Pascal Warnking: Der römische Seehandel in seiner Blütezeit. Rahmenbedingungen, Seerouten, Wirtschaftlichkeit (= Pharos. Studien zur griechisch-römischen Antike; Bd. 36), Rahden/Westf.: Verlag Marie Leidorf 2015, 421 S., 25 s/w-Abb., ISBN 978-3-86757-264-4, EUR 45,80
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Obgleich die Wirtschaftsgeschichte der griechischen und römischen Antike im Allgemeinen sowie diejenige der römischen Kaiserzeit im Speziellen sich gegenwärtig einer intensiven Aufmerksamkeit der Forschung gewiss sein können, sind der Seehandel und die nautischen Voraussetzungen desselben sowie seine oftmals betonte, aber nie eindringlich analysierte Wirtschaftlichkeit bislang nicht Gegenstand einschlägiger Bemühungen geworden. [1] Genau diese Lücke der Forschung steht im Mittelpunkt des Interesses der Arbeit von Warnking, der sich den besagten Analysegegenständen auf äußerst innovative Art und Weise nähert.
Bevor sich Warnking freilich den Kernanliegen seiner Arbeit widmet, betrachtet er in seinem ersten Kapitel nach einer Darlegung und Entwicklung der Fragestellung (11-17) die für die Analyse seiner Fragestellungen zur Verfügung stehenden Quellen näher (18-26) und liefert einen Abriss der Forschungsgeschichte auf dem Feld der antiken bzw. insbesondere römischen Wirtschaftsgeschichte (26-35). Dabei unterstreicht er gleich das Hauptziel seiner Untersuchung: "In dieser Arbeit wird eine Methode vorgestellt, die es ermöglicht, wichtige und konkrete Aussagen darüber zu treffen, wie römische Seehändler kalkuliert haben. Die Faktoren, die die Gewinne, also die Profitabilität, am stärksten beeinflussten, werden bestimmt." (11). Weiters unterstreicht Warnking die Wichtigkeit, hinsichtlich der Ergebnisse seiner Untersuchung und der vorgestellten Methode zu differenzieren. Mag man also auch bei einzelnen Ergebnissen divergierende Auffassungen haben, so wird die Wertigkeit der Methode dadurch nicht in Frage gestellt (13).
Das zweite, umfängliche Kapitel der Monographie ist den Rahmenbedingungen des Seehandels in der Kaiserzeit gewidmet. Hier werden Aussagen zum politischen, volkswirtschaftlichen und rechtlichen Rahmen sowie klimatischen und geographischen Gegebenheiten, Beschaffungsmärkten für die Seehändler, der Infrastruktur, Verfügbarkeit von Kapital, den am Handel beteiligten Personen, der Konkurrenz derselben untereinander und schließlich zu Schiffbau und Nautik gemacht (39-173).
Bewegt sich Warnking hier noch in den Bahnen der Üblichkeiten althistorischen Schaffens - obgleich er auch bisweilen innovative Zugänge wählt, wie etwa die Anwendung des Index of Economic Freedom auf die Gegebenheiten der reichsrömischen Wirtschaft (123-126) -, geht er in dem schlicht 'Seerouten' betitelten Kapitel gänzlich neue Wege (174-284). Dabei betont er zunächst die besondere Wichtigkeit der benutzten Routen im Kontext jeglicher Betrachtung der Wirtschaftlichkeit des Seehandels, haben dieselben doch maßgeblichen Einfluss auf die Planbarkeit des Handels auf eine längere zeitliche Distanz und hat die Dauer einer Reise doch einen maßgeblichen Einfluss auf die Kosten einer Seereise und damit die Wirtschaftlichkeit der Fahrt (174). Nach einigen Ausführungen zum Forschungsstand bezüglich der Seerouten (174-182), in denen sich Warnking auch und insbesondere kritisch mit dem von Walter Scheidel und Eliah Meeks entwickelten, überaus nützlichen Informationssystem ORBIS (http://orbis.stanford.edu) auseinandersetzt (178-182), legt er nun seinen eigenen Ansatz dar, um die antiken Routen zu eruieren und die Fahrtdauer zwischen verschiedenen Örtlichkeiten unter unterschiedlichen Bedingungen betrachten zu können (182-203). Eine größere Datendichte und damit Verlässlichkeit seiner Methode erreicht er durch die Verwendung eines feinen Netzes von Winddaten, die Verwendung von Wetterdaten, die im Mittelmeer von der National Oceanic and Atmospheric Administration im Abstand von jeweils sechs Stunden aufgezeichnet wurden, den Einsatz