Markus Lammert: Der neue Terrorismus. Terrorismusbekämpfung in Frankreich in den 1980er Jahren (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 114), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, X + 301 S., ISBN 978-3-486-76422-2, EUR 44,95
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Die hier zu besprechende Monografie von Markus Lammert liefert einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der "Terrorjahre" im Westeuropa der späten 1970er und 1980er Jahre. Es handelt sich um eine detailreiche Darstellung und Analyse der französischen Anti-Terrorismus-Politik, die sich vor allem in den 1980er Jahren herausgebildet hat. Frankreich, das zuvor noch relativ verschont geblieben war, wurde damals zu "einem der am stärksten vom Terrorismus betroffenen Staaten in Europa". Auf diese Herausforderung wurde entsprechend reagiert, so Lammert. Innerhalb kurzer Zeit sei das Land "vom Nachzügler zum Vorreiter der Terrorismusbekämpfung" geworden - ein eigenes "französisches Modell" habe sich herausgebildet, das im Wesentlichen durch einen Mix aus Härte und Pragmatik gekennzeichnet gewesen sei (2). Darüber hinaus wurde "Sicherheit" in dieser Zeitspanne zu einem bestimmenden Thema, flankiert von Debatten um Einwanderung und "Problemviertel" sowie dem Aufstieg des rechten Front National (4).
Für seine Recherchen konnte Lammert ungeachtet der restriktiven Sperrfristen der staatlichen Archive neben Memoirenliteratur auf unausgewertete Quellen zurückgreifen - etwa aus dem Institut François Mitterrand, Parteiarchiven, Forschungs- und Spezialbibliotheken sowie Pressedossiers (13f.). Eben weil zum Thema politische Gewalt in Frankreich gerade im deutschsprachigen, aber auch im anglo-amerikanischen Raum relativ wenig Literatur vorhanden ist [1], schließt Lammerts Buch eine Lücke und setzt Impulse für eine Bewertung der "Terrorjahre" der 1970er und 1980er Jahre jenseits eingefahrener Perspektiven.
Die Besonderheit des französischen Beispiels liegt darin, dass es zeigt, wie terroristische Gewalt innerhalb kurzer Zeit massive politische Kehrtwendungen herbeiführen kann - ebenso wie gesamtgesellschaftliche Verunsicherung. Dabei war Frankreich noch bis Ende der 1970er Jahre vergleichsweise glimpflich davon gekommen: "Das Land erlitt weniger Angriffe als andere europäische Staaten." (58) Doch ab 1980 - einsetzend mit einem Anschlag in der Pariser Rue Copernic - folgten "bleierne Jahre", in denen eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure agierten und Terrorismus zu einer omnipräsenten Gefahr machten (87). Die Gewalt torpedierte einige zentrale Vorhaben der sozialistischen Regierung, die 1981 mit viel Enthusiasmus gestartet war: Ein Autonomiestatut für Korsika führte nicht zum Verschwinden separatistischen Terrors. Die Zahl der Anschläge stieg von unter 200 (1981) auf 800 (1982). Genauso wenig brachte eine Amnestie für politische Häftlinge das Verschwinden des Linksterrorismus - vielmehr entzündeten die freigelassenen Mitglieder der Action Directe eine Terrorwelle, der bis 1987 insgesamt 15 Menschen zum Opfer fielen (86ff.).
