Lothar Höbelt (Hg.): Aufstieg und Fall des VdU. Briefe und Protokolle aus privaten Nachlässen 1948-1955 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg; Bd. 50), Wien: Böhlau 2015, 346 S., ISBN 978-3-205-79634-3, EUR 49,00
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Schon bald nach 1945 gab es Bemühungen von ehemaligen Nationalsozialisten in Österreich, sich in Form einer "Vierten Partei" wieder politisch zu organisieren. Der erfolgreichste Versuch war die Gründung des "Verbandes der Unabhängigen" (VdU) durch die Journalisten Herbert Kraus und Viktor Reimann im Jahr 1949, der sich bewusst als "Wahlverband" und nicht als von den Alliierten genehmigte "Lizenzpartei" konstituierte. Der VdU sah seine Hauptaufgabe darin, ein politisches Gegengewicht zu den dominanten Großparteien ÖVP und SPÖ zu sein und vor allem als Sammelbecken für politisch heimatlos gewordene ehemalige Nationalsozialisten zu fungieren. Bei der Wahl im Oktober 1949 erzielte der VdU 11,6 Prozent und war mit 16 Abgeordneten im Nationalrat vertreten. Damit hatte der Kampf gegen die Entnazifizierung und für die vollständige Rehabilitierung der ehemaligen Nationalsozialisten auch Eingang in das Parlament gefunden. Schon bald kam es in der heterogen angelegten neuen Partei zu Dauerkrisen und Richtungsstreitigkeiten, die 1955/1956 letztendlich zur Auflösung des VdU und zur Gründung der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) führten.
Diesen "Aufstieg und Fall des VdU" zeichnet der Wiener Historiker Lothar Höbelt in dem von ihm herausgegebenen gleichnamigen Buch anhand von edierten Briefen und Protokollen aus privaten Nachlässen 1948 bis 1955 nach. Die Geschichte des VdU als Vorläuferpartei der FPÖ ist bisher noch kaum kritisch aufgearbeitet, die bisherigen Arbeiten dazu stammen hauptsächlich aus dem Umfeld der FPÖ, dem auch der Herausgeber politisch zuzuordnen ist. Höbelt möchte mit dieser Edition nachträglich das "Rohmaterial" (8) für seine bereits 1999 erschienene Monographie über die Geschichte des VdU nachliefern. [1] Die Geschichte des VdU selbst soll nicht erneut nacherzählt werden, was sich für die Lektüre allerdings als Nachteil erweist. Denn das Material enthält eine Fülle von Namen, Hinweisen und Andeutungen, die selbst für historisch Eingeweihte ohne Kenntnis des spezifischen Kontextes kaum verständlich sind und einer Einordnung und Analyse dringend bedurft hätten. Der Herausgeber bietet zu den jeweiligen Kapiteln allerdings nur knappe Einführungen. Das edierte Quellenmaterial basiert auf privaten Nachlässen aus verschiedenen österreichischen Archiven und umfasst Beschlussprotokolle, Gesprächsnotizen, Gedächtnisprotokolle und Korrespondenzen vieler beteiligter Akteure im Umfeld des VdU bzw. der sich Mitte der 1950er Jahre formierenden FPÖ.
Das Buch ist in drei große zeitliche Abschnitte gegliedert: Nach einem kurzen Einstieg zur Vorgeschichte des VdU 1948/49, der sich hauptsächlich auf den Nachlass des Landbund-Politikers Karl Hartleb (Steiermärkisches Landesarchiv) stützt, beschäftigt sich der erste Hauptteil mit der Gründung und Frühgeschichte des VdU. Diese soll anhand einer Fülle von parteiinternen Protokollen von Vorstandssitzungen und Bundesverbandleitungen (basierend auf der Sammlung Bitschnau im Tiroler Landesmuseum und Notizen von Gustaf Zeillinger im Stadtarchiv Salzburg) veranschaulicht werden. Vom Parteigründer Herbert Kraus werden nur einige Briefe aus dem VdU-Archiv zitiert - seine retrospektive Sicht der Dinge muss mangels eines Nachlasses aus seiner 1988 erschienenen Autobiographie entnommen werden. [2] Die Edition ausgewählter Dokumente aus dem sogenannten "VdU-Archiv" im Stadtarchiv Salzburg ist insofern begrüßenswert, da eine Einsichtnahme dieser Quellen nur mit Genehmigung der FPÖ Salzburg möglich ist, die bisheriger Erfahrung nach allerdings nur ausgewählten ForscherInnen erteilt wird.