einer speziellen Software für die dynamische Berechnung der Routen namens Expedition, die ursprünglich für Hochseeregatten entwickelt worden ist, und durch die Zugrundelegung von Daten der Segeleigenschaften antiker Schiffe, die einerseits auf heute noch existenten Rahseglern wie der Gorch Fock und andererseits auf Testfahrten von Nachbauten antiker Schiffe gewonnen wurden. Mit Hilfe dieser Software wurden Fahrtzeiten für Strecken im westlichen und östlichen Mittelmeer errechnet. Dabei beschränkt sich Warnking nachvollziehbarerweise auf 28 Seerouten, waren doch für deren Analyse alleine mehr als 10.000 Routenberechnungen durch die Software nötig (201). Will sagen, durch die Software wurden für jeden Abfahrtspunkt zwei Abfahrten um 06.00 Uhr und um 18.00 Uhr an 183 Tagen simuliert, insgesamt also 366 Berechnungen für jede Route. Diese Berechnungen haben die schnellste Zeit, die realistische Zeit (als 1. Quartil bezeichnet), den Mittelwert, den Median (als 2. Quartil bezeichnet), die Standardabweichung sowie schließlich die Zeit, die man unter nicht außergewöhnlich widrigen Bedingungen als vorsichtig kalkulierender Kaufmann ansetzen konnte (als 3. Quartil bezeichnet), zum Ergebnis (202-203). Im Folgenden liefert Warnking dann die Daten für die besagten 28 Seerouten nebst Erläuterungen zu diesen Ergebnissen (203-284).
Die so gewonnenen Ergebnisse versetzen ihn nun in die Lage, die Wirtschaftlichkeit der Handelsschifffahrt näher in den Griff zu nehmen (285-380). Derselben nähert er sich durch die Entwicklung einer Gewinn- und Verlustrechnung für den römischen Seehandel anhand des Beispiels der Route von Puteoli nach Alexandria und zurück, die er auf der Basis diverser Grundannahmen hinsichtlich von Zahl der Fahrten, Menge und Art der Handelsware (in diesem Fall 10.000 modii Weizen), Verkaufs- und Einkaufspreis, Umsatz, Wareneinsatz, Rohertrag und sonstigen Einnahmen aufstellt. Hinzu treten die aus dem vorhergehenden Kapitel gewonnene Reisezeit, Kapitalkosten, Lagerkosten, Mannschaft und Entlohnung derselben, ihre Verpflegung, Sonderausgaben, die Kosten für Be- und Entladung, die Anschaffungskosten für das Schiff, die Unterhaltskosten für dasselbe, die Abschreibungsdauer, die sonstigen Kosten und der Schwund sowie schließlich die Zahlung von Zöllen (292-312). Nach einer Betrachtung der Sensivitäten seiner Rechnung - will sagen, der Veränderung einzelner Annahmen - und der einzelnen Positionen kommt Warnking dann zu dem Schluss (312-343), dass die Marge aus dem Verkauf der Waren und die Dauer der Seereise die wichtigsten Punkte waren, die die Profitabilität des Seehandels beeinflussten (343). Es folgen Ausführungen zu möglichen Strategien der Gewinnsteigerung für römische Seehändler (343-377). Das Spektrum der hier behandelten Punkte reicht von der Wahl der Handelsware und Skaleneffekten bis hin zu schiffsbautechnischen Details. Wiederum unterstreicht Warnking die hohe Bedeutung der Dauer der Seefahrt und damit diejenige der Direktrouten (361-363).
Warnking hat mit seiner Arbeit ein bestechendes, überzeugendes Modell entwickelt, das die Betrachtung und Analyse des römischen Seehandels auf eine neue Basis stellen wird bzw. stellt. Dabei beeindrucken sowohl die Nutzung neuer Technologien als auch die Kompetenz des Verfassers auf wirtschaftlichem Gebiet sowie seine Kenntnisse auf dem Areal der Nautik. All' dies trägt dazu bei, dass die hier angezeigte Arbeit ohne Zweifel ein Referenzpunkt zukünftiger Forschung auf dem Themenfeld des römischen Seehandels ein wird. Ihre Lektüre wird für alle, die sich mit der reichsrömischen, kaiserzeitlichen Wirtschaft beschäftigen, jedenfalls ein Gewinn sein.
Anmerkung:
[1] Zu diesen Themenkomplexen vgl. immer noch die klassischen Studien von J. Rougé: Recherches sur l'organisation du commerce maritime en Mediterranée sous l'empire romain, Paris 1966; L. De Salvo: Economia privata e servizi pubblici nell'Impero Romano. I corpora naviculariorum, Messina 1992 (Kleio; 5).
Kai Ruffing