Andrew Bolton / John Galliano / Adam Geczy et al.: China. Through the Looking Glass, New Haven / London: Yale University Press 2015, 255 S., 231 Farbabb., ISBN 978-0-300-21112-2, GBP 30,00
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Der Katalog der Ausstellung des Metropolitan Museum of Art in New York "China through the looking glass" kündet sein Thema schon im Äußeren an - in der Art der Bindung und dem strukturierten Umschlag, dessen Muster auf dem Vorbild einer Hofrobe aus dem 19. Jahrhundert basiert.
Das Thema von Ausstellung und Katalog bildet die Auseinandersetzung der westlichen Mode mit der Kultur Chinas zu verschiedenen Epochen, allerdings mit Schwerpunkt auf dem späteren 20. Jahrhundert. Dieses kommt zu einem Zeitpunkt, als China als Land von Touristen und Konsumenten immer wichtiger wird.
Dieses ist nicht die erste Ausstellung, die sich mit dem Thema "Orientalismus" und Mode beschäftigt, aber die erste, die innerhalb des allgemeinen Phänomens den Schwerpunkt auf ein einziges Land - auf China - legt. Frühere Ausstellungen wie die von Richard Martin kuratierte Ausstellung "Orientalism. Visions of the East in Western Dress" am Metropolitan Museum of Art in New York 1994 oder die Ausstellung "Touches d'exotisme XIVe-XXe siècles" im Musée de la Mode et du Textile 1998 in Paris waren dem Gesamtphänomen mit der Rezeption der Anregungen durch unterschiedliche Länder gewidmet.
Der New Yorker Katalog wird von dem Aufsatz "Towards an Aesthetic of Surfaces" des Ausstellungskurators Andrew Bolton eingeleitet, der zugleich den Titel der Ausstellung und die darin enthaltene Referenz auf Lewis Carolls "Alice in Wonderland" erläutert. Wie Alice im Buch die Welt in der Reflektion durch den Spiegel wahrnimmt, so wurde China durch den Westen auch mit einer voreingenommenen, durch die eigene Kultur konditionierten Brille erfahren. Es wurde diese westlich bedingte Sicht auf China in der westlichen Kultur und Mode aufgegriffen, nicht aber das "tatsächliche" China. Dieses ist ein seit der Renaissance, seit dem ersten Kontakt zu China zu beobachtendes Phänomen, das sich bis in das 21. Jahrhundert hindurchzieht. Bolton beschäftigt sich mit dem erfundenen, imaginierten China und stellt drei Grundformen chinesischer Kleidung vor, die leitmotivisch die Ausstellung bestimmen und die westlichen Designer faszinieren: qipao, Manchu-Robe und "Mao-Anzug", die ihren jeweiligen Beitrag zu einem "romantic Orientalism" leisten (19). Er schildert China als eine "collective fantasy", die durch den Austausch von Ideen, den Dialog und die spielerische Freiheit der Fantasie bestimmt wird (20). Bolton betont stets die Bedeutung Chinas für die westliche Kunst und Mode, die Vielfalt und den Reichtum der Einflüsse.
Adam Geczy, der sich 2013 in "Fashion and Orientalism" ausführlich mit den Phänomen des Orientalismus in der Mode beschäftigt hatte, zeigt, seine frühere Darstellung auf China konzentrierend, nicht nur die verschiedenen Phasen dieses Phänomens, sondern auch der wissenschaftlichen Orientalismus-Debatte auf. Er beschäftigt sich mit dem Revival von Orientalismus-Phasen, dem Wiederbeleben von etwas Imaginiertem und erkennt diese Verbindung von Anliehen und Umformen als ein stets wiederkehrendes Ereignis.
Harold Kodas Aufsatz gilt der Geschichte der China-Rezeption in seinem umfassenderen kulturellen Umfeld. Er beschränkt sich nicht allein auf die Mode, sondern zeigt die Neigung zu bestimmten Materialien wie Seiden und Lacken, die Auswirkungen auf Produktion und Handel und die Einwirkungen auf die westliche Kunst z.B. im Bereich der Raumausstattung und des Ornaments. Auch Koda kommt zu dem Ergebnis, dass diese kreative Form des Orientalismus kein negatives Phänomen darstellt, sondern dass dieser eine zumeist sehr intensive Auseinandersetzung mit der fremden Kultur zugrunde liege, hierdurch eine fantasievolle Variation angeregt werde, welche sich dann einflussreich verbreite und in einer gemeinsamen Zeichensprache münde.
Mei Mei Rado wiederum liefert eine historische Darstellung der chinesischen Kleidung mit Schwerpunkt auf der Zeit nach 1911, dem Ende der Qing-Dynastie. Hier geht es um die Weise, wie Elemente der traditionellen Kleidung in einer Zeit bewahrt werden, die eigentlich durch eine Anpassung an den Westen bestimmt ist und welche Motivationen dahinter zu vermuten sind.
Ein weiterer Aufsatz von Homay King ist der Darstellung Chinas in Filmen gewidmet, die auch in der Inszenierung der Ausstellung eine große Rolle spielen. Hier geht es zum einen um die ambivalente Darstellung der Chinesin vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Frauenbildes in amerikanischen Filmen der 1930er-Jahre mit Fokus auf Anna Wong, und um die Auffassung Chinas durch westliche Regisseure, zum anderen um jüngere chinesische Filme, die ihrerseits ein historisch nicht korrektes China zeigen, sondern gleichfalls ein China "through the looking glass", sich aus verschiedenen Quellen speisende Traditionen verarbeitend.
