Gideon Greif / Itamar Levin: Aufstand in Auschwitz. Die Revolte des jüdischen "Sonderkommandos" am 7. Oktober 1944. Aus dem Hebräischen übersetzt von Beatrice Greif, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, 389 S., ISBN 978-3-412-22473-8, EUR 24,99
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Ewa K. Bacon: Saving Lives in Auschwitz. The Prisoner's Hospital in Buna-Monowitz, West Lafayette, IN: Purdue University Press 2017
Dass sich Häftlinge in den Konzentrations- und Vernichtungslagern mit (Waffen-)Gewalt gegen ihre SS-Bewacher zur Wehr setzten, kam äußerst selten vor. Als umso bedeutsamer sind die Aufstände von Treblinka (August 1943), Sobibor (Oktober 1943) und Auschwitz-Birkenau (Oktober 1944) einzuschätzen. Über den Aufstand der Gefangenen in Auschwitz-Birkenau, wo die SS seit 1942 die Ermordung der europäischen Juden wie in einer Fabrik organisierte und betrieb, ist vergleichsweise wenig bekannt, obgleich die Forschungslage zu diesem Lagerkomplex, zu dem das Stammlager Auschwitz, das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau sowie der Zwangsarbeitskomplex Auschwitz-Monowitz gehörten, insgesamt als sehr gut zu bezeichnen ist.
Der Aufstand des 7. Oktober 1944 wurde von Häftlingen des sogenannten Sonderkommandos ausgeführt. Dabei handelte es sich um ein Arbeitskommando aus nahezu ausschließlich jüdischen Gefangenen, das die SS in den Gaskammern und Krematorien einsetzte. Die Sonderkommando-Häftlinge wurden gezwungen, die nach Auschwitz deportierten Juden bis zur Gaskammer zu begleiten und dabei für einen ruhigen Ablauf zu sorgen. Nach der Ermordung hatten sie die Leichen aus den Gaskammern zu schleppen und diese nach Wertgegenständen und Goldzähnen zu durchsuchen. Zudem mussten sie die Gaskammern säubern, die Leichen verbrennen und die Asche beseitigen. Nur rund einhundert von insgesamt etwa 2200 Sonderkommando-Häftlingen überlebten, da die SS versuchte, möglichst alle Mitglieder als direkte Zeugen der Massenvernichtung zu ermorden. Man tötete sie daher in regelmäßigen Abständen und tauschte sie gegen andere Gefangene aus.
Es ist vor allem dem israelischen Historiker und Pädagogen Gideon Greif zu verdanken, dass über das Sonderkommando überhaupt etwas bekannt ist. Nahezu alle schriftlichen Quellen sind vernichtet, und die wenigen Überlebenden wollten oder konnten nach Kriegsende nicht über die Ereignisse sprechen. Auch wenn sie bereit waren, sich an die traumatischen Erlebnisse zu erinnern und darüber zu berichten, so glaubte man ihnen schlichtweg nicht, man hielt sie für verrückt oder machte ihnen den Vorwurf, mit der SS kollaboriert zu haben. Greif jedoch gelang es in den frühen 1990er Jahren, mit sieben Überlebenden Interviews zu führen; das daraus entstandene Buch [1], in dem die transkribierten Gespräche abgedruckt sind, erregte großes Aufsehen. Nun legt Greif zusammen mit Itamar Levin, einem weiteren bekannten Holocaust-Forscher, der zudem als einer der führenden juristischen Journalisten in Israel gilt, eine Dokumentation über den Aufstand der Sonderkommando-Häftlinge vor, die auf zahlreichen, zum Teil noch unveröffentlichten Zeugenaussagen und schriftlichen Erinnerungsberichten basiert.
