Andrew Wilson / Alan Bowman (eds.): Trade, Commerce, and the State in the Roman World (= Oxford Studies on the Roman Economy), Oxford: Oxford University Press 2018, XXII + 656 S., 94 s/w-Abb., 14 Tabl., ISBN 978-0-19-879066-2, GBP 110,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Filippo Carlà / Maja Gori (eds.): Gift Giving andf the 'Embedded' Economy in the Ancient World, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2014
Zofia H. Archibald / John K. Davies / Vincent Gabrielsen (eds.): Making, Moving and Managing. The New World of Ancient Economies, 323-31BC, Oxford: Oxbow Books 2005
Federico De Romanis: The Indo-Roman Pepper Trade and the Muziris Papyrus, Oxford: Oxford University Press 2020
Andrew Wilson / Miko Flohr (eds.): Urban Craftsmen and Traders in the Roman World, Oxford: Oxford University Press 2016
Alan Bowman / Charles Crowther (eds.): The Epigraphy of Ptolemaic Egypt, Oxford: Oxford University Press 2020
Alan Bowman / Andrew Wilson (eds.): Settlement, Urbanization, and Population, Oxford: Oxford University Press 2011
Mit dem hier anzuzeigenden Sammelband legen Andrew Wilson und Alan Bowman den fünften Band vor, der die Ergebnisse einer Tagung im Rahmen des 'Oxford Roman Economic Project' ( http://www.romaneconomy.ox.ac.uk/) beinhaltet. Nachdem die ersten vier Bände thematisch der Möglichkeit der Anwendung quantifizierender Zugänge in der Wirtschaftsgeschichte der römischen Welt, dann der Siedlungsgeschichte, Urbanisierung und Demographie, ferner der Landwirtschaft und schließlich Handwerkern und Händlern gewidmet waren [1], ist hier nun das Wechselverhältnis von Staat und Handel im Zentrum des Interesses.
Auf eine von den beiden Herausgebern verfasste, profunde Einleitung in die Thematik, in der der Gegenstand der Bandes in der Forschungsgeschichte und der aktuellen Forschung positioniert wird (1-24), folgen die in drei größeren Themenbereichen angeordneten einzelnen Beiträge. Der erste Teil ist den staatlichen Institutionen gewidmet (27-208) und umfasst fünf Aufsätze, die sich mit dem Steuerwesen (A. Bowman), dem Bereich Recht und Wirtschaft (B. Sirks), dem Finanzsektor in der späten Republik (Ph. Kay) [2], der Marktregulierung (E. Lo Cascio) und dem Transportwesen auf dem Nil (C. Adams) beschäftigen. Der zweite Teil behandelt den Handel innerhalb des Römischen Reiches (211-440) und beinhaltet acht Beiträge zum Handel mit verschiedenen Materialgruppen. Im Einzelnen werden Holz (W.V. Harris), Stein (B. Russel) [3], Glas (B. Foy), Terra Sigillata (M. Fulford), Afrikanische Keramik (M. Bonifay) sowie Textilien und ihre Preise im Spiegel der Lederanhänger aus Siscia (I. Radman-Livaja) behandelt. Darüber hinaus finden sich hier Aufsätze, die Versorgungsnetzwerke im Osten und Westen vor dem Hintergrund der Entstehung der byzantinischen Wirtschaft (P. Reynolds) und die Ex- und Importe in die Mauretania Tingitana behandeln (E. Papi). Im dritten Teil steht der Handel außerhalb des Imperium Romanum im Fokus der insgesamt fünf Aufsätze (443-624), so die Seidenstraße zwischen dem Römischen Reich und China (D. Graf) [4], die Rolle Ägyptens im Osthandel (R. Tomber), die Rolle von Geld und Münzen in demselben (D. Nappo), der Hafen von Qana' (B. Davidde) sowie schließlich der Sahara-Handel (A. Wilson).
