Christoph Franceschini / Erich Schmidt-Eenboom / Thomas Wegener Friis: Spionage unter Freunden. Partnerdienstbeziehungen und Westaufklärung der Organisation Gehlen und des BND, Berlin: Ch. Links Verlag 2017, 377 S., ISBN 978-3-86153-946-9, EUR 30,00
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"Nachrichtendienste tun sich mit der Kategorie 'Freund' naturgemäß schwer" - das ist ein Zitat des ehemaligen Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler. Dieser Ausspruch steht dem hier zu besprechenden Band von Christoph Franceschini, Erich Schmidt-Eenboom und Thomas Wegener Friis voran. Die drei Autoren betreten Neuland im Bereich der Intelligence Studies, indem sie anhand des Verhältnisses des BND und seines Vorläufers, der Organisation Gehlen (ORG), zu verschiedenen europäischen bzw. zu US-amerikanischen Partnerdiensten das "Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz" ausloten (20). Konkret geht es um Informationsaustausch, gemeinsame Operationen, aber auch "Spionage unter Freunden". Dazu gibt es in der relevanten angelsächsischen und deutschsprachigen Literatur bislang vielerlei Fundstellen. Allerdings wurde die Thematik nie leitmotivisch verfolgt. Die drei Autoren haben nun eine Vielzahl an Fakten zu den "Partnerdienstbeziehungen" und zur "Westaufklärung" von ORG und BND zusammengetragen. Ihre Quellenbasis sind freigegebene BND-Dokumente, Aktendeposita im Forschungsinstitut für Friedenspolitik sowie Interviews mit ehemaligen BND-Mitarbeitern.
Reinhard Gehlen, namensgebender Leiter der ORG und später erster Präsident des BND, war beim Aufbau von Partnerdienstbeziehungen in der Frühzeit des Kalten Krieges ungewöhnlich aktiv. Seine Kontakte zu ausländischen Geheimdiensten stellten ein "absolutes Novum" dar (28). Im Rahmen der Westaufklärung - die bezeichnenderweise als "Operation Eva" mit Adolf Hitlers Lebensgefährtin Eva Braun als Namensgeberin firmierte - beobachtete und beurteilte man gesellschaftliche, militärische, politische und wirtschaftliche Entwicklungen in den westlichen Industriestaaten (38f.).
Einen besonderen Fall stellt Italien dar, wo Johannes Gehlen, der Bruder von Reinhard Gehlen, ab 1949 erster Resident war und enge Beziehungen zu den dortigen Diensten sowie zum Heiligen Stuhl pflegte (56ff.). Diese Kontakte waren von großer Wichtigkeit, weil der Papst selbst über einen weltweiten "Nachrichtendienst" verfügte und die vatikanische Rückendeckung die Kooperation mit katholisch geprägten europäischen Nationen erleichterte (59). Spannungen ergaben sich hinsichtlich Südtirols. Als die dortige Autonomiebewegung ab 1957 zu gewaltsamen Mitteln griff, ging der Servizio Informazioni Forze Armate (SIFAR) angeblichen Verwicklungen bundesrepublikanischer Kreise nach. Reinhard Gehlen wiederum vermutete, dass die Vorgänge teilweise vom Ostblock aus gesteuert wurden. Als dann ein österreichischer Rechtsextremist, den der BND zuvor als Informanten angeworben hatte, nach einem Attentat verhaftet wurde, löste das Panik aus. Man befürchtete, in die Vorgänge verwickelt zu werden. Aber dem Mann gelang es, seine Verbindungen zu verschweigen.
Ins neutrale Österreich streckte die ORG ihre Fühler 1948 aus. Ins Visier gerieten die sowjetischen Streitkräfte und Besatzungsorgane sowie das politische Umfeld der Kommunistischen Partei Österreichs. Dabei stützten sich ORG und BND auch auf Kriegsverbrecher wie Erich Rajakowitsch, ehemaliger Befehlshaber des SS-Sicherheitsdienstes in Den Haag, oder Hermann Neubacher, ehemaliger SA-Gruppenführer und Bürgermeister von Wien. Eng verwoben war man später auch mit dem österreichischen Heeresnachrichtenamt, dessen Gründungspersonal ebenso wie jenes der ORG NS-Geheimdiensten entstammte. Die Schweiz war wichtig als Drehscheibe für Verbindungen nach Westeuropa. Außerdem war man gemeinsam daran interessiert, zu unterbinden, dass Schweizer Embargowaren in den Ostblock lieferten. Umgekehrt befinden sich die wichtigsten Wirtschaftsräume und das politische Zentrum der Bundesrepublik Deutschland im Visier von drei Lauschstationen, die 1990/91 im Grenzgebiet errichtet wurden.
