Bernhard Dietz: Der Aufstieg der Manager. Wertewandel in den Führungsetagen der westdeutschen Wirtschaft, 19491989 (= Wertewandel im 20. Jahrhundert; Bd. 7), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2020, 524 S., ISBN 978-3-11-042600-7, EUR 74,95
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Bernhard Dietz / Christopher Neumaier / Andreas Rödder (Hgg.): Gab es den Wertewandel? Neue Forschungen zum gesellschaftlich-kulturellen Wandel seit den 1960er Jahren, München: Oldenbourg 2014
Bernhard Dietz: Neo-Tories. Britische Konservative im Aufstand gegen Demokratie und politische Moderne (1929-39), München: Oldenbourg 2012
In seiner Habilitationsschrift zeichnet Bernhard Dietz den "Aufstieg der Manager" in der Bundesrepublik Deutschland seit 1945 nach. (Sozial-)Historische Forschungen über die Entwicklung des Managements in der Bundesrepublik fehlen bisher fast gänzlich. Abgesehen von soziologischen Studien über die Wirtschaftselite nach 1945, wie sie Michael Hartmann in den 1990er und 2000er Jahren prägte, geben einzelne unternehmensgeschichtliche Studien immer wieder Hinweise auf das Forschungsdesiderat und kreisen mit ihren Forschungsschwerpunkten über die "Entdeckung des Personalmanagements" [1] und den "lange[n] Weg an die Spitze" [2] um die Entwicklung eines professionellen Managements.
Die chronologisch gegliederte Studie, die auf die historische Wertewandelforschung Bezug nimmt, ist in fünf inhaltliche Kapitel aufgeteilt, die sich mit der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Ende der 1980er Jahre beschäftigen. So beginnt Dietz mit dem eingängigen Kapitel "Führung nach dem Führer", in dem er nachzeichnet, wie sich die Führungsriege in einer neuen Rolle wiederfinden musste und erste Ideen erlernbarer Führungsmethoden hier einen Wandel schaffen sollten. Die zwei folgenden Kapitel umfassen die 1960er Jahre, jedoch mit einem deutlichen Fokus auf dem Nimbus "1968" und dessen Bedeutung für das Management: Sowohl in der eigenen Wahrnehmung als auch in ihrer Wahrnehmung von außen - sprich Politik und Gesellschaft - charakterisiert Dietz den "Aufstieg der Manager" in dieser Zeit als kurzzeitige Vertrauenskrise in den Kapitalismus. Als "Dritte Kraft" bezeichnet er die Akteure des folgenden Kapitels, in dem er die leitenden Angestellten im Spannungsfeld von eigenem Selbstverständnis, Mitbestimmung und politischem Diskurs nachzeichnet.
Nach einem kurzen Fazit, in dem der Autor die Entwicklung des Managements zwischen Wertewandelschub und "neuem Geist des Kapitalismus" [3] abwägt, stellt er für die 1980er Jahre ebenjene gewandelten Werte des Managements in den Fokus. In diesem Kapitel kommen auch Quellen der BMW-Aktiengesellschaft und damit Unternehmensquellen zur Analyse, die in den vorherigen Kapiteln bisweilen keine Rolle spielten. Die überzeugenden Ergebnisse, die sich für den Fall BMW mit der "werteorientierten Personalpolitik" in den 1980er Jahren darstellen lassen (309), zeigen jedoch auch, wie wünschenswert die Analyse weiterer unternehmenshistorischer Fallbeispiele gewesen wäre. So mag es sich lohnen, insbesondere in Bezug auf die von Dietz hervorgehobenen leitenden Angestellten, ein Unternehmen der gleichen Branchen zu untersuchen, das seit den späten 1940er Jahren eine Sonderstellung hinsichtlich der Mitbestimmung einnahm, wie es bei der Volkswagen Aktiengesellschaft der Fall war.
Dass die unternehmenshistorische Perspektive unterrepräsentiert erscheint, ist sicherlich dem methodischen Zugriff der Arbeit geschuldet, denn Dietz nähert sich seinem Gegenstand aus der Perspektive der historischen Wertewandelforschung. Die genutzten Quellen von Wirtschaftsverbänden, Bildungsinstitutionen und der Wirtschaftspresse stammen vorrangig aus dem Bundesarchiv und dem Archiv des Deutschen Gewerkschaftsbundes und sind nur in wenigen Einzelfällen unternehmensinterner Natur. Ob und wie sich die Debatten über Führung letztlich in den Unternehmen - und in welcher Unternehmensform - niederschlugen, bleibt daher fast gänzlich unbeantwortet. Lediglich die sehr gut herausgearbeiteten Ergebnisse der "werteorientierten Personalpolitik" bei der BMW AG in den 1980er Jahren zeigen, dass insbesondere die Untersuchung unternehmensinterner Strukturen und systematischer wie auch organisatorischer Wandlungsprozesse deutlich tiefenschärfere Ergebnisse hätten liefern können. Daran anschließend fehlt es an einigen Stellen an Verknüpfungen zu anderen Entwicklungen, die sich neben den von Dietz allumfassend untersuchten leitenden Angestellten durchaus angeboten hätten: So fehlt eine Analyse von Führungsmitteln und -stilen, die sich spätestens seit den 1970er Jahren durch die zunehmende Mathematisierung der Wirtschaft und den Bedeutungszuwachs der Managementkybernetik veränderten.
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich insgesamt um eine gelungene Kultur- und Sozialgeschichte des westdeutschen Managements, die zahlreiche Lücken der Sozial-, Wertewandel- und Kapitalismusgeschichte der Nachkriegszeit schließt. Neben den wenigen Kritikpunkten, deren Berücksichtigung den Rahmen einer Habilitationsschrift sicherlich gesprengt hätte, liefert die Studie von Bernhard Dietz überzeugende, neue Erkenntnisse einer Akteursgruppe, die im Rahmen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte bisher lediglich marginales Interesse fand. Über die Ansprüche einer sozialhistorischen Studie hinaus liefert der Autor wichtige neue Ergebnisse für die Entwicklung von Management-Weiterbildungen, die sich in aktuelle fachwissenschaftliche Diskussionen über das "lebenslange Lernen" einordnen lassen.
Anmerkungen:
[1] Ruth Rosenberger: Experten für Humankapital. Die Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland, München 2008.
[2] Christian Reuber: Der lange Weg an die Spitze. Karrieren von Führungskräften deutscher Großunternehmen im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2012.
[3] Luc Boltanski / Ève Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz 2006.
Stina Barrenscheen