Heinz A. Richter (Bearb.): Griechenland 1942-43. Erinnerungen von Elisabeth und Konstantinos Logothetopoulos (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns; Bd. 70), Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2015, 315 S., ISBN 978-3-447-10460-9, EUR 28,00
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Die Zeit der "Achsenherrschaft" in Griechenland (1941-1944) ist in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur nach wie vor ein kaum untersuchtes Thema. Der emeritierte Mannheimer Professor Heinz Richter, der die Erforschung der deutschen Okkupation zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, versucht seit Jahren, an diesem Zustand etwas zu ändern - als Autor eigener Monographien und Aufsätze, aber auch als Mitherausgeber einer deutschsprachigen Zeitschrift über die Geschichte Griechenlands und Zyperns von der Antike bis zur Gegenwart. [1] Nun hat er in der von ihm mitbetreuten Publikationsreihe Peleus die Erinnerungen der Eheleute Elisabeth und Konstantinos Logothetopoulos veröffentlicht und damit der Griechenland-Historiographie eine wichtige Quelle zugänglich gemacht.
Wer aber waren Elisabeth und Konstantinos Logothetopoulos? Um die Bedeutung ihrer Erinnerungen verstehen und entsprechend beurteilen zu können, muss zuerst der griechische Ehemann vorgestellt werden. Konstantinos Logothetopoulos (geb. 1878), vor dem Krieg angesehener Professor für Gynäkologie an der Athener Universität, war der zweite Ministerpräsident der griechischen Kollaborationsregierung während der deutschen Besatzungszeit. Er hatte dieses Amt von Dezember 1942 bis April 1943 - also nur für sehr kurze Zeit - inne. Sein Vorgänger war Generalleutnant Georgios Tsolakoglou (April 1941 bis November 1942) und sein Nachfolger der Berufspolitiker Ioannis Rallis (April 1943 bis Oktober 1944). Im Gegensatz zu ihnen war er weder der "ehrliche und tapfere Soldat" noch der "schlaue Politiker". Seine "Germanophilie" galt anscheinend dem von ihm bewunderten Deutschland seiner Studienzeit und nicht Hitlers Herrschaft (13). Kurz vor dem Abzug der deutschen Besatzungstruppen im September 1944 begab er sich ins deutsche "Exil". In Vilshofen (Niederbayern) ließ er sich mit seiner Frau nieder und arbeitete in der Ortsklinik (22). Im Rahmen des im Februar 1945 eröffneten Prozesses gegen die Kollaborateure vor einem Athener Sondergericht wurde er in absentia zu lebenslanger Haft verurteilt, die er später antreten musste. 1951 wurde er jedoch von König Paul begnadigt und in die Freiheit entlassen. Zehn Jahre später starb er (24).
Elisabeth Logothetopoulou (geb. 1880) war die Tochter des Hamburger Kaufmanns Hermann Hell. Sie studierte in München Staatswissenschaft, wurde 1911 promoviert und war für die Nationalliberale Partei politisch aktiv. Ihren Ehemann hat sie vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland kennengelernt und geheiratet. 1914 arbeitete sie als Hofdame der Königin Sofia in Athen. In der griechischen Hauptstadt setzte sie sich für den Aufbau der sozialen Fürsorge ein und organisierte Suppenküchen für die Armen (10). Vor dem Hintergrund, dass sie die Ehefrau eines Ministerpräsidenten in der Zeit der Kollaboration war, gewinnen ihre Aussagen an Interesse und Bedeutung.
Dies dürfte auch die Antwort auf die Frage sein, was Richter zur Veröffentlichung ihrer - bislang völlig unbekannten - Erinnerungen bewogen haben mag. Bereits während seines Forschungsaufenthalts in Griechenland 1967 wurde er auf die Geschichte von Frau Logothetopoulou aufmerksam, die ihm ihr jetzt veröffentlichtes Manuskript anvertraute. Zugleich überließ sie ihm ein Exemplar des Buches, das ihr Ehemann während seiner Haft verfasst hatte und das 1948 auf Griechisch erschienen war (9). Dabei handelt es sich um einen Text mit eindeutig apologetischer Zielsetzung. Logothetopoulos schildert seine Tätigkeit als Ministerpräsident von patriotischer Warte aus. Wie Richter zutreffend bemerkt, ist Logothetopoulos' Schrift in vielen griechischen Bibliotheken nicht auffindbar (9). Aus diesem Grund beschloss er, auch sie zu veröffentlichen. Es sind also zwei getrennte Texte, die Richter in einem Band vorlegt. Im Grunde genommen sind es sogar drei Texte: Logothetopoulos' Memoiren enthalten neben der Übersetzung auch das griechische Original. Die deutsche Übersetzung stammt von Logothetopoulos selbst (7). Ob er schon damals eine Veröffentlichung in deutscher Sprache erwogen hat, darauf geht Richter in seinem begleitenden Kommentar leider nicht ein.
Die Idee, beide Erinnerungen in einem Band zu veröffentlichen, erweckt Neugier. Vom methodischen Ansatz her ist dieses Verfahren eher ungewöhnlich. Der Leser aber erhält so die Gelegenheit, die Texte direkt zu vergleichen: Die Erinnerungen von Elisabeth haben privaten Charakter, sie waren ja nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Ihr geht es vor allem um die Erlebnisse ihrer Familie während der Okkupation und nicht um das politische Handeln ihres Ehemannes. In ihnen wird das Dilemma einer Frau sichtbar, die zwischen die Fronten geriet: Sie war Deutsche, lebte aber seit etlichen Jahren in Griechenland, das ihr mittlerweile zu einer zweiten Heimat geworden war und das ihre Landsleute nun besetzten. Sie verabscheute den Krieg und seine verheerenden Auswirkungen für die Menschen, doch aufgrund ihrer Nationalität und der Tatsache, dass sie die Ehefrau eines ranghohen Kollaborateurs war, stand sie - ob bewusst oder nicht - auf Seiten der "Neuen Ordnung". Bekannte und Freunde in Athen sahen das jedenfalls so und gingen zu ihr auf Distanz (34).