Das Verhältnis zu den französischen Diensten schwankte bis heute zwischen Partnerschaft und Angriffslust: Auf Seiten des BND gibt es nur ein Beispiel für den Einsatz von Agenten gegen das Nachbarland, nämlich den Fall des Präfekten Maurice Picard. Jedoch führte der französische Auslandsgeheimdienst auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre Attentate auf Exilalgerier und Waffenhändler durch. Darüber hinaus wurden Unternehmen wie Siemens abgehört, etwa, als der Konzern 1993 mit einem französischen Hersteller um einen Auftrag konkurrierte. Anfang der 2000er Jahre wurden Vertreter des BND in Frankreich so oft wie in keinem anderen Land gesehen. Als schwierig zu bezeichnen sind die Partnerdienstbeziehungen mit Großbritannien: Eine Kooperation des BND mit dem Auslandsnachrichtendienst MI6 ist für die gesamte Zeit des Kalten Krieges nicht nachweisbar. Die britischen Vorbehalte beruhen auf der registrierten Durchlässigkeit des BND, zuerst gegenüber den östlichen Geheimdiensten und zuletzt aufgrund von Leaks im Zuge der Affäre nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden.
Mit Dänemark dagegen entwickelte sich bereits kurz nach Kriegsende eine Kooperation: Während die dänische Seite die Deutschen als die "besten Kenner des russischen Militärs" schätzte (194), waren ORG und BND an Informationen über die Lage im Ostseeraum interessiert. Mit Schweden kooperierte man bei der technischen Aufklärung sowjetischer Funk- und Radarsysteme. Ebenso arbeitete man gegen die ostdeutschen Dienste zusammen. Hier gelang mit der Enttarnung des Leiters der Hauptverwaltung Aufklärung, Markus Wolf, bei einem Stockholm-Aufenthalt 1978 ein Coup. Das neutrale Finnland wiederum war in erster Linie als Basis für die Aufklärung des Baltikums gefragt. Allerdings ging der Informationsfluss eher von der BND-Zentrale in Pullach nach Norden. Hierbei spielten Einschätzungen zur Weltpolitik der Sowjetunion oder zur Situation in osteuropäischen Ländern eine Rolle.
Das größte Missverhältnis zeigt sich in den Beziehungen zur US-amerikanischen CIA, die die ORG zwischen 1946 und 1956 geführt und finanziert hatte. Ein Verhältnis auf Augenhöhe wurde daraus nicht. So war die USA-Aufklärung des BND nie Spionage im engeren Sinn. Alle Erkenntnisse stammten aus offenen Quellen. Dagegen spähten die US-Dienste nicht nur das Personal der ORG aus, sondern auch den Staats- und Regierungsapparat der Bundesrepublik Deutschland. Alleine in Bayern verfügte die CIA Ende der 1950er Jahre über 565 hauptamtliche Agenten, während zwischen 1960 und 1968 über 50 Millionen Postsendungen von US-Diensten kontrolliert wurden. Auf höchster Ebene richtete sich die Spionage gegen Willy Brandts Ostpolitik oder den US-kritischen Kurs von Gerhard Schröder. Dem BND wurden wichtige Informationen vorenthalten, die zum Beispiel zur Enttarnung der Spitzenquelle des Ministeriums für Staatssicherheit, Gabriele Gast, hätten führen können. Zuletzt wurde 2014 ein "Maulwurf" der CIA im "Allerheiligsten des BND" enttarnt, was keine einmalige Entgleisung darstellte, sondern den "Höhepunkt einer jahrzehntelangen Ausforschung des kleinen Partners" (15f.).
Allerdings hat der BND, das haben die jüngsten Ermittlungen des parlamentarischen NSA-Untersuchungsausschusses ergeben, selbst ausländische Stellen, Unternehmen und Datenkabel angezapft. Diese Ereignisse werden in der Publikation "Spionage unter Freunden" nur gestreift. Unter dem Strich belegt die Studie aber, dass das gegenseitige Ausspähen zum täglichen, höchst ambivalenten Geschäft von Geheimdiensten gehört. Auch wenn sich die Autoren mitunter in der Aneinanderreihung von mehr oder weniger aussagekräftigen Details verlieren, handelt es sich um eine erkenntnisreiche Darstellung - vor allem angesichts der aktuellen Relevanz des Themas.
Thomas Riegler