Rezension über:

Franziska Jahn: Das KZ Riga-Kaiserwald und seine Außenlager 1943-1944. Strukturen und Entwicklungen, Berlin: Metropol 2018, 471 S., ISBN 978-3-86331-427-9, EUR 24,00
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Rezension von:
Katja Wezel
Historisches Seminar, Georg-August-Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Katja Wezel: Rezension von: Franziska Jahn: Das KZ Riga-Kaiserwald und seine Außenlager 1943-1944. Strukturen und Entwicklungen, Berlin: Metropol 2018, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 5 [15.05.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/05/35812.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Franziska Jahn: Das KZ Riga-Kaiserwald und seine Außenlager 1943-1944

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Die 2016 an der Technischen Universität Berlin vorgelegte und 2018 publizierte Dissertation untersucht ein in der lettischen Holocaust-Forschung bisher ungenügend bearbeitetes Thema. Das KZ Riga-Kaiserwald war - wie Franziska Jahn eindeutig belegt - das wichtigste und am längsten operierende Konzentrationslager im Baltikum. Es wurde nach der Auflösung der baltischen Ghettos zum Sammellager von Juden aus dem gesamten baltischen Raum und damit zum "zentrale[n] Ort des Holocaust im Baltikum" (432). In der Erinnerungskultur der baltischen Staaten und insbesondere Lettlands spielt das KZ Riga-Kaiserwald jedoch bisher kaum eine Rolle. Erst seit 2005 erinnert ein eher unauffälliger Gedenkstein an den ehemaligen Standort des Lagers, dessen Reste nach dem Krieg die neue sowjetische Besatzungsmacht entfernte. An der Stelle des Lagers entstand ein für Sowjetlettland typisches Wohngebiet, dessen Bewohner nichts über die Vorgeschichte des Ortes erfuhren.

Jahrzehntelang fokussierte die sowjetische Erinnerungspolitik das Arbeitslager Salaspils, das bis heute in der Wahrnehmung der lettischen Bevölkerung Hauptlager und Sinnbild des Terrors der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ist. Wie Jahn betont, handelte es sich bei dem Lager Salaspils jedoch lediglich um ein erweitertes Polizeihaftlager, das unter der Verwaltung der Sicherheitspolizei verblieb und nicht der SS unterstellt war. Für die Opfer des Holocaust im Baltikum hatte Salaspils geringe Bedeutung. Lediglich anfangs, während seiner Errichtung, waren auch Juden als Arbeitskräfte abgeordnet.

Jahn untersucht in ihrer Monografie die komplexe Leidensgeschichte der Häftlinge, die zwischen Frühjahr 1943 und Herbst 1944 im KZ Riga-Kaiserwald inhaftiert waren. Der Fokus liegt dabei auf den drei größten jüdischen Häftlingsgruppen: 1) den ca. 5000 lettischen Jüdinnen und Juden, die die Massenerschießungen des Jahres 1941 überlebt hatten, 2) den ca. 5900 (von ehemals 25 000) deutschen, österreichischen und tschechischen Jüdinnen und Juden, die 1941/42 ins Reichskommissariat "Ostland" deportiert und 1943 ins KZ Riga-Kaiserwald überstellt wurden, sowie 3) den ca. 4400 aus litauischen Ghettos (vor allem Kaunas und Vilnius) überstellten litauischen Jüdinnen und Juden.

Deshalb führt der gewählte Buchtitel mit der vermeintlichen Fokussierung auf die Jahre 1943 bis 1944 ein wenig in die Irre, denn nach einer eingehenden Darstellung der Baugeschichte des KZ Riga-Kaiserwald widmet sich Jahn zunächst detailliert der Vorgeschichte der späteren Insassen und ihrer Inhaftierung in baltischen Ghettos und Zwischenlagern. Den Lageralltag und die Haftbedingungen im KZ Riga-Kaiserwald analysiert sie erst ab Seite 296. Die eingehende Berücksichtigung der komplexen Vorgeschichte ist allerdings sehr sinnvoll, da sie dazu beiträgt, die Facetten des Leids der Opfer an den unterschiedlichen Stationen im nationalsozialistischen Haftsystem aufzuzeigen. Dazu trägt überdies die breite Quellenbasis bei, auf der die Studie beruht. Jahn hat bei ihrer Archivrecherche nicht nur Quellenbestände aus staatlichen Archiven in Deutschland, Lettland, Litauen, Israel, den USA und Großbritannien eingesehen, sondern auch private Archive und Nachlässe. Neben Schriftquellen hat sie zahlreiche Ton- und Videoquellen von Holocaust-Überlebenden mit einbezogen. Angesichts der breiten Erschließung englischsprachigen Interviewmaterials wäre eine Übersetzung der Zitate ins Deutsche allerdings wünschenswert gewesen, um den Lesefluss nicht zu behindern. Störend sind auch die teilweise überhandnehmenden Passivkonstruktionen, die den Blick auf die Täter verstellen. Die Monografie verfügt über ein Personenregister, aber leider kein Orts- und Sachregister. Bei einer Studie von fast 500 Seiten hätte ein solcher Index sowohl zur Orientierung beitragen können als auch dazu, die Monografie als Nachschlagewerk verwenden zu können, zum Beispiel für die verschiedenen Tötungskommandos an den Erschießungsorten in Rumbola und Biķernieki, die sich im Text nur schwer auffinden lassen.

Für die Orientierung sehr hilfreich sind hingegen die der Monografie beigefügten, um-fangreichen Diagramme, Karten und Lagepläne, die zum Beispiel die Anordnung der Baracken im KZ Riga-Kaiserwald sowie die Standorte der Außenlager anschaulich dokumentieren. Die Tabellen zu den Transporten mit genauen Angaben zu Zahl und Zeitpunkt der Einweisung ins KZ Riga-Kaiserwald tragen ebenso zur Orientierung bei.

Ein weiterer Vorzug der Studie liegt in der detaillierten Berücksichtigung der Außenlager des KZ Riga-Kaiserwald. Eindrücklich kann Jahn durch umfangreiches Quellenmaterial deren Bedeutung herausstellen und damit verdeutlichen, wie stark das Überleben der jüdischen KZ-Häftlinge an ihren Einsatz als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gekoppelt war. Sie waren an verschiedenen, oft später noch weiter wirtschaftlich genutzten Standorten wie dem Flughafen Riga-Spilve oder der elektrotechnischen Fabrik VEF/AEG tätig und in unmittelbarer Nähe dieser Arbeits- und Produktionsstätten in Nebenlagern untergebracht. Gerade weil diese Orte auch heute noch existieren, ohne dass den Anwohnern ihre Bedeutung zur Zeit der nationalsozialistischen Besatzung bewusst ist, bleibt zu hoffen, dass die Monografie ins Lettische übersetzt werden wird. Dann könnte sie noch besser einen Beitrag dazu leisten, die Bedeutung des KZ Riga-Kaiserwald und seiner Außenlager nicht nur innerhalb der Holocaust-Forschung, sondern darüber hinaus auch in der Erinnerungskultur Lettlands zu verankern.

Katja Wezel