Joachim Schroth: Geschichte als Legitimationsstrategie oder die Frage nach der Tradition des Durchhaltefilmes. Eine Analyse von drei Historienfilmen aus geschichtskultureller Perspektive (= Geschichte; Bd. 133), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2016, 502 S., 20 Farbabb., ISBN 978-3-643-13409-7, EUR 49,90
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Audiovisuelle Medien prägen unter ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Voraussetzungen das Verständnis von Geschichte. So verwundert es wenig, dass Historienfilme ihre Wirkung seit nunmehr einhundert Jahren unter Beweis stellen und den Blick verschiedener Generationen auf diverse Deutungen der Vergangenheit lenken konnten. Eine herausragende Stellung nimmt hierbei das Subgenre des Durchhaltefilms ein: eine Erzählung über eine Gruppe von Kämpfenden (Soldaten oder auch Zivilisten), die sich opfern, um mit ihrem kriegerischen Einsatz einem höheren militärischen oder ideologischen Zweck zu dienen. Diese Einsichten stehen am Anfang von Joachim Schroths Dissertationsschrift. Anhand von drei exemplarischen Filmproduktionen, nämlich "Kolberg" (Deutschland 1945), "Eine Handvoll Helden" (Bundesrepublik Deutschland/Italien 1967) und "300" (USA 2007), untersucht der Autor Produktion, filmische Erzählung und Rezeptionsgeschichte von ganz unterschiedlichen Durchhaltefilmen, um aus dieser Analyse heraus Merkmale des Subgenres zu erfassen, die unabhängig vom Inhalt der Filme und dem gesellschaftlichen Kontext ihrer Produktion als genretypisch gelten können. Die nationalsozialistische Filmproduktion "Kolberg" erzählt den Abwehrkampf der pommerschen Stadtgemeinschaft gegen die Armee Napoleons, auch die Handlung von "Eine Handvoll Helden" ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Zeit der napoleonischen Kriege angesiedelt. "300" schließlich inszeniert einen antiken Stoff, nämlich den Kampf 300 spartanischer Hopliten gegen die Übermacht des persischen Heeres. Im historischen Längsschnitt geht es Schroth folglich darum, einerseits Traditionslinien herauszuarbeiten, die dem Genre inhärent sind, darüber hinaus aber auch Unterschiede zu markieren, die etwa die Rezeption eines "moderne[n] Durchhaltenfilm[s]" (also eines Durchhaltefilms, der nach dem Jahr 2000 produziert wurde (17)) im Gegensatz zu einer Produktion der nationalsozialistisch geführten Filmwirtschaft ausmachen.
Nach einleitenden Überlegungen zu theoretischen und methodischen Grundlagen der Arbeit steht die Analyse des Films "Kolberg" im eigentlichen Zentrum der Ausführungen. Der Autor präsentiert hier insgesamt recht breit gefasste Informationen über dessen Entstehungs- und Produktionskontext. Diese basieren einerseits auf einer Zusammenschau bisheriger Veröffentlichungen, andererseits geschieht eine quellenbasierte Analyse zumeist auf der Grundlage von biografischen Schriften des Regisseurs Veit Harlan und den Tagebüchern Joseph Goebbels. Stellenweise verliert sich Schroth hierbei in detailverliebten und recht deskriptiven Passagen. Zudem fokussiert die Argumentation sehr auf die 'großen Männer' der (Film-)Geschichte: Im Zentrum der Analyse stehen die bekannten Protagonisten Harlan, Goebbels und Hitler. Geht das Feld der Akteure über diese Personen hinaus, spricht der Autor recht allgemein und vage etwa von "Lobeshymnen vonseiten der Nazis" (117) oder "Kenntnissen des damaligen deutschen Durchschnittsbürgers" (130). Über die medienhistorischen Strukturen, die hinter den Personen standen, ihr Handeln beeinflussten und somit solch einen Durchhaltefilm ermöglichten, erfährt der Leser weniger. Insgesamt wäre es in den Überlegungen zum Film "Kolberg" daher sinnvoller gewesen, die Filmproduktion noch deutlicher in die Geschichte nationalsozialistischer Medien- und Filmpolitik einzulesen und grundlegende Studien zu diesem Themenkomplex heranzuziehen. [1] Somit würden Schroths kenntnisreiche Ausführungen auch anschlussfähiger an bisherige (und zukünftige) Forschungen über den propagandistischen Einsatz des Mediums Film in der Epoche nationalsozialistischer Gewaltherrschaft insgesamt.
Etwas straffer geraten die Ausführungen zu "Eine Handvoll Helden" und "300". Auch hier schließen sich Überlegungen zu verschiedenen Rezeptionsweisen der Filme an die inhaltsanalytischen Ausführungen und die Darstellung der Produktionsbedingungen an. Richtigerweise verweist der Autor für alle drei Filme auf die Diversität der Deutungen durch das Publikum im Kinosaal und professionelle Filmkritiker. Am stärksten geraten Schroths Passagen, in denen der Autor die deskriptiven Wege einer ausführlichen Inhaltsangabe verlässt und etwa die beiden deutschen Durchhaltefilmproduktionen miteinander vergleicht. So kann er genretypische Elemente herausfiltern, die sich in der filmischen Erzählung beider Produktionen trotz ihrer höchst unterschiedlichen Rahmenbedingungen erkennen lassen (285-295). Auch ein Zwischenkapitel über "moderne Durchhaltefilme" (296-310), das den Leser thematisch zur US-amerikanischen Filmproduktion "300" leitet, ist insgesamt instruktiv.
Aus der Analyse der US-Produktion heraus kann Schroth schließlich genrespezifische Merkmale des Durchhaltefilms analysieren, etwa das Prinzip des Heldenmuts in einer schier aussichtslosen militärischen Lage oder eine der menschlichen Vernunft entgegenstehende Selbstopferung: Es geht eben nicht darum, das Individuum in das Zentrum einer Entscheidungsfindung zu stellen, sondern vielmehr gerade dieses für einen vermeintlichen höheren Zweck einer imaginierten Gemeinschaft zu opfern. Am Ende eines jeden Durchhaltefilms steht nicht unbedingt der militärische Sieg, entscheidend vielmehr ist der vermeintlich moralische Sieg über den militärisch übermächtigen Gegner. In der Anlage seiner Erzählung greift der Durchhaltefilm als Subgenre des Historienfilms dabei auf traditionelle Geschichtsbilder zurück und nutzt deren Leerstellen, um eigene innovative Deutungen der Vergangenheit zu platzieren.
Somit legt der Autor eine äußerst detailreiche Studie über exemplarische Durchhaltefilme und deren grundlegende Prinzipien vor. Insgesamt hätte sich der Leser mehr zusammenführende Thesen gewünscht, die die Vielzahl von Einzelbeobachtungen stringenter zusammengeführt hätten. Auch wenn die Detailfülle der Ausführungen (gerade zur Filmproduktion "Kolberg") stellenweise etwas überladen wirkt, mögen vielleicht gerade diese Passagen als ein Referenzpunkt für weiterführende Forschungen auch zur Kino- und Medienpolitik in der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft nutzbar gemacht werden.
Anmerkung:
[1] Etwa: Gerhard Stahr: Volksgemeinschaft vor der Leinwand? Der nationalsozialistische Film und sein Publikum. Berlin 2001; Clemens Zimmermann: Medien im Nationalsozialismus: Deutschland 1933-1945, Italien 1922-1943, Spanien 1936-1951. Wien u.a. 2007.
Benjamin Städter