Wie die beiden Herausgeber in ihrer Einleitung hervorheben, ist es ein zentrales Anliegen der Sammelbandes, die in der früheren, teilweise auch der heutigen Forschung mit Zurückhaltung betrachteten Rolle des Handels in der römischen Wirtschaft und seine Bedeutung für die Entwicklung des Imperium Romanum zu betonen, und zwar auch und gerade vor dem Hintergrund des insbesondere archäologisch nachweisbaren steigenden Volumen des Handels in Hellenismus und Kaiserzeit (2-6). Im Gegensatz zu der älteren Forschung unterstreichen Wilson und Bowman die Wichtigkeit eines funktionierenden Handels für die Funktion des römischen Staates einerseits und die bedeutende Rolle des Staates für dieselbe des Handels andererseits, wenn man etwa nur an die rechtlichen Rahmenbedingungen oder Schaffung und Instandhaltung notwendiger Infrastrukturen denkt (7). Eine einheitliche Charakterisierung der staatlichen Haltung etwa als dirigistisch, abschöpfend ('predatory') oder dem laissez-faire verhaftet wird von ihnen abgelehnt, da sie eine Mischung aus den drei genannten Charakterisierungen als gegeben ansehen (8). Darüber hinaus nehmen die Herausgeber auch eine Neubewertung des Ost- und Südhandels vor, indem sie in ihm entgegen der üblichen Auffassung, derselbe sei in Bezug auf den gesamten römischen Handel vernachlässigenswert, ganz im Gegenteil einen fundamentalen Teil des römischen Handelssystems sehen, und zwar sowohl in Hinsicht auf seinen Umfang als auch in Bezug auf die Höhe der aus ihm geschöpften staatlichen Einkünfte (13). Mit anderen Worten: Auch wenn sich die Neubewertung der Rolle des Handels in der römischen Wirtschaft schon in der Forschung des letzten Dezenniums andeutete und immer weiter konkretisiert wurde, wird diese Betonung der Wichtigkeit des Handels auch und gerade für die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des römischen Staatswesen hier nun explizit ausgeführt und durch eine umfangreiche, quantifizierende Materialvorlage ergänzt.
Es fällt schwer, aus der Gesamtheit der Beiträge einzelne herauszugreifen und näher zu betrachten, verdiente doch nahezu jeder eine ausführlichere Würdigung. So ist die nachfolgende Auswahl auch allein der Vorliebe des Rezensenten geschuldet. Fundamental sind Alain Bowmans Darlegungen zum Steuerwesen (The State and the Economy. Fiscality and Taxation, 27-52). Bowman beginnt seinen Beitrag mit der Feststellung, dass eine scharfe Trennung zwischen einem Agrar- und einem Handelssektor nicht zielführend ist, da jede Ökonomie, die über den Subsistenzlevel hinausgeht, auf den Zugang zu Märkten angewiesen ist (27) und der römische Staat durch die Währung, das Steuerwesen und die Regulierung von Märkten Einfluss auf wirtschaftliches Verhalten und die wirtschaftliche Performanz nehmen konnte (29). Nach einer Diskussion der in der Forschung bislang entwickelten Vorstellungen zum Steuersystem - auch und gerade vor dem Hintergrund des bekannten 'Taxes and Trade'-Modells - und zur Höhe der Gesamteinnahmen, betont Bowman die Unvollständigkeit der der von Keith Hopkins und Richard Duncan-Jones entwickelten Modelle, da sie die Requisitionen für das Militär und die verpflichtenden öffentlichen Leistungen in Form von Geld und Diensten (munera patrimonialia, munera personalia) nicht in genügender Form miteinbeziehen (36). Anschließend diskutiert Bowman den Einfluss der indirekten Steuern auf die Höhe der kaiserlichen Einnahmen, um im Anschluss seine Aufmerksamkeit den von den Städten erhobenen Zöllen und Gefällen zuzuwenden. Bowman kommt insgesamt zu dem Schluss, dass die römische Wirtschaft nicht als eine Niedrig-Steuer-Ökonomie beschrieben werden kann (41), womit er eine der wesentlichen Grundannahmen des 'Taxes and Trade'-Modells von Keith Hopkins widerlegt. Auch B. unterstreicht freilich den positiven Einfluss der Besteuerung auf den Handel. Im Gegensatz zur bisherigen Forschung, die von einer fiskalischen Belastung von durchschnittlich 10% ausgeht, nimmt Bowman eine Steuerlast von bis zu 20% an, die er nicht wörtlich verstanden wissen will und als eine theoretische Obergrenze betrachtet (42), während er eine steuerliche Belastung von weniger als 15% für schlicht unrealistisch hält (47).