Die Konsequenzen waren tiefgreifend: Die Phase liberaler Öffnung wurde bereits ab 1982 zugunsten einer Erhöhung von Sicherheitsstandards und Verschärfungen des Strafrechts aufgegeben (104ff.). Das Präsidialamt zog die Terrorismusbekämpfung an sich. Diese Machtkonzentration führte zur Herausbildung eines "persönlichen Geheimdienst des Präsidenten", der zwischen 1983 und 1986 mindestens 150 Personen illegal abhörte. François Mitterrand war nicht nur "Inspirator und Entscheider" der Überwachungen (120f.), er gab bei der Fahndung nach Action Directe auch die Devise aus: "Keine Rücksichtnahme!" (131) Im Zusammenhang mit dem internationalen Terrorismus war der Präsident dagegen auf Konfliktvermeidung bedacht: Während er öffentlich die Unnachgiebigkeit gegenüber dem Terrorismus betonte, gab Mitterrand intern grünes Licht für einen Deal mit der Abu-Nidal-Organisation (ANO). Im Gegenzug dafür, dass die Organisation keine weiteren Anschläge in Frankreich durchführte, wurden 1986 zwei inhaftierte ANO-Angehörige entlassen (140f.). Nur in einem Bereich folgte keine Kurskorrektur: Trotz Protesten der italienischen und spanischen Regierung blieb es bei einem Bleiberecht für Flüchtlinge, die sich "glaubhaft" aus dem "bewaffneten Kampf" zurückgezogen hatten. Daraufhin war Spanien ab 1983 bestrebt, im französischen Baskenland den dortigen "Ruheraum" der Terrorgruppe ETA zu zerrütten (157f.).
Der Wahlsieg der Konservativen 1986 brachte neuerliche Weichenstellungen - die Terrorismusbekämpfung kam wieder zurück unter die Ägide des Innenministeriums, die Arbeit der Sicherheitsbehörden wurde besser koordiniert und ein zentraler Pool an spezialisierten Untersuchungsrichtern geschaffen (180). Allerdings zeigten sich alsbald die Grenzen der "Politik der Härte": Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, der zunehmend religiös motiviert war, verschärfte sich zwischen 1986 und 1988. Iranische Netzwerke verübten blutige Anschläge, die alleine 1986 zwölf Todesopfer und über 200 Verletzte forderten. Darüber hinaus wurden im Libanon insgesamt zwölf französische Bürger als Geiseln genommen. Das sollte Forderungen nach der Freilassung inhaftierter Attentäter, Ausweisung iranischer Oppositioneller und einem Ende der Waffenlieferungen für den Irak im 1. Golfkrieg Nachdruck verleihen (188ff.). Um sich dieser Bedrohung zu entledigen, setzte die konservative Regierung ebenso auf pragmatische Geheimdiplomatie und lenkte bis 1990 in allen Punkten ein. Frankreich gab seine Rolle als Mandats- und Schutzmacht im Nahen Osten de facto auf (239). Das habe noch stärker als bei den Sozialisten "im Widerspruch zur öffentlich vertretenen Linie der Unnachgiebigkeit" gestanden, so Lammert (219).
Im Inland wiederum gelang 1987 durch Hinweise aus der Bevölkerung die Zerschlagung der zunehmend isolierten Action Directe (221f.). Auch die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern war durch eine Neuorientierung geprägt: So arrangierte man sich mit Spanien und ließ ab 1986 baskische Flüchtlinge systematisch dorthin ausweisen (249). In den darauffolgenden Jahrzehnten, die Lammert nur kurz streift, wurden vor allem die Möglichkeiten der präventiven Terrorismusbekämpfung ausgebaut (272f.).
Zusammenfassend handelt es sich um eine flüssig zu lesende Fallstudie, die insbesondere kulturgeschichtliche Fragestellungen integriert. Die Genese der französischen Terrorismusbekämpfung ist insofern ein aussagekräftiger "Spiegel" des politisch-gesellschaftlichen Transformationsprozesses in den 1980er Jahren. Anzumerken ist, dass das Buch von einem längeren "Ausblick" hin zur gegenwärtigen Konfrontation Frankreichs mit dem radikal-islamistischen Terrorismus noch profitiert hätte.
Anmerkung:
[1] Michael Dartnell: Action Directe: Ultra-left Terrorism in France, 1979-87, London 1995; Frank Foley: Countering Terrorism in Britain and France: Institutions, Norms And The Shadow Of The Past, Cambridge 2014. Christophe Chowanietz: Bombs, Bullets, and Politicians: France's Response to Terrorism, Montreal / Kingston 2016.
Thomas Riegler