Quinn Slobodian (ed.): Comrades of Color. East Germany in the Cold War World, New York / Oxford: Berghahn Books 2015, VII + 325 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-1-78238-705-3, USD 120,00
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In dem von Quinn Slobodian, Professor für moderne deutsche und internationale Geschichte am Wellesley College in Massachusetts, herausgegebenen Band wird auf verschiedenen Untersuchungsebenen und mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen in den Blick genommen, wie die DDR und deren Staatsbürger offizielle und nichtoffizielle Beziehungen und Kontakte zu jenen Teilen der außereuropäischen Welt - die auch der 'globale Süden' genannt werden - herstellte bzw. unterhielt. Solche Untersuchungen stellten in der bisherigen deutschsprachigen zeithistorischen Forschung zur DDR nicht nur ein bemerkenswertes Desiderat dar. Zugleich wird damit auch ein wesentliches Argument der ex-post Legitimierung des SED-Staates, die Politik des Internationalismus staatssozialistischer Diktaturen [1], Gegenstand der zeithistorischen Betrachtung. In der Einleitung stellt der Herausgeber in diesem Zusammenhang Fragen nach der Bedeutung von rassistischem Denken und Handeln in einer politischen Ordnung, in der durch die proklamierte Lösung der 'Klassen-Frage' alle anderen gesellschaftlichen Differenzen als überwunden betrachtet wurden (1). Explizit nimmt Slobodian damit auf die geschichtspolitische Kontroversen über die Nachwirkungen des SED-Staates und damit auch auf die gegenwärtige Situation in Ostdeutschland Bezug.
Die empirische Umsetzung dieser Forschungsperspektive auf den Untersuchungsgegenstand DDR wird in dem Band durch einen paradigmatisch angelegten Beitrag von Quinn Slobodian selbst eingeführt. Anhand ikonografischer Darstellungen von internationaler Solidarität und Völkerfreundschaft aus der Propaganda-Produktion des SED-Staates erklärt er den Fortbestand bzw. die Fortschreibung rassistischer Stereotype in der ostdeutschen Gesellschaft. Im daran anschließenden Abschnitt "Aid anders?" wenden sich drei Autoren jenem Politikfeld des SED-Staates zu, das in dessen offizieller Sprache Internationale Solidarität genannt wurde. Young-Sun Hong schildert in seinem Beitrag den von der DDR direkt unterstützten Wiederaufbau der kriegszerstörten nordkoreanischen Stadt Hamhung. Gregory Witkowski analysiert Bilder und Sprache von Geldsammlungen des staatlichen Solidaritätskomitees der DDR und kontrastiert diese offiziellen Kampagnen mit den kirchlichen Kollekten der ostdeutschen Kirchen. Bernd Schaefer betrachtet vor allem die wirtschaftliche Kooperation zwischen der DDR mit Vietnam nach dem Ende des Vietnamkrieges bis zur Auflösung des SED-Staates.
Das folgende und umfangreichste Kapitel des Bandes enthält unter dem Titel "Ambivalent Solidarities" vier Beiträge, die sich den Bemühungen des SED-Staates widmen, mit den anti-kolonialen bzw. anti-rassistischen Bewegungen in Afrika und den USA ein politisches Bündnis einzugehen, sowie den daraus resultierenden Erfahrungen, die diese potentiellen oder tatsächlichen Bündnispartner in der DDR selbst gemacht haben. Der Zeitzeugenbericht des südafrikanischen Schriftstellers und Anti-Apartheidaktivisten Bloke Modisane über seinen Aufenthalt in der DDR nach dem Mauerbau und die darauf bezogene biografische Skizze von Simon Stevens liefern einen exemplarischen Beleg für die These des Herausgebers, dass politische Intentionen und alltägliche Praktiken in der ostdeutschen Gesellschaft keineswegs übereinstimmten. Der Beitrag von Sara Pugachs über Alltagserfahrungen von Studierenden aus de-kolonialisierten Staaten Afrikas an DDR-Universitäten führt diese Perspektive fort. Katrina Hagen stellt die Kampagne zur Freilassung der afro-amerikanischen Kommunistin Angela Davis in Beziehung zu Staatsbesuchen und Aufenthalten der antirassistischen Aktivistin im SED-Staat nach ihrer Freilassung. Schließlich schildert Jason Verber, wie auf Initiative der SED und der mosambikanischen Staatspartei FRELIMO das Projekt einer "Schule der Freundschaft" in Staßfurt etabliert wurde, an der Kinder aus Mosambik für den sozialistischen Aufbau in ihrer Heimat ausgebildet wurden.
