Dierk Hoffmann (Hg.): Die zentrale Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR. Akteure, Strukturen, Verwaltungspraxis (= Wirtschaftspolitik in Deutschland 1917-1990; Bd. 3), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2016, XII + 674 S.
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
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Dieser Band ist Bestandteil des Abschlussberichts der im November 2011 berufenen Unabhängigen Geschichtskommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) und seiner Vorgängerinstitutionen. Der Bericht, der dem Bundesminister am 7. Dezember 2016 übergeben wurde, behandelt in vier Bänden die Geschichte des BMWi und der Wirtschaftspolitik in Deutschland seit Gründung des Reichswirtschaftsamtes 1917 bis zur Wiedervereinigung 1990. Im dritten Band werden ökonomische Strukturen und Grundzüge der Wirtschaftspolitik in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. in der DDR von 1945 bis 1990 dargestellt. Mit fast 700 Seiten handelt es sich um ein überaus beachtenswertes Kompendium.
Nach einer knappen, aber instruktiven Einleitung des Herausgebers Dierk Hoffmann folgen einzelne Aufsätze zur Staatlichen Plankommission und ihren Vorgängerinstitutionen (von Andreas Malycha), zur Planwirtschaft, Ordnungs- und Preispolitik (Marcel Boldorf), zur Wirtschaftsstatistik und zum Aufbau der Planwirtschaft (Rainer Fremdling) sowie zur Energie- und Rohstoffpolitik (Rainer Karlsch). Weitere Beiträge behandeln die vieldiskutierten Blockaden des Planungssystems für Forschung und Technik (Johannes Bähr), die Entwicklung von Lebensstandard und Konsumpolitik (Dierk Hoffmann) und die Außenwirtschaftspolitik der DDR (Ralf Ahrens). Insgesamt handelt es sich damit um ein beeindruckendes Spektrum von Themen und Problemfeldern, auch wenn Vollständigkeit auch in einem dickleibigen Band nicht angestrebt werden kann.
In den Aufsätzen überwiegt ein institutionen- und politikhistorischer Zugriff. Zwar wird auch das Handeln wichtiger Akteure nachgezeichnet; im Mittelpunkt stehen aber makrohistorische Strukturen und Prozesse. Auch konzentrieren sich die Beiträge auf Steuerungs- und Lenkungsimpulse "von oben", obgleich Rückkopplungen aus den untergeordneten Institutionen des Planungsapparates und den Kombinaten bzw. Volkseigenen Betrieben immer wieder einbezogen werden. Kulturgeschichtliche Probleme wie der Stellenwert und die Auswirkungen von Wirtschaftsmentalitäten treten aber nur gelegentlich hervor.
Jedoch zeigt das Buch, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftssystem der DDR durchaus weiterführende Erkenntnisse vermittelt, obgleich der ostdeutsche Staat letztlich scheiterte. Erstens werden in den Beiträgen die Leistungen und Grenzen der zentralen Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR deutlich. Diese führte zunächst erhebliche Wachstumseffekte herbei, solange der wirtschaftliche Wiederaufbau im Mittelpunkt stand. In dieser Phase konnten Ressourcen zentral und koordiniert zugeteilt werden. Allerdings zeigt Andreas Malycha anhand der im November 1950 etablierten Staatlichen Plankommission, dass wiederholte Umstrukturierungen, mit denen der Erste Sekretär des Zentralkomitees der SED, Walter Ulbricht, Verkrustungen in der Wirtschaftsverwaltung aufbrechen wollte, schon früh Reibungsverluste verursachten. Bis zu den Sechzigerjahren war aber durchaus offen, wer aus dem Wettstreit der Wirtschaftssysteme in der DDR und in der Bundesrepublik als Sieger hervorgehen würde (wie auch Dierk Hoffmann in seiner Einleitung betont).
Als die ökonomische Rekonstruktion Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre jedoch auslief, traten zusehends die Funktionsdefizite der zentralen Wirtschaftsverwaltung hervor. Der umfassende Planungs-, Lenkungs- und Kontrollanspruch der SED-Führung erstickte Initiativen und Innovationen, wenngleich nie vollständig. Der weit gespannte Anspruch, die wirtschaftlichen Prozesse zu steuern, führte das Regime darüber hinaus in eine Erwartungsfalle, da die Planungsorgane mit der notwendigen detaillierten Koordination zusehends systematisch überfordert waren. Probleme resultierten aber auch aus der zeitweilig ausgeprägten Konkurrenz der Institutionen im Planungsapparat, wie Johannes Bähr für den Bereich Forschung und Technik zeigt. Die zentrale Wirtschaftsverwaltung war daher keineswegs durchwegs einheitlich, monolithisch und statisch.