Der zweite Teil der Edition widmet sich sehr ausführlich den 1953 stattfindenden, letztendlich gescheiterten Parteienverhandlungen über eine mögliche Koalition zwischen ÖVP und VdU auf Bundesebene (von denen allerdings keine direkten Quellen vorhanden sind) sowie diversen Verhandlungen auf Länderebene am Beispiel von Kärnten (NL Hartleb) und Salzburg (NL Zeillinger).
Wesentlich interessanter ist der dritte und umfangreichste Teil, in dem der "Fall des VdU" im Zentrum steht. Spätestens ab den Wahlniederlagen von 1953 und 1954 begannen die mittlerweile "entnazifizierten" ehemaligen Nationalsozialisten inner- und außerhalb der Partei verstärkt gegen die als zu "liberal" geltende Parteiführung zu opponieren. Höbelt zeichnet anhand ausgewählter Dokumente die Formierung des nationalen Lagers um den ehemaligen prominenten NS-Funktionär Anton Reinthaller nach, der als Galionsfigur der mittlerweile zunehmend selbstbewusst auftretenden "Ehemaligen" fungierte. Alle Versuche einer Einigung einer sogenannten "Dritten Kraft" scheiterten letztendlich, was dazu führte, dass einzelne VdU-Landesverbände zur neu gegründeten Freiheitspartei von Anton Reinthaller überliefen. Im April 1956 wurde schließlich die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) offiziell gegründet und der VdU zeitgleich aufgelöst.
Diese komplexe und oft schwer durchschaubare Entwicklung wird auf der Basis von Dokumenten des umfangreichen Nachlasses Reinthaller (der im Oberösterreichischen Landesarchiv bisher noch ungeordnet, aber bereits einsehbar ist) aufgezeigt. Die Auswahl der Dokumente erfolgt aber leider teilweise recht willkürlich, lückenhaft und oft gekürzt. So bleiben viele interessante Aspekte ausgeklammert und - sofern in die Edition aufgenommen - unkommentiert. Dabei bietet gerade das Material im Nachlass Reinthaller einen exzellenten Einblick in den sonst schwer zugänglichen Binnendiskurs: So werden dort wiederholt Fragen der Inklusion und Exklusion von gesinnungstreuen "Ehemaligen" diskutiert und es finden sich auch antisemitische Aussagen, die auf ideologische Kontinuitäten und einem "double speak" in diesem Milieu schließen lassen. Doch solche hochbrisanten Fragen bleiben in der Edition völlig ausgeklammert und liegen offenbar außerhalb des Erkenntnisinteresses des Herausgebers.
Kritisch anzumerken ist auch, dass eine Zuordnung der abgedruckten Dokumente zu den jeweiligen Archivbeständen durch eine mangelhafte Zitierung oft unmöglich ist, sowie eine allzu saloppe Wortwahl, wie beispielsweise die Formulierung "flotter Dreier" (10) für eine angedachte Koalition der drei Parteien in den 1950er Jahren und ein Hang zu Verharmlosungen, etwa wenn der FPÖ-Generalsekretär Gordon Gollob als "charismatisch" charakterisiert wird (8), ohne Hinweis darauf, dass der gefeierte NS-Kampfflieger nach 1945 wegen "neonazistischer Aktivitäten" auffiel und (kurzfristig) aus dem VdU ausgeschlossen wurde.
Trotz aller editorischen Ungenauigkeiten, methodischen Mängel und des Fehlens eines analytischen Zugangs bietet die Edition zumindest einen ersten Einblick in bisher nicht uneingeschränkt zugängliches Archivmaterial. Sie legt damit die Basis für eine weitergehende kritische Untersuchung der (Früh-)Geschichte des VdU und der FPÖ, die auch als Kontinuitäts- und Anpassungsgeschichte ehemaliger Nationalsozialisten in die österreichische Nachkriegsgesellschaft zu verstehen und als solche noch zu erforschen ist. [3]
Anmerkungen:
[1] Lothar Höbelt: Von der vierten Partei zur dritten Kraft. Die Geschichte des VdU, Graz 1999.
[2] Herbert Kraus: Untragbare Objektivität. Politische Erinnerungen 1917 bis 1987, Wien / München 1988.
[3] Vgl. dazu das derzeit laufende FWF-Forschungsprojekt: Antisemitismus nach der Shoah. Ideologische Kontinuitäten und politische Umorientierung im "Ehemaligen"-Milieu in Österreich (1945-1960) (http://homepage.univie.ac.at/margit.reiter/)
Margit Reiter