Greti Dinkova-Bruun / James Hankins / Robert A. Kaster (eds.): Catalogus Translationum et Commentariorum. Mediaeval and Renaissance Latin Translations and Commentaries. Annotated Lists and Guides. Vol. X, Toronto: Pontifical Institute of Mediaeval Studies 2014, XXXVI + 401 S., ISBN 978-0-88844-950-4, USD 95,00
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1945 wurde ein Forschungsprojekt auf den Weg gebracht, das wesentlich auf Forschungsinteressen Paul Oskar Kristellers (1905-1999) beruhte und von diesem während langer Zeit geleitet und entscheidend gefördert wurde. Ziel war es, die Rezeption der antiken griechischen und lateinischen Schriftsteller anhand ihrer Kommentierung und Übersetzungen bis etwa 1600 umfassend zu ermitteln. Der Catalogus translationum et commentariorum erscheint nun seit 1960 in unregelmäßigen Abständen. In dem vorliegenden zehnten Band werden fünf antike Autoren untersucht. Die Zusammenstellung des Bandes gehorcht einem Prinzip, das von der Reihenherausgeberin Greti Dinkova-Bruun ebenso nüchtern wie prägnant beschrieben wird: "The articles in Volume 10 have not been selected to illustrate any particular theme, but are simply the first contributions completed after Volume 9 went to press in 2011". (IX)
Durch diese vollkommen zufällige Zusammenstellung enthält der Band Studien zu Autoren, die zeitlich und inhaltlich weit auseinanderliegen und auch in Mittelalter und Renaissance eine vollkommen unterschiedliche Popularität genossen. Die Lektüre des ganzen Bandes wird also die seltenste Form der Rezeption sein. Die Einzelstudien haben einen einheitlichen Aufbau: Auf eine Skizze zum Nachleben des Autors ("Fortuna") folgt eine Bibliographie zur Rezeptionsgeschichte, darauf eine Präsentation der vor 1600 entstandenen Übersetzungen (bei griechischen Werken meist ins Lateinische, aber auch in Volkssprachen), dann der Kommentare. Hier werden dann die Entstehungsumstände, soweit bekannt, umrissen. Ausführliche Zitate aus den Vorreden helfen bei der Einordnung einzelner Ausgaben. In einem Zeitalter des Medienwechsels ist es bemerkenswert, dass für die Ausgaben des 16. Jahrhunderts in einem 2014 erschienenen Hilfsmittel auf Papier oft auf Digitalisate bei Google Books hingewiesen wird. Bei Autoren, die mehrere Werke hinterlassen haben, werden Übersetzungen und Kommentare jeweils nach einzelnen Werken abgehandelt. Die Bibliographien hingegen werden alphabetisch als Fließtext präsentiert und sind damit optisch und inhaltlich nur schwer erschließbar.
Der längste Beitrag ist Pindar gewidmet (Francesco Tissoni, 1-125). Der griechische Dichter wird schon bei Herodot erwähnt und von Aristophanes parodiert. Sein Ruhm brachte Hieronymus dazu, ihn mit David und seine Dichtungen mit den Psalmen in Verbindung zu bringen, ein Parallelismus, der in der Reformation von Zwingli (ohne Nennung des Hieronymus) übernommen, von Melanchthon hingegen zurückgewiesen wurde. Die Empfehlung Zwinglis, der an der Basler Ausgabe 1526 mitwirkte, führte mittelbar dazu, dass die Epicinia Pindars in protestantischen Regionen Schullektüre wurden. Tissonis Beitrag zählt 17 Übersetzungen vor 1600 auf. Gänzlich anders liegt der Fall beim griechischen Militärschriftsteller Aelianus Tacticus (Silvia Fiaschi, 127-163). Dessen nicht sehr umfangreiche Tactica theoria in 55 Kapiteln, die er Kaiser Trajan widmete, wurde in der Untersuchungszeit viermal übersetzt und meist gemeinsam mit anderen Autoren wie Vegetius und Frontinus gedruckt. Bis ins 15. Jahrhundert war dieser Autor im lateinischen Westen unbekannt, dann aber beeinflusste er, nachdem Übersetzungen angefertigt worden waren, unter anderem Machiavelli in Dell'arte della guerra (1521). Der erste Druck des griechischen Originals ist hingegen erst 1552 erschienen.