Der Katalog ist mit einer Fülle von ganzseitigen Farbabbildungen ausgestattet. Die Fotos von Platon fokussieren in der Regel auf bestimmte Details oder eine interessante Ansicht. Der Verzicht auf Gesichter dient der Konzentration auf das Objekt; das leichte Verschwimmen der Linien zum Rand hin verweist auf das Imaginierte des China-Bildes. Hierbei sind jedoch zwei Dinge bedauerlich: zum einen wäre in manchen Fällen eine zweite Ansicht zu wünschen - sodass nicht nur ein Ornament, ein Detail, sondern die ganze Form zu erkennen gewesen wäre -, zum anderen, dass die Bildunterschriften in der Nähe der Abbildungen zu finden gewesen wären und nicht gebündelt, zwar mit einer verkleinerten Ansicht als Orientierungshilfe, am Ende des Buches. Dieses führt stets zu einem aufwendigen Hin-und-her-Blättern innerhalb des Buches. Für den Besucher der Ausstellung ist es dabei bedauerlich, dass die Puppen auf den Fotos nicht Stephen Jones' fantasievoll-symbolische Kopfputzkreationen tragen, die stets auf das Thema des Raumes bezogen sind und dieses unterstreichen.
Zwar greift der Katalog weitgehend die Aufteilung der Ausstellung auf, wobei leider nicht alle ausgestellten Kleider abgebildet sind, doch folgt er nicht in der feineren Binnenunterteilung. Dieses fällt weniger im ersten Teil "Emperor to Citizen" auf, wo chinesische Gewänder - zumeist Hofroben ("Imperial China") - neben westlichen Kleidern, die in aller Regel Motive der Stoffe aufgreifen, und ihre westlichen Variationen bzw. die Uniformen der Roten Armee und die Mao-Jacke ("Nationalist China") sowie die Auseinandersetzung mit diesen Kleidungsstücken gezeigt werden.
Im zweiten Teil "Empire of Signs" ist der Bezug dagegen loser. Folgt der Bereich, der sich mit der Rezeption der faszinierenden, fremdartig-exotischen Asiatin à la Anna Mai Wong auseinandersetzt, noch relativ eng der Ausstellung, so ist dieser in Hinblick auf die Einflüsse durch verschiedene Örtlichkeiten ("Enigmatic Spaces") und chinesische Gegenstände ("Enigmatic Objects") schon loser. Hier war es gerade interessant, Stücke aus der ostasiatischen Sammlung des Museums überlegt und stimmig neben den westlichen Mode-Entwürfen zu sehen. Das Nebeneinander von Emailarbeiten, Bronzen, Keramiken, Kalligrafie, Lacken war zwar von einer gewissen Beliebigkeit, machte aber die Anregungen anschaulich und in dem direkten Nebeneinander deutlich. Dieses Nebeneinander wird im Katalog besonders in der Gegenüberstellung von blau-weißem Porzellan und entsprechend gemusterten Abendkleidern deutlich. Für diese Vergleiche wäre vielleicht ohnehin ein klassisch-traditioneller Ausstellungskatalog vorzuziehen gewesen, der die Übernahmen erläutert und in einen historischen Kontext stellt.
Dieses wird zwar letztlich vollzogen, doch auf einer allgemeineren, stets an die einleitenden Aufsätze gebundenen Weise. In diesem Teil hätte auch die subjektive Faszination der einzelnen Designer für China ausführlicher dargestellt werden können. Dieses erfolgt leider nur einmal - in dem den Katalog abschließenden Interview mit John Galliano, dessen fantasievollen Haute Couture-Roben aus dem Jahr 2003 sowohl im Katalog als auch in der Ausstellung viel Raum gewährt ist.
Es handelt sich bei der alljährlichen Katalogproduktion des Costume Institute am Metropolitan Museum in New York wieder um ein ästhetisch und inhaltlich erfreuendes Werk, das in seiner Konzentration auf ein Land aus dem Gesamtbereich des Orientalischen einen neuen und reichhaltigen Einblick gibt. Zu bedauern bleibt - jedenfalls für den Besucher der Ausstellung -, dass es nicht noch genauere Beschreibungen und Erläuterungen zu den Exponaten gibt und dass sich der Katalog nicht enger an der Präsentation orientiert - doch dieses ist vermutlich organisatorisch-terminlichen Gründen zuzuschreiben. Interessant ist die positive Darstellung des westlichen Blicks auf China. Der seit Said eher negativ konnotierte Begriff des Orientalismus wird weitgehend ausgeklammert und stattdessen die stimulierende Anregung durch den Osten betont. Dabei sei es nie um ein authentisches Nachschöpfen von Bestehendem gegangen, sondern um die fantasievolle Umsetzung von Einzelelementen, um das Spiel der Imagination, die Verwirklichung eines Traumbildes und dessen jeweilige Wirksamkeit. So geraten Ausstellung und Katalog zu einer opulenten Feier der Fantasie.
Michaela Braesel