Konstanze Körner: Leitungsstile in der DDR. Ein Vergleich der Eliten in Partei, Industrie und Dienstleistungszweig 1971 bis 1989, Berlin: Metropol 2016, 309 S., ISBN 978-3-86331-271-8, EUR 22,00
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Die Forschungen zu Eliten in Politik, Wirtschaft und Verwaltung der DDR haben in den letzten Jahren bedeutend an Umfang und Tiefe gewonnen. Allerdings standen überwiegend Karriereverläufe des Führungspersonals in Partei, Staat und Wirtschaft sowie dessen Funktion in den unterschiedlichen Organisationsstrukturen im Mittelpunkt. Die Praxis der persönlichen Leitungsstile blieb hingegen weitgehend unberücksichtigt. Konstanze Körner hat sich die Bezirksleitung Berlin der SED, das "Kombinat VEB NARVA - Berliner Glühlampenwerk" sowie die "Vereinigung Interhotel" als Beispiele gewählt, um charakteristische Merkmale der Leitungsstile in der SED, in der Industrie und im Dienstleistungsbereich in den 1970er- und 1980er-Jahren herauszuarbeiten. Dabei nimmt sie das Verhalten der Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitern und den jeweils übergeordneten Leitungsinstanzen sowie die Selbstwahrnehmung der Leitung in den Blick. Letztlich geht es auch um die Spielräume und Grenzen, in denen Führungskräfte in den ausgewählten Bereichen ihren individuellen Führungsstil gestalten konnten.
Körner kann anhand der gewählten Beispiele zeigen, dass es in den untersuchten drei Bereichen durchaus Unterschiede in den Leitungsstilen der Führungskräfte gab, die dem Egalitätsanspruch der SED entgegenstanden. Allerdings wird in ihrer Untersuchung ein Egalitätsanspruch zugrunde gelegt, der gerade in der Honecker-Ära im Unterschied zu früheren Jahren nicht mehr aufrechterhalten wurde und auch in der betrieblichen Praxis nur noch eine plakative Rolle spielte. Zudem sind auch einige andere Ausgangsthesen nicht ganz überzeugend. So wurde nicht erst, wie Körner behauptet, seit dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker mehr Wert auf fachliche Qualifikation bei der "Kaderauswahl" gestellt. Sachkompetenz erhielt bereits in der Wirtschaftsreform der 1960er-Jahre einen höheren Stellenwert als politische Zuverlässigkeit, was sich in der Tendenz ausdrückte, Leitungsposten in der Industrie mit Personen zu besetzen, die über eine entsprechende wissenschaftliche und fachliche Qualifikation verfügten. In einigen Bereichen, so im zentralen Apparat der SED, kann sogar nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker ein Rückschritt gegenüber den 1960er-Jahren konstatiert werden, denn Honecker räumte nunmehr wieder politischer Loyalität und Zuverlässigkeit den Vorrang ein.
Anhand von klar definierten Kriterien, zu denen u.a. "Vorbildlichkeit", "Autorität" sowie "gemeinsames Entscheiden" gehören, erkennt Körner für die Industrie und für den Dienstleistungsbereich deutliche Unterschiede zwischen der oberen und unteren Leitungsebene. Während auf der oberen Leitungsebene (Generaldirektoren zentral geleiteter Kombinate, Direktoren der Interhotels) eher ein autoritärer Stil vorherrschte, ergab sich auf der unteren Leitungsebene (Meister, Schichtleiter) durch die räumliche Nähe zu den nachgeordneten Mitarbeitern oft ein kameradschaftlicher Umgang mit erkennbarer Bereitschaft zur Kooperation. Dieser Befund kann zunächst ebenso wenig überraschen wie die Feststellung, dass der Stil der Führungskräfte wesentlich durch deren Zugehörigkeit zur SED gekennzeichnet war. Aussagekräftiger sind dagegen die Erkenntnisse zum Kriterium "gemeinsames Entscheiden", die Körner für alle untersuchten Bereiche und Leitungsebenen vorstellt. Hier zieht sie eine Trennlinie zwischen der Einbeziehung in Entscheidungen einerseits und der Beteiligung an Entscheidungsprozessen andererseits. So seien zwar regelmäßig Beratungen der Leitungen mit nachgeordneten Mitarbeitern mit Leitungsverantwortung durchgeführt worden, wodurch die Einbeziehung in einen Entscheidungsprozess gewährleistet worden sei. Doch eine Beteiligung an den tatsächlichen Entscheidungen konnte Körner nur in Ausnahmefällen feststellen, denn die gemeinsamen Beratungen hätten eher den Charakter der Weitergabe von Informationen bzw. übergeordneten Weisungen gehabt. Insofern sei der Entscheidungsspielraum für den individuellen Stil der Leitung eher begrenzt gewesen. Aufschlussreich ist im Kontrast dazu die Selbstwahrnehmung der jeweiligen Leiter, die von Körner in Zeitzeugeninterviews befragt wurden. Diese hatten im Rückblick auf einen relativ großen Entscheidungsspielraum in der Wahl ihrer Leitungsstile verwiesen.
Für die SED-Bezirksleitung Berlin wird sowohl auf der oberen (hauptamtliche Sekretäre) als auch auf der unteren (Sektorenleiter) Leitungsebene ein autoritärer Stil beschrieben. Hier hätten die hauptamtlichen Sekretäre ihre Autorität genutzt, um Führungsbeschlüsse der Partei auch intern auf allen Hierarchieebenen strikt durchzusetzen. Auf diese Weise erscheint der hauptamtliche Apparat der SED als eine streng hierarchisch strukturierte Organisationseinheit, die kaum Spielraum für persönliche Motive, Interessen und Denkweisen zugelassen hätte. Dieser Befund für Berlin sollte durch weitere Untersuchungen zu regionalen Führungsgremien der SED verifiziert werden. Allerdings stützt sich Körner bei diesen Aussagen hauptsächlich auf Zeitzeugeninterviews und Archivquellen in Form eines standardisierten Berichtswesens, das kaum Rückschlüsse auf das tatsächliche Verhalten der Leiter gegenüber ihren Mitarbeitern zulässt. Insofern wird trotz des enormen Umfangs an archivalischen Überlieferungen ein generelles Quellenproblem deutlich, das auch durch Zeitzeugeninterviews nicht vollständig gelöst werden kann. So wäre beispielsweise danach zu fragen, in welcher Form die von Körner erwähnten Zweifel am Kurs der SED auf der unteren Leitungsebene innerhalb der Berliner Bezirksleitung thematisiert wurden.
Alles in allem können die Befunde über die Leitungsstile der "Führungskader" in SED, Industrie und Dienstleistungsbranche zwar nicht wirklich überraschen, doch überwiegend überzeugen. Das Verdienst Körners besteht hauptsächlich darin, die in der bisherigen Forschungsliteratur vermuteten oder gar nur behaupteten Handlungs- und Entscheidungsspielräume anhand konkreter Fallbeispiele auf einer soliden Grundlage aufgezeigt zu haben. Ihre aus den Fallbeispielen abgeleiteten Verallgemeinerungen sind plausibel und tragen zum Verständnis der Herrschaftspraxis der SED bei. Insbesondere zeigt die Studie, wie groß die Kluft zwischen dem offiziell propagierten sozialistischen Leitungsideal und der betrieblichen Praxis tatsächlich war. Zu Recht wird dieser Gegensatz zwischen Anspruch und Wirklichkeit von Körner als eine der Ursachen für das Scheitern des Herrschaftssystems der SED gesehen.
Andreas Malycha