Der Band bietet zweitens instruktive Einsichten in die Kontexte ökonomischen Handelns in der SBZ/DDR. So wird der deutsch-deutsche Wettstreit in der wirtschaftlichen Entwicklung in zahlreichen Beiträgen deutlich. Politisch wetteiferten mit der sozialen Marktwirtschaft (in der Bundesrepublik) und der zentralen Wirtschaftsverwaltung (in der DDR) antagonistische Ordnungsmodelle miteinander. In diesem Konflikt um ökonomische Leistungskraft waren die beiden deutschen Staaten aufeinander bezogen. Dabei erforderte die Teilung Deutschlands in der DDR den Aufbau neuer industrieller Kapazitäten, wie Rainer Karlsch beispielhaft anhand des ab 1950 errichteten Eisenhüttenkombinats Ost (EKO) herausarbeitet.
Zugleich zeigt die Entwicklung des Kohle- und Energieprogramms die ausgeprägte Abhängigkeit der DDR von der Sowjetunion. Obwohl das Vorbild der UdSSR auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht prägend blieb, wurde die planwirtschaftliche Institutionenordnung der östlichen Führungsmacht nicht direkt auf die DDR übertragen. In diesem Sinne vollzog sich hier keine einfache "Sowjetisierung" als politisches Oktroi, wie Dierk Hoffmann und andere Autoren betonen. So arbeiteten in der DDR im Gegensatz zur UdSSR mit dem Finanzministerium und dem Volkswirtschaftsrat (ab 1961) konkurrierende Institutionen. Auch die ökonomische Verflechtung mit der UdSSR und den Volkswirtschaften der anderen Mitgliedsstaaten des bereits 1949 konstituierten Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) blieb schwach, wie Ralf Ahrens in seinem Beitrag betont.
Darüber hinaus bieten die Aufsätze drittens aufschlussreiche Erkenntnisse zu Kontinuitätslinien der zentralen Verwaltungswirtschaft, die in Deutschland zumindest teilweise auf zuvor geschaffenen Institutionen gründete: So wurde im Preußischen Kriegsministerium schon im August 1914 eine Kriegsrohstoffabteilung gebildet. Im Mai und November folgten ein Kriegsernährungsamt und das Kriegsamt, bevor die Reichsleitung 1917 Kriegswirtschaftsämter etablierte. Damit sollten die Erzeugung und Produktivität vor allem in der Rüstungsindustrie im Ersten Weltkrieg gesteigert werden, während Inputs in die Produktion und der Konsum zu reduzieren waren. Auch basierte die Wirtschaftsstatistik in der DDR bis zu den Fünfzigerjahren z.T. auf den Planungsinstrumenten des NS-Regimes - so dem Industriezensus von 1936 -, wie Rainer Fremdling zeigt.
Insgesamt weist die Anlage des Buches nur wenige Grenzen auf. Vor allem reproduziert die dominant institutionengeschichtliche Perspektive in gewissem Maße die Sicht der SED-Führung auf die DDR-Wirtschaft. Zudem bleiben die Akteure auf den unteren Ebenen des Wirtschaftssystems - besonders in den einzelnen Betrieben - unterbelichtet. Mit den zunehmenden Funktionsdefiziten der zentralen Wirtschaftsverwaltung eröffneten sich ihnen aber erhebliche Handlungsspielräume (wie vorrangig Andreas Malycha und Dierk Hoffmann hervorheben). Schon bevor sich in der DDR wegen des akuten Mangels (so an Rohstoffen) eine Tauschwirtschaft herausbildete, waren Aushandlungsprozesse und Kompromisse zwischen den beteiligten Personen unabdingbar, die noch eingehender untersucht werden müssen. Nicht zuletzt finden sich in den Beiträgen zu dem Band lediglich Ausblicke auf die Transformation der ostdeutschen Wirtschaft nach 1989, vor allem in den Aufsätzen von Marcel Boldorf, Rainer Karlsch und Ralf Ahrens. Obwohl eine eingehende Untersuchung dieses vielschichtigen Problemkomplexes das Buch überlastet hätte, wären deutlichere Bezüge der historischen Analysen auf den Umbruch wünschenswert gewesen.
Insgesamt enthält der Band aber überaus profunde historische Studien ausgewiesener Experten. Die Befunde der Beiträge zeigen, dass eine Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftssystem der DDR weiterhin wichtige Erkenntnisse eröffnet, auch über den engeren Gegenstandsbereich hinaus. Alles in allem kann das Buch nachdrücklich empfohlen werden.
Arnd Bauerkämper