Wieder anders verlief die Rezeption des Musaeus (Paolo Eleuteri, 165-238). Dessen 343 Hexameter umfassende Dichtung Hero und Leander wurde längere Zeit auch Nonnos von Panopolis zugeschrieben. Erstmalig wird das Werk um 500 bei Colluthus fassbar. Der Stoff als solcher war über Ovid (Heroides 18 und 19) und den spätantiken Mythographen Fulgentius im Mittelalter gut bekannt und wurde von Baudri von Bourgueil, Petrus von Blois, Wilhelm von Tyrus und anderen verarbeitet. Die einzige Übersetzung des Musaeus in eine Volkssprache vor 1600 stammt von Clément Marot (1541), und 1656 widmete Paul Scarron dem bekannten Nicolas Fouquet, dem Surintendant des finances Ludwigs XIV., eine Parodie. Die Ausgaben sind angesichts des geringen Umfangs Sammlungen unterschiedlicher Anlage. Lateinische Übersetzungen sind recht zahlreich (elf werden verzeichnet), und der Stoff wurde auch in der Neuzeit noch oft behandelt. Agathias, ein Dichter des 6. Jahrhunderts aus Konstantinopel (Réka Forrai, 239-272), hat eine unvollendete Fortsetzung des Geschichtswerkes des Prokop hinterlassen, die im Mittelalter im Westen unbekannt war. Berühmt war er für seine Epigramme, die meist im Rahmen der Anthologia graeca überliefert sind, als deren Herausgeber er lange Zeit fälschlich galt. Dies führt zu einer Fülle von Ausgaben und Übersetzungen (nicht weniger als 29), die meist aber nur den in der Anthologie enthaltenen Teil seiner Werke tradieren.
Der einzige lateinische Autor, der in diesem Band untersucht wird, ist Aulus Gellius (Leofranc Holford-Strevens, 273-329). Dessen Noctes Atticae aus dem 2. Jahrhundert waren Ammianus Marcellinus, Priscian und wohl auch Gregor von Tours bekannt. Im Mittelalter nannte man ihn meist "Agellius" und schätzte ihn durchaus (Lupus von Ferrières bat Einhard um eine Handschrift), aber viele Testimonien (Johannes von Salisbury, Helinand von Froidmont, Giraldus Cambrensis) gehen wohl auf die Benutzung von Florilegien zurück. Dieser Beitrag verzeichnet auch neuzeitliche Übersetzungen in die Volkssprachen nach 1600.
Der Band enthält noch 60 Seiten Nachträge zu Autoren, die in früheren Bänden bereits behandelt wurden (von Ada Palmer zu Lucretius, 331-356, von Didier Marcotte zu Dionysius Periegetes, 357-373, und von Patricia J. Osmund und Robert W. Ulery Jr zu Sallust, 375-391). Wenig verwundert, dass insbesondere zu Lukrez und Sallust jährlich eine Fülle von Studien erscheint, die hier jeweils nachgetragen werden. Auch in früheren Bänden gab es bereits Nachträge, so dass zum Beispiel Martianus Capella in Band 2, 3 und 6 der Reihe behandelt wird; da dieser sechste Band 1986 erschienen ist, wäre eine Aufarbeitung der umfangreichen Forschungen zu Martianus Capella und seiner Rezeption mittels Übersetzungen und Kommentaren in den vergangenen 30 Jahren angezeigt, und so kann dieses Unternehmen konsequenterweise niemals abgeschlossen sein und eigentlich nur immer unübersichtlicher werden. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob dieses Unternehmen in Buchform noch in unsere Zeit passt, zumal die Bände keine innere Kohärenz aufweisen (s.o.). Glücklicherweise werden im Internet PDF-Dateien der bisherigen Abhandlungen und Nachträge bereitgestellt, und eine direkte Suche nach Autoren, Handschriften etc. ist möglich. [1] Zudem sind viele frühe Drucke inzwischen glücklicherweise als Digitalisate weltweit abrufbar, so dass die langen Zitate aus den Vorreden der alten Ausgaben ohne Zweifel sehr verdienstvoll und im Einzelfall auch praktisch sind, aber die Notwendigkeit dieser Vorgehensweise doch zunehmend fraglich werden dürfte. Eine Überführung in die Form einer durchsuchbaren Datenbank brächte nicht nur Modernität um der Modernität willen, sondern einen tatsächlichen Gewinn an Benutzbarkeit. Schade wäre daran allenfalls, dass man fortan auf diese gut eingebundenen und ansehnlichen Bände im Bücherschrank verzichten müsste. Dies ist jedoch keine Kritik am Unternehmen als solchem, das mit hohem Aufwand wertvolle Grundlagenforschung bietet. Ad multos annos!
Anmerkung:
[1] http://catalogustranslationum.org/index.php/archives (Zugriff am 22.6.2016).
Julian Führer