In den ersten drei von insgesamt sieben Kapiteln stellen die Verfasser das Ereignis zunächst in den historischen Kontext. Einleitend wird die Errichtung, Geschichte und Tätigkeit des Sonderkommandos beschrieben, dann die nicht-jüdischen Untergrund- und Widerstandsbewegungen in Auschwitz untersucht. Dabei arbeiten die Verfasser heraus, dass das Verhältnis der polnischen und zum Teil der russischen Kriegsgefangenen zu den jüdischen Häftlingen auch von Antisemitismus geprägt war (93). Dann wird die jüdische Untergrundbewegung in Auschwitz betrachtet, die zunächst insbesondere von jungen Männern und Frauen aus Ciechanów getragen wurde, die sich aus zionistischen Jugendbünden kannten und in Auschwitz im gleichen Kommando arbeiteten (102). Der Hauptteil des Buches widmet sich dem Aufstand: Zunächst wird gezeigt, dass es bereits vor dem Herbst 1944 Pläne zur Revolte gab, und zudem herausgearbeitet, warum diese nicht umgesetzt wurden (Kapitel 4). Dann geht es ausführlich um die Planung und Vorbereitung des Aufstands vom 7. Oktober 1944 (Kapitel 5), das Ereignis selbst (Kapitel 6) sowie die Nachgeschichte (Kapitel 7). Die für den Sommer 1944 geplanten Aufstände fanden vor allem deshalb nicht statt, weil zwischen den nicht-jüdischen und den jüdischen Widerstandsgruppen im Lager ein Grundwiderspruch bestand: Die internationale Untergrundbewegung wollte die Revolte solange hinauszögern, bis die Rote Armee herangerückt war, während die jüdischen Häftlinge, vor allem die Mitglieder des Sonderkommandos, wussten, dass jeder Tag des Wartens neue Todesopfer forderte. So wurde auch der im August 1944 vorbereitete Aufstand, den vor allem griechische und ungarische Sonderkommando-Häftlinge geplant hatten, im letzten Moment gestoppt, da nicht mit Unterstützung der nicht-jüdischen Widerstandsbewegung zu rechnen war. Anfang Oktober verändert sich die Situation insofern, als immer weniger Transporte in Auschwitz ankamen (221). Das Nachlassen der systematischen Massenmorde bedeutete für die Mitglieder der Sonderkommandos, dass der eigene Tod unmittelbar bevorstand, denn sie wussten, dass die SS nicht zulassen würde, dass Augenzeugen überleben. Dies gab den Ausschlag für das Losschlagen vom 7. Oktober 1944, einem Sabbat. Die beteiligten Häftlinge des Sonderkommandos, über 450 Mann, steckten ein Krematorium mit den Gaskammern in Brand und erhoben sich mit Waffen gegen die SS-Bewacher. Einem Teil gelang die Flucht. Doch schon bald war der Aufstand niedergeschlagen und die Flüchtenden gefasst; die SS ermordete nahezu alle Beteiligten. Die Revolte, die rund zwölf Stunden gedauert hatte, bewirkte, dass ein Gebäude der Gaskammer abbrannte und nicht mehr zu benutzen war; zudem wurden drei SS-Bewacher getötet.
Das vorliegende Buch besticht durch das akribische Zusammentragen aller verfügbaren Berichte und die minutiöse Rekonstruktion der Ereignisse. Nicht die grausame Arbeit des Sonderkommandos, zu der die SS die Häftlinge zwang, steht hier im Mittelpunkt, sondern die Würdigung ihrer Revolte gegen die Unmenschlichkeit, die sich im Aufstand vom 7. Oktober 1944 manifestiert. Der Aufstand war in der Tat - wie Israel Gutman, selbst im Untergrund aktiv, Auschwitz-Überlebender und später einer der wichtigsten Holocaust-Historiker, formuliert - ein "Wahrzeichen der Rache und der Ermutigung für die Häftlinge" (303). Die Verfasser bezeichnen ihn als "Sieg des Geistes über diejenigen [...], die alle existierenden menschlichen Werte verachteten, einen Sieg der Moral über diejenigen, die die bestialische Natur zu ihrem Ziel wählten" (11). Dem ist nichts hinzuzufügen.
Anmerkungen:
[1] Gideon Greif: "Wir weinten tränenlos ...". Augenzeugenberichte des jüdischen "Sonderkommandos" in Auschwitz, Köln u. a. 1995.
Karin Orth