Jürgen Rainer Wolf (Hg.): Die Kabinettskassenrechnungen der Kurfürstin Anna Maria Luisa von der Pfalz (1667-1743). Finanzwirtschaft einer Landesmutter im Zeitalter des Absolutismus (= Veröffentlichungen aus dem Stadtarchiv Düsseldorf; Bd. 22), Essen: Klartext 2015, 3 Bde., 1523 S., ISBN 978-3-8375-1578-7, EUR 79,00
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Die Galleria degli Uffizi ist 'der' touristische Höhepunkt von Florenz. Kein Reiseführer kommt ohne Hinweise und Erläuterungen zu den weltberühmten Kunstsammlungen der Medici aus. Ein großer Teil der Kunstwerke fiel 1737 an die Nachfolger der in männlicher Linie ausgestorbenen Medici, das Haus Lothringen. Auflage war jedoch, dass die umfangreiche Sammlung Florenz niemals verlassen dürfe. Von dieser weitsichtigen Bedingung der Kurfürstin Anna Maria Luisa von der Pfalz zehrt die Toskanametropole noch heute.
Jürgen Rainer Wolf, bis Ende 2011 Direktor des Sächsischen Staatsarchivs, ist einer der besten Kenner der Düsseldorfer Geschichte. Er unternahm das Mammutprojekt, eine zwar bereits bekannte, aber bislang wenig ausgewertete Archivalie dem interessierten Publikum zugänglich zu machen: Die Regestierung der im Staatsarchiv Florenz aufbewahrten Kabinettskassenrechnungen der Kurfürstin Anna Maria Luisa von der Pfalz, geborene Großherzogin der Toskana, aus den Jahren 1691 bis 1718. Die Regesten für 19 Rechnungen auf insgesamt 1.082 Seiten (Band 1 mit 495 Seiten und Band 2 mit 587 Seiten) lassen sich leicht durch die in einem gesonderten Band publizierten Personen-, Orts- und Sachindizes durchsuchen.
Der Edition vorangestellt hat Wolf ein 'einführendes Essay' (9-26), das zum einen Kenntnis der dynastischen Verflechtungen der Wittelsbacher mit ihren verschiedenen Linien, mit Anna Maria Luisas Herkunftsfamilie, mit den Habsburgern und mit anderen europäischen Hochadelsfamilien sowie zum anderen der verfassungsrechtlichen Regelungen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und des ereignisgeschichtlichen Geschehens in Europa um 1700 voraussetzt. Auf knapp 15 Seiten präsentiert der Herausgeber detailliert die kurfürstliche Hofhaltung in Düsseldorf in den Jahren von 1690 bis 1716. Damit legt er die Grundlage zum Verständnis der Rechnungsregesten. Ebenso dem besseren Verständnis dient die Erläuterung seiner Edition, die auf Vorarbeiten von Hermine Kühn-Steinhausen (1885-1970) beruht. Bereits in den 1930er-Jahren hatte die Historikerin, deren nahezu tragische Biografie Wolf bekannt macht (29-34), die Archivalien in Florenz entdeckt und an ihrer Publikation gearbeitet. Allerdings weist Wolf zu Recht auf die vielfachen Mängel der älteren Publikation hin. Er unterstreicht, dass sie den modernen Ansprüchen an die archivfachliche Bearbeitung von Rechnungsbüchern nicht gerecht wird. Eindrucksvoll zeigt er am Beispiel eines Regests (Nr. 113) die völlig unterschiedliche Aufbereitung. Kühn-Steinhausens Regesten wurden, obwohl von ihr als solches bzw. nur als Grundlage für eine spätere vollständige Transkription gedacht, von der Forschung nicht als Hilfs- und Findmittel zu den im Stadtarchiv Düsseldorf auf Mikrofiche vorliegenden Rechnungen der Kurfürstin herangezogen, sondern vielfach unhinterfragt und unkritisch benutzt. Wolf betont nachdrücklich, dass daher "manche Forschungsergebnisse mit Vorsicht zu genießen sind" (38; vgl. 41).
Für die vorliegenden Regesten der Kabinettskassenrechnungen, die fast lückenlos Einnahmen und Ausgaben der Kurfürstin belegen, teilt der Herausgeber die Grundsätze mit, die die Grundlage seiner umfassenden Publikation bilden. Wie bei Urkundenregesten werden bei den nummerierten Rechnungen Datum und Ausstellungsort angegeben, darüber hinaus werden die Währung und die Sprache vermerkt sowie Angaben zu den Rechnungs- und Quittungsdaten gemacht. Zu den Rechnungen gehören Belege, meist Suppliken oder Sammelrechnungen von Handwerken, Kaufleuten, Agenten und Bankiers sowie Gehaltszahlungen an den Hofstaat der Kurfürstin und Geschenke. Einen Überblick über das Geld, über das die Kurfürstin frei verfügte, liefern zwei Tabellen, in denen 'auf Heller und Pfennig' für jedes Rechnungsjahr zum einen die Summe des kurfürstlichen Deputats, Summen für das Hofstaatsgehalt, Neujahrszahlung und Namenstagsgeschenk sowie Anna Maria Luisas Handgeld und zum anderen ihre Ausgaben für Juwelen, Silber, Textilien, Almosen, Verehrungen, "Vermischtes" sowie für ihre Reisen aufgelistet sind (50-54). Umfang ihres Deputats sowie die Finanzverwaltung skizziert der Herausgeber knapp, ehe zu 25 farbigen Abbildungen, darunter zehn Ölgemälde von Hofdamen der Kurfürstin, umfangreiche Erläuterungen gegeben werden (65-115). Die Gemälde, Medaillen, Seidentapeten, Altäre usw. erlauben einen Einblick in die Pracht der von Anna Maria Luisa bewohnten Schlösser in Düsseldorf und Bensheim ebenso wie diese Kunstobjekte dazu beitragen, das politisch-religiöse Programm der kinder- und damit erbenlosen Auftraggeberin zu analysieren.
Wolf präsentiert nicht nur für die Landesgeschichte eine überaus akribisch erstellte reiche Materialsammlung, sondern auch für die Erforschung der (hoch-)adeligen Lebenswelt und der ökonomischen Möglichkeiten einer regierenden Fürstin im Europa des Barock. Die Rechnungen liefern Hinweise für Anna Maria Luisas intellektuell-künstlerischen Anspruch, für ihr Selbstverständnis als Mäzenin und als Landesherrin. Darüber hinaus sind sie eine exzellente Grundlage für die Numismatik und für die Untersuchung der Handelswege und -beziehungen. Eine Revision älterer Forschungsmeinungen ist mit diesen detaillierten Regesten, die auch das Lesen der Mikrofiches erleichtern dürften, ebenso möglich wie die Untersuchung des finanziellen Verhaltens einer Fürstin, der ihre Heimatstadt Florenz weltberühmte Kunstwerke verdankt. Deren Abtransport aus Düsseldorf bedauerte ein Augenzeuge mit den Worten: "Einen unglaubigen Schatz nimbt sie mit weg" (9).
Wolf ist zu danken, dass er den Schatz aus dem Staatsarchiv Florenz bzw. dem Stadtarchiv Düsseldorf für die Forschung in exzellenter Weise aufbereitet hat. Er macht auf Schätze aufmerksam, die Archive bewahren und die sie durch solche Editionen zugänglich machen können und sollten.
Pauline Puppel