Schließlich arbeitete Konstantinos Logothetopoulos in Vilshofen als Chef des dortigen Krankenhauses und wurde - der Aussage Elisabeths zufolge - von der lokalen Bevölkerung respektiert (50f.). Das Ehepaar war bemüht, den Anschein eines bürgerlichen Lebens zu wahren, doch rasch bestimmten die Angst vor den "Russen" und das Leid der Flüchtlinge ihre Realität. In Vilshofen erfuhren sie von dem kommunistischen Aufstand im Dezember 1944 in Athen und der Verurteilung von Konstantinos als Kollaborateur einige Monate später (53). Nachdem dieser von US-Stellen verhaftet und an Griechenland ausgeliefert worden war, trat Elisabeth die Rückreise an. Auf sie wartete eine Zeit der Einsamkeit, da Konstantinos seine Haft antreten musste. Die "bessere Gesellschaft" in Athen, so schreibt sie nicht ohne Verbitterung, habe den Kontakt zu ihr fortan gemieden. Nur einfache Leute hätten zu ihrer Familie gehalten (60).
Der Ehemann hingegen konzentriert sich in seinen Memoiren ganz auf die Sphäre des Politischen. Zunächst argumentiert er für die Notwendigkeit der Bildung einer griechischen Kollaborationsregierung: Hätte eine griechische Regierung nicht existiert, so wäre Griechenland ein italienisches Protektorat geworden oder es hätte einen Gauleiter bekommen (72) - ein keineswegs abwegiges Szenario. Politisch tat sich Logothetopoulos hervor, indem er gegen die Anwendung des berüchtigten Staatsangehörigkeitsgesetzes in der bulgarischen Besatzungszone protestierte (109). Mit seinem "Aufruf an das griechische Volk, betreffend den kommunistischen Aufruhr" vom 30. Januar 1943 wies er zudem auf den kommunistischen und "unpatriotischen" Charakter der Partisanenbewegung hin (123f.). Somit bereitete er den Boden für den offiziellen Beginn des antikommunistischen Kampfes seitens der Regierung Rallis und der von ihr gegründeten "Sicherheitsbataillone". Seine wohl bedeutendste Amtshandlung war der - erfolgslose - schriftliche Protest bei den deutschen Besatzungsbehörden gegen die Deportation der Juden aus Saloniki im März 1943 (113-115).
Im letzten Kapitel tritt Logothetopoulos der Kollaborationsanklage des Athener Sondergerichts entgegen. Den Prozess gegen die Mitglieder der Regierungen der Besatzungszeit versteht er als die "Nachahmung eines Prozesses ähnlich den in den kommunistischen Ländern stattfindenden, mit einem im Voraus gefassten Beschluss" (143). Gemessen an heutigen Maßstäben war der Prozess sicherlich nicht ganz gerecht. Es war von vornherein klar, dass das Urteil zuungunsten der Angeklagten ausfallen würde. Auf der anderen Seite scheint Logothetopoulos die Tragweite seiner Kollaborationstätigkeit nicht erkannt zu haben.
Um die "positive Bilanz" seiner Regierungszeit zu unterstreichen, greift Logothetopoulos auch auf die - aktuell brisante - Frage der so genannten Besatzungsanleihe zurück. Seine Ausführungen darüber liefern ein ganz anderes Bild über die finanzielle Schuld der deutschen und italienischen Okkupationsmacht: "Ein Großteil dieser Auslagen [9,097,000 Goldpfund]", so urteilt Logothetopoulos, "wurde für die gleichzeitigen griechischen Bedürfnisse ausgegeben, wie für Straßenbau, für die Ausbesserung und den Bau von Kasernen, Gebäuden usw., die letzten Endes dem Griechischen Staate zugute kamen" (153).
Fazit: Die Erinnerungen von Elisabeth und Konstantinos Logothetopoulos vermitteln ein Bild der Besatzungszeit in Griechenland aus der Sicht einer kleinen (privilegierten) Bildungselite des Kollaborationslagers. Beide Texte sind unterschiedlich angelegt: Elisabeth berichtet vorwiegend über die Situation der Familie, ohne Publikationsziele zu verfolgen; Konstantinos stellt seine politische Tätigkeit in den Vordergrund, in der Absicht, seine Zusammenarbeit mit der deutschen Okkupationsmacht in ein besseres Licht zu rücken. Beide Texte ergänzen einander und liefern - trotz oder gerade wegen ihrer unterschiedlichen Zielsetzung - ein wertvolles Zeugnis jener konfliktreichen Epoche. Zugleich machen sie die Motive und die Dilemmata - politische wie moralische - der Wortführer der Kollaboration deutlich. Letztlich zeigen sie, warum ein Teil des traditionell deutschfreundlich gesinnten Athener Bürgertums auf der Seite des 'Dritten Reichs' stand.
Anmerkung:
[1] Thetis. Mannheimer Beiträge zur Klassischen Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns, hgg. von Reinhard Stupperich und Heinz A. Richter.
Vaios Kalogrias