Besonderes Interesse dürfen darüber hinaus der Beitrag von Boudewijn Sirks, der nichts weniger als eine profunde Einführung in römisches Recht in seiner Beziehung zur Wirtschaft liefert (Law, Commerce, and Finance in the Roman Empire, 53-115), und der Artikel von David F. Graf beanspruchen, der einen quellengesättigten Überblick über den Stand der Forschung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Rom und China auf der Seidenstraße sowie die verschiedenen Mittelsleute gibt und dabei auch die Geschichte der Entstehung des Han-Reiches betrachtet (The Silk Road between Syria and China, 443-529).
Wie die bereits publizierten Bände des Oxford Roman Economy Project, so ist auch dieser Sammelband als ein wesentlicher Fortschritt der Forschung zu betrachten, die hier weitestgehend auf höchstem Niveau angestellt worden ist. Mehr noch: Mit diesem Band ist eine gänzliche Neubewertung des Handels und seiner Bedeutung für das Römische Reich vorgenommen worden, die eine letztlich seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts herrschende Auffassung der Forschung ablöst. Setzt man die Erträge dieses Bandes in Beziehung mit den Ergebnissen der Arbeit von Alain Bresson, der den Handel und folglich den Markt gleichfalls als ein wesentliches, wirtschaftliches Wachstum ermöglichendes Charakteristikum der griechischen Polis-Welt nachgewiesen hat [5], so erscheint es an der Zeit, in der künftigen Forschung eine Neubewertung der Bedeutung des Handels in der antiken Welt insgesamt vorzunehmen. Hierzu wie auch zur weiteren Erforschung der römischen Wirtschaftsgeschichte haben die Beiträger und Herausgeber eine wesentliche Grundlage geschaffen. [6]
Anmerkungen:
[1] A. Bowman / A. Wilson (eds.): Quantifying the Roman Economy. Methods and Problems, Oxford 2009; A. Bowman / A. Wilson (eds.): Settlement, Urbanization, and Population, Oxford 2011; A. Bowman / A. Wilson (eds.): The Roman Agricultural Economy. Organization, Investment, and Produciton, Oxford 2013; A. Wilson / M. Flohr (eds.): Urban Craftsmen and Traders in the Roman World, Oxford 2016.
[2] Siehe die ausfürliche Analyse des Themas bei Ph. Kay: The Rome's Economic Revolution, Oxford 2014.
[3] Vgl. die ausführliche Behandlung des Themas bei B. Russel: The Economics of the Roman Stone Trade, Oxford 2013.
[4] Vgl. dazu jetzt auch C. Benjamin: Empires of Ancient Eurasia. The First Silk Roads Era, 100 BCE - 250 CE, Cambridge 2018.
[5] A. Bresson: The Making of the Ancient Greek Economy. Institutions, Markets and Growth in the City-States, Princeton 2016.
[6] Vgl. auch J.G. Manning: The Open Sea. The Economic Life of the Ancient Mediterranean World from the Iron Age to the Rise of Rome, Princeton 2018.
Leider wies das Rezensionsexemplar Mängel insofern auf, als die Seiten 203-234 schlicht fehlten.
Kai Ruffing