Im sich daran anschließenden Abschnitt "Socialist Mirrors" wird an zwei Beiträgen deutlich gemacht, in welch hohem Ausmaß Kooperationen zwischen ostdeutschen und außereuropäischen Künstlern von den politischen Rahmenbedingungen dominiert wurden. In einem weiteren Beitrag des Herausgebers Quinn Slobodian wird geschildert, wie die ostdeutsch-chinesische Co-Produktion für den Dokumentarfilm "Freundschaft" vor dem Hintergrund der Eskalation des sowjetisch-chinesischen Konflikts im Jahr 1961 scheiterte. In dem gemeinsamen Beitrag von Evan Torner und Victoria Rizo Lenshyn wird deutlich, wie kulturelle Differenzen und politische Hierarchien noch kurz vor dem Ende der DDR (1988) die Zusammenarbeit von ostdeutschen und vietnamesischen Filmemachern an dem Spielfilm "Dschungelzeit" beeinflussten. Im Anschluss daran wird schließlich unter der Kapitelüberschrift "Internationalist Remains" in zwei Beiträgen den Nachwirkungen der vom SED-Staat initiierten Politik der Internationalen Solidarität in Vietnam und Kuba nachgegangen. Christine Schwenkel schildert eine fortwährende Bindung der Beteiligten an die vor 1989 gemachten Erfahrungen mit der DDR und ihren Bürgern, obwohl dieser Teil der jüngsten Geschichte im gegenwärtigen Vietnam im offiziell verlautbarten Deutschland-Bild eher verschwiegen wird. Im letzten Beitrag des Bandes beschreibt Jennifer Ruth Hosel die Rezeption des Films "Good bye Lenin" in Havanna, während der kubanische Schriftsteller Victor Fowler Calzada diese im gleichen Essay zum Stellenwert der Erinnerung an die DDR im kollektiven Gedächtnis der kubanischen Gesellschaft in Beziehung setzt.
An dieser Stelle konnte sich der Rezensent des Eindrucks nicht erwehren, dass der Untergang des SED-Staates bei einigen Autoren doch mit einem gewissen Bedauern betrachtet wird. Gleichwohl schmälert diese subjektive Anmerkung nicht die Bedeutung des von Quinn Slobodian herausgegebenen und kompendium-artig angelegten Bandes. Darin wird exemplarisch gezeigt, welche Potentiale zur Überwindung einer verinselten zeithistorischen DDR-Forschung bestehen [2], wenn dieses Forschungsfeld aus einer transnationalen bzw. globalhistorischen Perspektive betrachtet wird. Ganz überwiegend sind die vorgestellten Beiträge imstande, die These eines Fortbestandes prä-sozialistischer Normen in der Darstellung und den Beziehungen zu Ländern und Menschen des "globalen Südens" zu stützen. Es zeigen sich an unterschiedlichsten Stellen Widersprüche zwischen den hochgesteckten und weithin propagierten Zielen einer Politik der internationalen Solidarität und der weitaus mühevolleren und ambivalenten Praxis von internationaler Zusammenarbeit zwischen ostdeutschen und außereuropäischen Akteuren. Diese war keineswegs frei von gegenseitigen Ressentiments, kulturellen Missverständnissen und missionarischer Anmaßung, insbesondere von Seiten ostdeutscher Repräsentanten des SED-Staates. Die einleitende Annahme des Herausgebers, dass durch eine quasi südliche Perspektive auf die DDR zugleich der aus dem Kalten Krieg herrührende Gegensatz zur Bundesrepublik relativiert werden würde (3), wird eigentlich nur implizit bestätigt. In Kenntnis vergleichbarer Entwicklungen, wie sie Slobodian für die westdeutsche Entwicklung nach 1945 bereits vorgestellt hat [3], ließe sich dies plausibel herleiten. Den letztlich dafür nötigen systematischen Vergleich kann dieser Band allerdings auch nicht leisten. Wohl aber ist es ein weiteres Verdienst dieses Buches, die Frage nach Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten in den beiden Staaten jenseits der Blockkonfrontation für weitere Forschungen offen zu halten.
Anmerkungen:
[1] Hans-Joachim Döring: "Es geht um unsere Existenz". Die Politik der DDR gegenüber der Dritten Welt am Beispiel von Mosambik und Äthiopien, Berlin 1999.
[2] Jürgen Kocka: Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung, in: Deutschland Archiv 36 (2003), 764-769.
[3] Quinn Slobodian: Foreign front. Third World politics in sixties West Germany, Durham, NC 2012.
Patrice G. Poutrus