis zur Dekolonisierung und bis in die Gegenwart fortführt, wobei er sogar noch auf die Weltgeltung Asiens in jüngster Zeit eingeht (307). Insgesamt ist das Buch außerordentlich anregend und macht deutlich, wie notwendig, aber auch wie schwierig es ist, die europäische Geschichte im globalen Zusammenhang darzustellen.
Esther-Beate Körber